18. Februar 2019

Traumingenieure bitte melden!

Wie mir kürzlich eine geniale Geschäftsidee kam

Lesezeit: 3 min.

Mich träumte, ich sei auf dem Wochenmarkt. Ich bin etwas spät dran, einige Stände sind bereits abgebaut; auch der Obst- und Gemüsehändler meines Vertrauens, eine wackere deutsch-polnische Familie in drei Generationen, haben, was sie hatten, wohl abverkauft und sich auf den Heimweg gemacht.

Ich gehe also zu einem anderen Stand, der, wie ich merke, von einer wackeren deutsch-italienischen Familie bewirtschaftet wird. Ich brauche Äpfel. Wie viele Äpfel? Drei Äpfel. Prego, sagt der Händler, das macht einen Euro. Das ist ja traumhaft billig! Er sagt: Der gute Preis zur späten Stunde. Ich zahle also den Euro und gehe. Aber wo sind die Äpfel? Nicht da, wo sie sein sollten: in einer Tasche in meiner Hand. Ich umschleiche also den Stand. Will man mich hier betuppen? Da läuft mir der Händler hinterher, eine Tasche mit den Äpfeln in der Hand. Die hast du vergessen, Mann!, sagt er.

Dann wache ich auf, empört darüber, dass ich derart langweilige Träume haben kann.

Am Morgen gönnte ich mir („Gebt mir Luxus! Auf alles Notwendige kann ich verzichten.“ – Oscar Wilde) einen Espresso. Das Pulver wohnte bis dahin in einem Tütchen, einem so genannten Stick, das seinerseits in einem Pappkarton beheimatet war. Die Packung ist gediegen bedruckt, gedeckte Farben (dunkelgrün und braun) herrschen vor, dazu ein Tupfer Gold für eine Krone, die den Markennamen krönt. Auf der Rückseite vermeldet der Informationstext, der Gründer dieser Kaffeemarke habe anno 1895 „einen Traum“ gehabt: Er sei auf dem Wochenmarkt gewesen, um … kleiner Scherz. Nein, des bekrönten Gründers Traum ging so: „Einen Kaffee zu rösten, der mit besonderer Qualität überzeugt und die Menschheit beflügelt, ihren eigenen Träumen zu folgen.“ Nun sind wir heute an den Geist beflügelnde Getränke ja längst gewöhnt; in der Regel greift der Kenner, wie man hört, zu einer Brause aus Wasser, Zucker, einigem anderen Zeugs und Taurin, das ist: eine organische Säure, die im Jahre 1827 von Leopold Gmelin und Friedrich Tiedemann aus der Ochsengalle isoliert wurde. Gmelin schrieb Gelegenheitsgedichte, die heute weitgehend vergessen sind; Tiedemann stemmte sich mit seiner Abhandlung „On the Brain of the Negro, compared with that of the European and the Orang-Outang“ von 1836 dem damals verbreiteten Irrglauben entgegen, es könnte zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe angeborene intellektuelle Unterschiede geben – eine beispiellose Idiotie, die heute nur noch zum Lachen reizt, sich damals jedoch, mindestens unter den Dümmsten der Dummen, einiger Beliebtheit erfreut haben soll. Aber Tiedemann war Anatom und Physiologe und also Wissenschaftler; er wusste es besser. Verdienstvolle Männer waren sie beide.

Zurück zu meinem krönenden Morgenkaffee, der mich ganz ohne Taurin dazu beflügeln sollte, meinen eigenen Träumen zu folgen. Meine Packung behauptete: „Heute, über 100 Jahre später, ist dieser Traum Wirklichkeit geworden.“ Wie das?, fragte ich die Packung. Sie antwortete schriftlich: „Das magische Verwöhnaroma macht“ aus diesem Kaffee „mehr als nur Kaffee und weckt große und kleine Träume“.

Das, dachte ich, lässt sich leicht auf die Probe stellen. Vor dem Zubettgehen schüttete ich eine Handvoll traumbeflügelndes Pulver in eine Tasse, goss kochendes Wasser darüber und trank. Allerdings wollten sich die herbeibefohlenen Träume dann doch nicht einstellen – womöglich weil ich nicht einschlafen konnte und stattdessen die Nacht hindurch fernsah.

Beim Fernsehen aber kam mir eine hübsche Idee: Könnte ich nicht meine Träume der einen oder anderen Firma anbieten, auf dass diese Werbeeinblendungen schaltet? Ich würde nicht mehr nur müßig und gelangweilt vor mich hinträumen und arglose Wochenmarkthändler der Obstunterschlagung verdächtigen, sondern könnte mich gemach zurücklehnen und mich über Espressomaschinen, Energiebrausen und andere Luxusgüter beraten lassen.

Und würde dadurch buchstäblich im Schlaf mein Geld verdienen.

Ist das machbar?

Zuschriften von interessierten Traumingenieuren bitte über diezukunft.de an mich!
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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