29. Februar 2016 1 Likes

Alles wird sein, wie es war …

… und andere heimliche Verheißungen der Science-Fiction

Lesezeit: 4 min.

Manche meinen, Science-Fiction hätte mit Technik zu tun und ihre Zuschauer und Leser interessierten sich vor allem für Naturwissenschaft und Maschinen. Nun, bei manchen mag das so sein (und wahrscheinlich just bei denen, die das meinen), aber die Regel ist es nicht. Wer sich wirklich für Maschinen interessiert, studiert Maschinenbau und liest Fachbücher über Raketentechnologie.

In Wahrheit geht es der Science-Fiction um Verheißungen.

Ich will diese futuristische These an einem historischen Beispiel belegen: In der fernen Vorzeit der frühen 1970er Jahre liefen im Fernsehen wunderbare Zukunftsserien. Da gab es zum Beispiel die „Invasion von der Wega“, eine Art Richard Kimble mit UFOs; da gab es den „Time Tunnel“; und da gab es vor allem das „Raumschiff Enterprise“. Der Titelheld düste mit Sol-Antrieb durch das Universum, an der Steuerkonsole saß ein gewisser Chekov, und ein spitzohriges Alien namens Spock wurde von jedermann gerne als Spitzohr bezeichnet. Schiffskapitän Kirk thronte auf seinem Kapitänsthron, Spock schaute durch ein mysteriöses Sternenmikroskop und hob zu gegebener Zeit eine Augenbraue, und Uhura, die Empfangsdame, stellte gelegentlich Telefonanrufe von outer space durch.

„Das“, erkannte mein scharfsichtiger Freund Ralf, „ist natürlich alles völlig bekloppt, aber immerhin hat man jetzt etwas, worauf man sich am Samstag freuen kann.“

Natürlich freute man sich, wenn die Untertasse mit Anhang durch eine offenbar luftgefüllte, dafür schwachbestirnte Milchstraße zischte, begleitet von engelhaften A-haha-haaa-Chören, wenn Doktor Pille versuchte, böse zu schauen, und Mister Spock sein „Faszinierend“ aufsagte. Man hatte ja schulfrei; zwischen einer möglicherweise dräuenden Englisch- oder Lateinklausur lag ein noch unerforschter Sonntag, und in den Pausen des kommenden Schultags würde man auf dem Schulhof mit Gleichgesinnten die letzte „Enterprise“-Folge nachbesprechen.

Natürlich war uns damals noch nicht klar, dass das ZDF ‒ gelobt sei sein Name dafür ‒ die Serie nicht nur (wenn auch nicht komplett) angekauft, sondern durch seine Synchronisation zu einer Art „Die 2 Reloaded“ gemacht und den Mannen (und beklagenswert wenigen Frauen) um James Tiberius Kirk Worte in den Mund gelegt hatte, von denen im eher militärisch orientierten Original keine Rede war. Kirk & Co. flapsten, blödelten und witzelten herum und warfen mit kecken Spitznamen um sich, kurz: Auf der Brücke der Enterprise ging es so rau, aber herzlich zu wie bei uns auf dem Schulhof, und die sportlich-bunten Leibchen, die die Astronauten in der Zukunft trugen, verstärkten diesen Eindruck noch.

Überhaupt erscheint mir diese frühe Crew ziemlich lausbubenhaft, wie die Fünf Freunde im Weltall: So knitterfrei wie die Trikothemden waren ihre Gesichter; Eltern: Fehlanzeige (sieht man einmal von Spock ab, aber der war ja ein Alien). Kinder? No go. Freundin? Ehepartner? Kicher. Ja, in irgendeiner Folge war Spock mal schwer verliebt (aber der war ja ein Alien), und seine Liebestollwut war (jedenfalls in der deutschen Übersetzung) eine Krankheit, wie sie wohl nur Aliens befiel.

Aber, wird der Fachmann sagen, knutschte nicht auch Kirk bei Gelegenheit? Er knutschte, doch das war eben der Preis, den man für eine Kapitänsanstellung auf einem interstellaren, immer wie frisch schaumponiert dahineilenden Raumschiff zahlen musste. Und wenn dieser Kirk küsste, dann in einer Reinheit, die die Schiffshüllenintegrität seiner Person nicht gefährdete. Und ohne Zunge.

Heute denke ich: Dies war eine der großen Verheißungen der damals wortführenden Science-Fiction, vielleicht sogar ihre größte: dass in Zukunft zwar alles schneller, schicker, windschnittiger sein, im Kern aber alles beim Alten bleiben würde ‒ ein Traum von ewiger Kindheit im Weltall. (Vielleicht liegt die Wut mancher Zuschauer auf die neuen „Star Trek“-Filme hierin begründet: Die Figuren sind erwachsen geworden ‒ und damit zu Verrätern am Peter-Pan-Prinzip der TV-Serie in ihrer deutschen Version.)

Im Rückblick scheinen mir, zugegeben, die Kämpfe hinter den Kulissen der TV-Serie spannender als die Raumschlachten gegen die Klingonen: Sollte ein Außerirdischer wirklich auf die Brücke eines erkennbar US-patriotischen Raumschlachtschiffs auf Forschungsmission Zutritt erhalten? Sollte ein weißer, angelsächsischer, wahrscheinlich protestantischer Kapitän eine Schwarze vor einem Millionenpublikum küssen? Oder gar seinen schnuckeligen Bordarzt?

Hier sind wir der zweiten Verheißung der Science-Fiction auf der Spur: Die Zukunft wird uns befreien ‒ wenn auch der Beitrag von Wissenschaft und Technik zu dieser Befreiung eher marginal bleibt. Kirks Vertrauen in Spock, den Fremden von den Sternen, verdankt sich ja keinem Vertrauensgenerator mit Subraumhumanitätsspule, sondern der emotionalen Intelligenz des Kapitäns auf der einen und Spocks geradezu kantianischer Vernunftethik auf der anderen Seite.

Die dritte Verheißung (in jedem Märchen braucht es ja immer drei Wünsche, drei Hexen, drei Heiligtümer des Lebens) hat, wenn ich es recht sehe, tatsächlich mit Technik zu tun. Die Science-Fiction ‒ solange sie sich nicht in eine Dystopie verkehrt ‒ verspricht, dass jede Technik letztendlich dem Menschen zu dienen hat, dass wir uns aus jeder kubistischen Assimilierung zu neuer Individualität befreien werden, ja, dass die Technik am Ende ‒ wie Mister Data oder der holographische Doktor ‒ danach strebt, Mensch zu werden.

Das mag ein wenig egozentrisch klingen, und ganz ohne Risiko ist diese Sichtweise sicher nicht. Aber um dem von seiner Science-Fiction begeisterten Menschen eine utopische Lektion in Demut zu geben, hat das Fernsehen ja das eine oder andere Korrektiv erfunden ‒ „Schweine im Weltall“ beispielsweise. Und wenn wir eines Tages erkennen, dass die Zukunft auch der Schweineheit ein Leben in Würde verheißt, werden wir der final frontier ein gutes Stück näher gerückt sein.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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