8. Februar 2021

Die Zukunft gehört der Wahrheit

Warum ich trotz Fox News und sibirische Internettrolle für das Jahr 2021 optimistisch bin

Lesezeit: 4 min.

Shakuntala Banerjee ist, ich gebe es gerne zu, meine absolute Lieblingsjournalistin. Ich mag alles an ihr: ihre Stimme, ihre Diktion, ihre Fragetechnik (mit Einschränkung). Sie ist in Rheydt geboren und hat ihr Abitur an der Bischöflichen Marienschule zu Mönchengladbach abgelegt – was für eine Kombination: Bischof! Maria! Mönche! Dann hat sie studiert, dem Vernehmen nach Germanistik, Indologie, Philosophie, Öffentliches Recht und Politikwissenschaft – also eigentlich alles Wichtige außer Paläolepidopterologie und Hyperraumfeinmechatronik.

Schon während des Studiums (also: als mein Freund und ich eher Billard spielen gingen, um uns einen schönen Tag zu machen) hat sie erste journalistische Erfahrungen als studentische Hilfskraft gesammelt. Wo? Bei der Bäckerblume von Kleinwusterhausen etwa? Bei Hilfestellung, dem Fachblatt des Studentischen Hilfswerks für studentische Hilfskräfte? Weit gefehlt! Gesammelt hat sie solche in den Hauptstadtstudios von WDR und RTL.

Im Jahr 2003 kam Banerjee zunächst als freie Mitarbeiterin zum ZDF. Seit März 2019 arbeitet sie dort als Stellvertretende Leiterin des Hauptstadtstudios Berlin und moderiert – im Wechsel mit Theo Koll, den wir in Berlin in einem Hotel einmal fast beim Frühstück getroffen haben – die Sendung Berlin direkt.

Ich gestehe, ich bin ab und an auf Facebook unterwegs, nicht sehr aktiv, sondern eher als Mäuschen. Ich lausche, was sich so tut auf Fox News, bei den Kollegen von OANN und Newsmax. Da tanzt der Bär, da steppt der Elch, da boxt der Papst im Kettenhemd und jodelt fiese Wanderlieder – also im übertragenen Sinn. Tatsächlich stellt sich dort ein Panoptikum von Grusel- und Grausgestalten aus, hetzt und pöbelt, unkt und krawallt dauerempört herum, als hätte man das Dschungelcamp mit der Weltmeisterschaft im Schlammcatchen gepaart und das Ganze „Breaking News“ getauft.

Natürlich gehe ich davon aus, dass der allergrößte Teil der dort zu lesenden Posts Beiträge von russischen Trollen sind, von jungen Frauen und Männern aus der sibirischen Provinz, die sich arg langweilen, dagegen ein bisschen Spaß haben und zugleich ihr Schulenglisch aufbessern wollen und daher der westlichen Welt ihre nicht ernst gemeinten Kommentare spendieren, drollig in Wort und Sinn. Auch der diesjährige Wiener Perry-Rhodan-Zoom-Con ist von jungen Menschen aus dem Reich Wladimir des Schrecklichen gehackt und mit handgedrehten Musik-Pornos bespaßt worden - Höhepunkt: ein am Seil baumelnder, gelynchter Kermit, der für unsere russischen Freunde offenbar den Inbegriff westlicher, grünversiffter Dekadenz darstellt. Mir ist das alles nicht ganz unsympathisch: Die russische Dorfjugend kommt so von der Straße weg und macht etwas Sinnvolleres als dem Permafrost beim Auftauen zuzusehen; die Sprache Dostojewskijs und Tolstois zu hören gefällt; Kermit mag man ohnedies.

Aber zurück zu Fox News und seinem digitalen Antlitzbuch. Dort finden sich Perlen wie Sepi Salem: „Bejing Biden & Hooker Harris Team You can’t make this stuff up. Biden is a damaged good. We were cheated and these corrupt Son’za Bichess in DC Sold us a defected product called Basement Biden.” Oder dieses Statement von J.P. Burwell: „Well Biden and all donkeys are just not so good. Nor are the dipshits who voted for them.“ (Dipshits musste ich nachschlagen: Es bedeutet Penner oder Volldiot.) Sunday Kalu stellt für sich fest: „That means Trump still president of America. Trump unstoppable citizen.“ Ein utopischer Ansatz – Präsident von Amerika! –, der durch seine syntaktische Rätselhaftigkeit besticht.

Aber selbst, wenn man 99,99 Prozent der bei Fox News, OANN & Co. eingestellten Posts den liebenswerten Chaoten aus dem Osten zurechnet, die sich ebenso finger- wie zungenfertig ins digitale Geplauder des fernen Westens einbringen, so bleibt doch ein gewisser Bodensatz an ernst gemeinten Zuschriften, die Zweifel daran wecken, ob sie und wir zur selben Zeit auf demselben Himmelskörper wohnen. Dort, in OANNIA und Newsmexiko, hat der Präsident, dessen Name nicht noch einmal genannt werden soll, die Wahl gewonnen; einen Mr. Biden führt er wie eine Handpuppe oder von oben aus Sturmwolken an Drähten, um Satan und seine Gefolgschaft irre zu machen, der, wie man hört, in San Diego eine Pizzeria betreibt, in der kleine Kinder von Willi Gates mit Zuckerbrot und iPads gezwungen werden, Tomaten bei lebendigem Leib zu häuten, damit Nancy Pelosi, wenn sie demnächst Elche und Hasen mit halbautomatischen Waffen ausrüsten will, um die lustige Jagd ein wenig fairer zu gestalten, von Gott, der dank einer Green Card bekanntlich US-Bürger ist und gegen die Briefwahl donnert und wettert … und so weiter.

Halleluja, sage ich, dass wir Shakuntala Banerjee haben!

Ich bin nicht unkritisch. Ich finde, Frau Banerjee fällt in einem Interview ihrem Gegenüber mitunter ins Wort, wo sie ihn auch mal ausreden lassen könnte, aber ich bin mir ziemlich sicher: Was sie sagt, hat mit einer Wirklichkeit zu tun, in der auch ich lebe, Auto fahre und Steuern zahle (ja, vielleicht zu viel davon!). Sollte man sie dafür überschwänglich loben? Sollte man ihr Leben verfilmen, es serialisieren? Sollte man „Shakuntala Banerjee – das Spiel“ herausbringen, das Shakuntala-Banerjee-Puzzle, -Quartett, die -Elastolin-Figur? Sollte BRAVO (wenn es sie noch gibt) einen Shakuntala-Banerjee-Starschnitt anpreisen?

Nun, das wäre vielleicht etwas übertrieben. Sie macht ihre Arbeit, und die macht sie gut. Obwohl es andererseits ja auch nicht schaden würde – ich zum Beispiel würde mir mal wieder die BRAVO kaufen (wenn es sie noch gibt).

Jedenfalls möchte ich, gerade zu Beginn dieses Jahres, doch auch einmal meine Zufriedenheit damit ausdrücken, dass wir nicht von – wie Kollege Rutger Bregman einmal im Interview mit einem gewissen Tucker Carlson sagte – „millionaires paid by billionaires“ beschallt, bejohlt und bezetert, sondern weitgehend wohl begründet informiert werden.

Von Shakuntala Banerjee zum Beispiel, die ich als beispielhaft nenne, ohne ihre Kolleginnen und Kollegen und deren Leistung damit schmälern zu wollen. Und so ertappe ich mich bei einem gewissen Optimismus: dass nämlich der Wahrheit die Zukunft gehört.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.