23. September 2019

Ein Hoch auf die Helikoptereltern!

Oder: Wie ich Anne Will dazu bringen würde, live auf Sendung die Marseillaise zu singen

Lesezeit: 4 min.

Politikersprüche einst und jetzt – wer kennt sie nicht! Unvergessen ist Julius Caesars „Ich bin ein Berliner“, John F. Kennedys „Hol mir mal ´ne Flasche Bier“ oder „Mehr Demokratie wagen“ von „Willy wählen!“-Willy. Willy mit y, übrigens („Ich bin kein Berliner!“).

Am 29. Mai im Jahre des Herrn 2019 sprach Armin Laschet, damals Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, in einer Talkshow bei Anne Will (die Geschäftsführerin der Will Media GmbH, die pro Jahr etwa fünfundvierzig Sendungen produziert; alle heißen sie „Anne Will“) im Rahmen einer Nachbesprechung der Europaparlamentswahl wie folgt: „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden.“ Ganz Deutschland beömmelte sich: Laschet, der offenbar erst kurz vor der Wahl (oder danach) zum ersten Mal das Fremdwort „Klima“ vernommen, dessen Sinn aber offenkundig nicht ganz verstanden hatte, fahndete, was das Wählerherz in seiner abgründigen Finsternis bewogen haben mochte, dem Verein CDU das ihm zustehende Kreuzlein nicht zu geben. Das Klimakterium?

Ich beömmelte mich nicht. Ich gestehe: Ich mag Armin Laschet. Hat er doch etwas rührend-gartenzwerglihaftes, etwas erdmännchen-gnomisches. Dabei ist der Mann bekanntlich Ritter vom Heiligen Grabe, ja sogar Großkreuzritter! Sollte die Augsburger Puppenkiste jemals die Geschichte der Kreuzzüge auf die Bühne bringen, dann sollte einer der ritterlichsten ihrer handgeschnitzten Ritter die Gesichtszüge von Großkreuzritter Laschet tragen! Warum auch nicht!

Was hat die nackte Körpergröße zu sagen? Der Mann Laschet überragt mich um Haupteslänge! Sicher, Franz Kafka war noch erheblich hochgewachsener. Aber was hat ihm das gebracht? Stan Laurel maß eins dreiundsiebzig; Oliver Hardy war eine Wucht von einem Meter fünfundachtzig. Aber, festhalten! Jan Böhmermann, der Studienabbrecher (Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Soziologie) und „Kanzlerschreck aus Gröpelingen und Vegesack“, ist einen Meter neunzig groß, also auf den Zentimeter gleichauf mit Donald Trump ‒ aber wollen wir wirklich wissen, wieviel der amerikanische Präsident seinerzeit für dieses Gardemaß bezahlt hat? Übrigens ist Jürgen Klopp sogar ein einundneunzig groß und Harald Schmidt eins vierundneunzig und wären beide gewiss noch fidelere US-amerikanische Präsidenten. Vielleicht zu zweit, als Team? Arnold Schwarzenegger kommt dagegen nicht infrage. Er ist mit einem Meter achtundachtzig viel niedriger und wirkt überhaupt geduckter, jedenfalls auf mich und verglichen mit Armin Laschet, bei dem innere Aufrichtigkeit, Witz und Wortgewandtheit ja einiges wettmachen.

Täte ich einmal in einer solchen Talkschau sitzen (was aber bei meiner gar zu durchschnittlichen Körpergröße nahezu ausgeschlossen ist), würde ich mich von der Geschäftsführerin der Will Media GmbH nicht nach politischen Themen, sondern nach meiner Haltung zu Helikoptereltern befragen lassen. Dann würde ich antworten:

„Aber natürlich mag ich Helikoptereltern! Wer, wenn nicht die Eltern, soll sich denn um die Kinder kümmern? Die bekifften, besoffenen und bekloppten Autofahrer, die unsere Straßen als Selbstdarstellungspromenade missbrauchen? Die Lehrerinnen und Lehrer, von denen es immer weniger gibt? Wer wäre auch die Alternative zu den Helikoptereltern? Etwa die Trambahntanten? Die Krad-Cousinen? Oder gar die Braunkohlebaggeronkel, die immer mit beiden breiten Raupen ach so fest auf der Erde stehen und baggern, dass die Braunkohle nur so staubt? Wie oft denn noch sollen die Braunkohlebaggeronkel unbescholtene Kinder – Jungen, Mädchen und so weiter – mit leeren Versprechungen und Bounty-Riegeln auf ihre Braunkohlebagger locken? Hinterher will es wieder keiner gewusst haben, und ein Wind voller Braunkohlestaub bläst leeres Bounty-Papier traurig über verlassene Braunkohleterrassen vor sich her. Nein, liebe Helikoptereltern, lasst euch nicht kirre machen. Fahrt eure Kinder vor bis zum Bildungsportal – das Lehrervolk parkt auch nicht auf Parkplätzen, die in sportlichen zwei Kilometern Distanz zu ihrer Schule liegen (obwohl es ihnen guttäte)! Haltet den Nachwuchs fern von Rädern und Radwegen, so unterwegs zu sein, endet zu oft tödlich – vierhundertfünfundvierzig Radfahrer sind im Jahr 2018 ums Leben gekommen, davon einundzwanzig Kinder, davon sechs durch einen rechtsabbiegenden LKW, weil es das in dieser Sache himmelschreiend unvermögende Verkehrsministerium immer noch nicht geschafft hat, Lastkraftwagen zur Ausrüstung mit geeigneten Warn- und Schutzvorrichtungen zu verpflichten. Und so lange dergleichen geschieht, sollen den Verkehrsministerien zu Berlin und anderswo die Ohren brummen und dröhnen vom Motorengeräusch der Helikopter meiner lieben Helikoptereltern.“

In diesem Sinne würde ich mich in der Talk-Runde einlassen, und in der Hand hielte ich die Fernsteuerung für einen Modellhubschrauber, und mit dem würde ich manchem anderen Gast über den Mund fahren, sobald es sein müsste.

Armin Laschet aber würde mir eines seiner berühmten verschmitzten Lächeln gönnen und sagen: „Recht haben Sie, junger Mann! Da mag die Anne sich noch so fest beide Zeigefinger in die Ohren stopfen und lauthals die Marseillaise singen.“

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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