25. Januar 2023

Eine geniale Idee

Warum wir uns alle unbedingt für das Solaris-Programm interessieren sollten

Lesezeit: 4 min.

Hallo aus London! Wobei mir bewusst ist, dass der eine oder andere Leser aus Deutschland – einem Land, das sicher und behaglich im Schoß der Europäischen Union ruht – an dieser Stelle womöglich etwas hämisch kichern wird. Dazu kann ich nur sagen: Ich habe nicht für den Brexit gestimmt. Der Brexit war eine saublöde Idee und tut uns allen fürchterlich leid.

Aus offensichtlichen Gründen war ich seit drei Jahren nicht mehr in Großbritannien, aber da meine Schwester kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes war, hatte ich einen prima Grund, um aus Kanada rüberzufliegen. Ich wollte da sein, um … tja, irgendetwas zu tun. Wasser kochen. Zur Apotheke laufen. Essen machen, obwohl meine Schwester keinen Appetit hat. Langer Rede, kurzer Sinn – ich bin ich mal wieder in GB, und gewisse Dinge sind gar nicht so schlecht. Zum Beispiel habe ich endlich mal wieder ein ordentliches Guinness getrunken.

Davon abgesehen herrscht hier das blanke Chaos. Das Totalversagen der Regierung führt zu (Moment, ich muss schnell meine Notizen konsultieren): Nahrungsmittelknappheit, Streiks der Transportunternehmen, unkontrollierter Einleitung von Abwasser in Seen und Flüsse. Zu behaupten, dass diejenigen, die Großbritannien gerade regieren, korrupt und unfähig sind, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts – es sind nahezu karikaturhafte Idioten.

Am schlimmsten ist der irrsinnige Anstieg der Energiekosten pro Haushalt. Nach aktuellen Schätzungen werden die im Durchschnitt etwa fünftausend Pfund betragen, das sind beinahe sechstausend Euro. Und dabei streichen die Energiekonzerne einen Profit ein, bei dem mir die Ohren schlackern. Wenn es jemals ein Land gegeben hat, das ein anderes System als das gegenwärtige braucht, dann Großbritannien.

Zum Beispiel eines wie das der Europäischen Union – die Großbritannien dämlicherweise verlassen hat. Zum Glück bleiben die Briten Mitglied der Europäischen Weltraumorganisation ESA, sodass sie irgendwann von dem sogenannten Solaris-Programm profitieren könnten.

Das kennen Sie nicht? Nun, das Solaris-Programm ist eine wirklich geniale Idee. Ich habe mich in dieser Kolumne weiß Gott oft genug über den Zustand der Weltraumforschung beschwert, da ist es mal eine willkommene Abwechslung, etwas Positives berichten zu können – auch wenn wir auf diese positiven Effekte wahrscheinlich bis etwa 2030 warten müssen.

Auf den ersten Blick ist Solaris ein ebenso einfaches wie charmantes Konzept: Eine Reihe von riesigen Photovoltaiksatelliten, die in etwa 36.000 Kilometern Höhe die Erde umkreisen, schicken den von ihnen gesammelten Strom runter auf die Erde – und niemand muss sich mehr Gedanken machen, ob er das Licht angelassen hat.

Das ist deshalb genial, weil, zumindest theoretisch, diese Photovoltaikanlagen im Orbit erheblich leistungsfähiger sind als die auf der Erde, da ohne störende atmosphärische Gase deutlich mehr Sonnenenergie aufgenommen werden kann. Diese wird dann in Form von Hochfrequenzradiowellen zu Sammelstationen auf der Erdoberfläche geschickt und voilà: saubere, in unendlichen Mengen zur Verfügung stehende Energie.

So zumindest der Plan.

Könnte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen? Wohl kaum. In dem Weißbuch, das ich mir heruntergeladen habe, heißt es: „Die vorgeschlagene Radiowellenfrequenz liegt im ‚atmosphärischen Fenster‘ zwischen 1-10 GHz, womit eine von den Jahreszeiten und dem Wetter unabhängige maximale Energieübertragung erreicht werden kann.“ Gute Arbeit, Leute!

Derartige Pläne gibt es schon seit den 1960er-Jahren, waren aber bisher technologisch nicht umsetzbar. Ob sie auch politisch durchgesetzt werden können, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Können Sie sich vorstellen, dass diese Idee bei Shell oder BP große Begeisterung hervorruft? Ich mir auch nicht. Nicht, solange man mit dem Verbrennen toter Dinosaurier so viel Geld machen kann. Ob Solaris also jemals realisiert wird, steht sozusagen in den Sternen.

Außerdem muss man die langfristigen Folgen einer noch größeren Zahl von Satelliten im Orbit bedenken. Für die Generierung der benötigten Energie bräuchte es eine Menge Photovoltaiksatelliten. Wie würde unser Nachthimmel dann aussehen? Was, wenn bereits vorhandener oder zukünftiger Weltraumschrott mit diesen Satelliten kollidiert? Was, wenn China aus irgendeinem Grund sauer auf die EU ist und ein paar von den Dingern abschießt? Meines Wissens gibt es auf diese Fragen noch keine zufriedenstellenden Antworten.

Was aber nicht heißt, dass wir es nicht versuchen sollten. Ja, wir müssen es versuchen. Wir haben keine andere Wahl. Inzwischen dürfte wohl jedem klar sein, dass wir geliefert sind, wenn wir die Erde nicht bald zu einem Nullenergieplaneten machen.

Ich habe mich nicht zuletzt deshalb gegen eigene Kinder entschieden, weil es eine wirklich grauenhafte Vorstellung ist, mit welchen Problemen mein Nachwuchs in zehn, zwanzig, dreißig Jahren zu kämpfen hätte. Die Umweltzerstörung ist nur eines davon. Ein anderes ist die traumatische Erkenntnis, dass eine kleine Gruppe von Konzernlenkern einen ganzen Planeten zerstört hat – mit der eifrigen Hilfe von weniger reichen Personen, die auch unbedingt eine Yacht haben wollten.

Aber es gibt Menschen, die sich so etwas wie das Solaris-Programm ausdenken. Das lässt mich für meinen Neffen hoffen. Wer weiß, vielleicht muss er ja gar keine Stromrechnungen mehr zahlen, wenn er groß ist, weil dann unbegrenzt Energie zur Verfügung steht. Und vielleicht wird er britischer Premierminister und führt Großbritannien zurück in den Schoß der EU, wo es hingehört.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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