2016 – da lachen die Hunde!
Machen Sie sich keine Sorgen, das neue Jahr wird wunderbar
Nun schlägt es also 2016, ein neues Jahr beginnt. Was wird es bringen? Einen bescheidenen Lohnzuwachs, einen überraschenden und einen längst fälligen Trainerwechsel, einen Politikerrücktritt, einen Schnupfen, einen Husten, einen Erkältungstee. Jahr für Jahr dasselbe. Sagte nicht schon der Prophet Elija: „Der Jahre Rundherum gemahnt mich an ein Kinderkarussell, das wohl zu sausen scheint, und dreht sich nur im Kreis“?
Nun, das sagte der heilige Mann vermutlich nicht; aber irgendwann in nächster Zeit wird man ihn selbst fragen können, ist doch Elija vom Tod verschont und seine Wiederkehr stündlich zu erwarten. Überhaupt: die Erwartung. Erwarten wir von der Zukunft noch etwas? Oder haben wir den Glauben an die Zukunft verloren wie den Glauben an die Zahnfee und den Großen Kürbis?
Wenn ich so über die virtuellen Chausseen des Internetzes flaniere, merke ist, dass mehr und mehr Menschen der Zukunft im Modus der Sorge entgegen sehen. Die Zukunft, scheint mir, muss vor allem eines sein: furchtbar!
Wohin man schaut: Sorgenträger. Wir werden es nicht schaffen – was immer es auch sei. Der Berliner Flughafen wird eher unter die Erde verlegt, als dass man ihn überhaupt noch eröffnet; in Stuttgart 21 werden überhaupt niemals Flugzeuge landen, geschweige denn starten; die für das Jahr 2012 geplante Eröffnung der Elbphilharmonie soll nun im Herbst 2016 stattfinden. Oder 2017. Wenn überhaupt.
Nun ja. Meine Mutter erinnert sich gut daran, dass ich ein Knabe gewesen, der spät, sehr spät laufen lernte. Während meine Altersgenossen (und sogar jüngere!) bereits liefen wie die Hasen, Seilchen sprangen, Sack hüpften, soll ich vor allem auf dem Rücken gelegen und regungslos zur Decke gestarrt haben. Ja und? Es war eine glückliche Kindheit. Und heute? Ich laufe – nicht gut, nicht schnell, aber ich komme voran. Und in 366 Tagen (so viele stehen dem eben angebrochenen Jahr zur Verfügung) sollte man um einiges vorankommen.
Wenn nichts dazwischenkommt.
Natürlich sind die Zukunftsbefürchter sicher, dass schon einiges dazwischenkommen wird: der unvermeidliche Börsencrash, ein Vulkanausbruch, ein Erdbeben, eine Sündflut, und altem Brauch gemäß bricht auch im neuen Jahr wieder der lang beschworene Dritte Weltkrieg aus. Und vielleicht sogar alles zugleich?
Nun waren schon die Prophezeiungen für das Jahr 2015 spektakulär: Nostradamus hatte die Schweiz in einer Giftgaswolke untergehen sehen, deren Ursprung er in Genf verortete; sämtliche sprachlichen Barrieren sollten in diesem Jahr aufgehoben sein, der Mensch in der Lage, sich mit den Tieren zu unterhalten. Für den 28. Mai 2015 war ein gewaltiges Erdbeben in Kalifornien annonciert (Stärke 9,8 auf der Richterskala). Nun, die Erde hat sich nicht bequemt zu beben; Genf geht es gut (oder sollte Nostradamus mit Genf Peking gemeint haben, mit dem Giftgas Smog und mit 2015 irgendein anderes Jahr? Dann stimmte es ja wieder!); Ruby, der Hund meiner Schwester, kann immer noch nicht sprechen. Vielleicht demnächst.
Was Ruby angeht, könnte man immerhin guter Dinge sein. Aber wie katastrophal klingt der Rest der Zukunft? Was ist geschehen? Zukunft, das war in meiner Kindheit doch ein Reservoir, aus dem man Hoffnung schöpfte: Morgen sollte alles besser werden. „Morgen“, sang der große kroatische Seher & Sänger Ivo Robić, „morgen, sind wir wieder dabei, / sind wir heut‘ auch arm und klein, / sind wir heut‘ auch ohne Sonnenschein, / sind wir heut‘ auch noch allein, / aber morgen, morgen, morgen, morgen, morgen, / morgen, morgen, lacht uns wieder das Glück“. Veröffentlicht wurde das Lied 1959 auf Schallplatte mit der Rückseite: „Ay, ayay Paloma“. Damals lachte sogar auf der Rückseite das Glück.
Dergleichen utopische Kraft würde man sich heute wünschen. Stattdessen jammervolles Zukunftsgenörgel und vorauseilende Versagensbotschaften.
Aber wer weiß? Vielleicht wird alles gut. Vielleicht wird irgendwann im Jahr 2016 sogar meiner Schwester Hund das Reden anfangen – ähnlich wie „Sirius“ in Olaf Stapledons gleichnamigem Roman, wie der sprechende Hund in Thomas Pynchons „Mason & Dixon“, wie Tims bester Freund Struppi oder wie Snoopy. Übrigens ist auch „Dippy Dawg“ Goofy ein Hund, der, wie jeder Hund, im tiefsten Inneren das Zeug zum Super-Goof hat.
Wenn also besorgte Häupter klagen: „Dieses Jahr 2016 wird auf den Hund kommen“, dann antworten wir: Na, das wollen wir doch hoffen! Und wenn sie unken: „Das schaffen wir niemals nicht und nimmer!“, sagen wir: Nicht? Da lachen ja die Hunde!
Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.
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