30. Januar 2017 1 Likes

Splundig Vur Thrigg!

Über die Stadt Oxford und einige damit zusammenhängende Gegenstände

Lesezeit: 4 min.

Einmal im Jahr reisen wir nach Oxford. Den Navi brauchen wir nicht, die Route ist uns vertraut: Kurz nach den weißen Klippen von Dover geht es auf die sagenhafte M25, die Londoner Orbital, danach Richtung Nordwest, schließlich bei der McDonald’s-Filiale links ab, eine Weile am Industriegebiet entlang, wo BMW nun die MINIs produziert, noch einmal rechts, und schon hat man die Abingdon Road erreicht, die ins Zentrum der Stadt an der Ochsenfurt führt.

Da wohnen wir dann für ein paar Tage.

Oxford hat ein ganz eigenes Aroma, eine Mischung aus alten Folianten, Cadbury-Schokolade, einem Verdacht von Coleman’s Mustard und Sharwoods Tikka Masala Cooking Sauce. Wie von ferne war aber zuletzt eine neue Note hinzugeweht, lag Abschied in der Luft – ein Hauch von Brexit eben.

Die Stadt war voll, man hörte exotische Zungen reden und sah Scharen von Selfie-Stöcken über den Häuptern der Gäste tänzeln, eine luftige Choreographie; es war, als würden Japan und Indien zugleich einen Betriebsausflug machen. Oxford ist überhaupt eine phantastische Stadt, sozusagen das Ankh-Morpork des real existierenden Königreichs England. In seinen harrypotteresken Gemäuern hat Emma Watson studiert, und hier lebt sie bis auf den heutigen Tag; hier haben Albert Einstein und Stephen Hawking gelehrt, J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis, natürlich auch Charles Lutwidge Dodgson, der unter dem Künstlernamen Lewis Carroll seine Alice nach Wonderland schickte, eine Art Oxford auf anderer Existenzebene und mit anderem Energieniveau. Und hier wird, wenn ich die betreffenden Folgen der TV-Serie Star Trek recht in Erinnerung habe, eines Tages Mr. Data, zurückgezogen aus dem Dienst in der Sternenflotte, einen Lehrstuhl innehaben, sich seines Alterungs-, Emotio- und wer weiß welcher Chips noch erfreuen und den Studentinnen und Studenten, die mit großen Augen lauschen, von fernen Sternenlanden berichten.

Wann immer ich in England bin, suche ich nach der neuesten Ausgabe des Science-Fiction-Comic-Magazins 2000AD. Dieses erscheint seit Jahrzehnten einmal pro Woche, und in jedem „Prog“ begrüßt ein undurchsichtiger Alien namens Tharg in seinem Editorial die Leser mit den Worten „Borag Thungg, Earthlets!“ und wünscht ihnen mit einem maliziösen Lächeln in seinem grünhäutigen Gesicht zum Abschied „Splundig Vur Thrigg!“.

Doch im Newsagent meines Vertrauens lag die neueste Nummer nicht vor. Wie das? Hatten sich SF-Fans aus Japan und Indien für den langen Rückflug mit Heften eingedeckt? Schwächelte die Auflage? Oder hatte im Gegenteil die neulich erschienene Nummer 2000 einen beispiellosen Run auf das neue Prog ausgelöst?

Wir wanderten durch die Gärten der Colleges, sahen Knirpsen beim Knirpsen-Rugby zu, Studentinnen und Studenten beim Quidditch (beim Muggel-Quidditch, um genau zu sein: Die Spielerinnen und Spieler – ja, es gibt gemischtgeschlechtliche Teams – flogen nicht auf Besen, sondern behielten den Boden unter den Füßen); schauten weißes Cricket mit dem ewigen Duell zwischen Bowler und Batsman.

Wir spazierten an der Themse entlang, die in Oxford Isis heißt, vorbei an Haus- und Ruderbooten. Wir fuhren nach Windsor und besichtigen das dortige Castle, bekanntlich das zyklopischste und älteste durchgängig bewohnte Schloss des dritten Planeten. Königs aber waren nicht da.

Ich schlenderte durch die pompösen Gemächer. Die Feuerlöscher sind aus Silber, vermutlich Sterling. Ich bewunderte hier und da mal eine Untertasse in einer Vitrine. Hübsch sind diese Untertassen, die Tassen und Teller auch, die Teekannen, die auf jeder Mad Hatter’s Tea Party eine Zierde ihres Geschlechts wären, die Augen gehen einem über von all dem bemalten, goldumränderten porzellanenen Gedöns. Gedöns darf man lieben, nichts spricht dawider.

Später, da hatten wir das Schloss längst hinter uns, wurde ich bei einem winzigen Newsagent fündig und kaufte das aktuelle 2000AD, nämlich die Nummer 2001. Ich besitze auch die Nummer 2000, aber 2001 klingt besonders magisch, und weil im nächsten Jahr Judge Dredd, Psi-Judge Anderson und weitere wackere Mitstreiter der Gerechtigkeit in und für Megacity One siebzig Jahre alt werden, will ich zu gegebener Zeit ausführlicher darüber berichten, nicht jetzt.

Zurück in Oxford schmausten wir bei einem altehrwürdigen Chinesen, den bereits die Queen besucht hatte. Hier heißen die Gerichte „Lover’s Lost Date“ mit einer gewaltigen Prise Knoblauch („If you are on a date, avoid this dish!“, rät die Speisekarte); es gibt „Irish’s Worst Nightmare“ und „Quack Quack Duck“, und wenn die chinesische Kellnerin ein zischelndes Gericht auf heißer Platte serviert, beschlägt ihr die Brille.

Ach, ich liebe Oxford! Ob ich die Stadt wiedersehen werde, nun, da das Eiland dank Brexit langsam Richtung Island treibt, vielleicht vom Golfstrom erfasst und dorthin getrieben wird, wo früher die eisigen Wüsteneien des Nordpols lagen, weiter durch die Beringstraße und hinein in den Pazifischen Ozean?

Wer weiß.

Immerhin hat kürzlich in Köln ein Shop eröffnet, der ausschließlich englische Waren vertreibt: Coleman’s Mustard, Cadbury-Schokolade, Sharwoods Tikka Masala Cooking Sauce und – last but not least – das SF-Comic-Magazin 2000AD.

Ganz so schlimm muss es also nicht kommen.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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