20. Januar 2020 1

Es gibt kein Deutschland

Science-Fiction-Fans wissen: Im Weltall ist die Nationalität egal

Lesezeit: 4 min.

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich Einwanderung für eine schlechte Sache halte. Die Einwanderung, wohlgemerkt. Nicht die Einwanderer. Ohne Einwanderer läuft gar nichts. Sie – oder besser gesagt: wir, ich selbst bin ja auch einer – erhöhen die Lebensqualität an den Orten, an denen sie sich niederlassen, dramatisch. Wir bringen bisher unbekanntes Essen, Musik und Gedanken mit. Wir machen eure Städte interessanter, euer Land vielfältiger und euer Abendessen besser. Die Einwanderung selbst dagegen – der Prozess, mit dem man Bürger eines anderen Staates wird – ist weltweit eine Katastrophe. Eine meistens vergebliche und völlig sinnlose Übung im Überqueren imaginärer Grenzen und dem Ausfüllen lästigen Papierkrams, den es nur gibt, weil es irgendein Politiker irgendwann einmal so beschlossen hat.

Von mir aus können wir alle Grenzen abschaffen. Mir ist natürlich klar, dass das höchstwahrscheinlich niemals passieren wird – und wenn doch, würde die daraufhin einsetzende Völkerwanderung gewaltige Probleme verursachen. Trotzdem: Nichts würde mich glücklicher machen als das Ende aller Grenzen.

Wieso ich überhaupt auf dieses Thema komme? Weil ich vor Kurzem einen Bericht über einen Mann namens Hassa al-Mansouri gelesen habe. Herr al-Mansouri ist der erste Astronaut aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wenn Sie diese Kolumne lesen, war er bereits im Rahmen einer NASA-Mission auf der Internationalen Raumstation ISS. Seine Regierung und die Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate sind aus naheliegenden Gründen sehr stolz auf ihn. Und ganz ehrlich: ich auch. Als Astronaut ins All zu fliegen, wenn das eigene Land noch nicht einmal ein Raumfahrtprogramm hat, ist kein Pappenstiel. Jeder, dem das gelingt, verdient meinen allergrößten Respekt.

Und jetzt denken Sie mal über Folgendes nach: In keinem Science-Fiction-Roman oder -Film, in denen die Erde nur ein einzelner Planet auf der gewaltigen galaktischen Bühne ist, wird die Nationalität der einzelnen Protagonisten erwähnt. Nehmen wir zum Beispiel „The Expanse“, diese fantastische Buchserie von James Corey, auf der die ebenso fantastische Fernsehserie auf Amazon Prime basiert.

Da meine Bücher bei demselben Verlag erscheinen wie die Werke der beiden Jungs, die hinter dem Pseudonym James Corey stecken, bin ich möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen, wenn ich behaupte, dass dieses fiktive Universum ein Paradebeispiel ist. In „The Expanse“ konkurrieren drei mächtige politische Gebilde miteinander: die Erde, der Mars und der Asteroidengürtel. Es kommen haufenweise Figuren vor, doch niemand, der von der Erde stammt, scheint eine bestimmte Nationalität zu besitzen. Im Gegenteil. Die Erde wird von den Vereinten Nationen mit Hauptsitz in New York regiert – einem futuristischen New York mit jeder Menge coolen Wolkenkratzern übrigens. Und doch gibt es in dieser Serie keine Amerikaner. Oder Briten. Oder Leute aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es sind einfach Menschen von der Erde. Keine Ahnung, ob es in diesem Universum fiktive Länder auf unserem Planeten gibt. Wenn dem so ist, dann werden sie nie erwähnt.

Was ist die logische Folge daraus? Wenn die Astronauten aus der Cupola der Internationalen Raumstation blicken, sehen Sie unseren Planeten. Angeblich ist diese Glaskuppel mit Abstand ihr Lieblingsplatz auf der ISS. Das ist verständlich – wenn man den Bildern Glauben schenkt, ist die Aussicht wirklich spektakulär. Und was sehen die Astronauten da? Nun, ganz offensichtlich keine Grenzen. Zwischen den einzelnen Ländern sind ja keine Striche auf den Boden gemalt. Sie sehen einfach nur einen Planeten. Einen kleinen, blauen, blassen Punkt.

Hassa al-Mansouri ist kein Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate. Jedenfalls nicht, wenn er die Atmosphäre verlässt. Sobald er sich auf der ISS befindet, ist er ein Erdenbürger. Grenzen spielen keine Rolle mehr. Sie sind so echt wie der imaginäre Spielkamerad eines Kindes.

Jetzt komme ich mir etwas scheinheilig vor, immerhin läuft gerade die Rugby-Weltmeisterschaft, und ich bin treuer Anhänger des südafrikanischen Teams – selbst wenn uns die Neuseeländer ungespitzt in den Boden rammen. Sollte es jemals ein echter südafrikanischer Astronaut auf die ISS schaffen (bisher haben sich nur ein paar Millionäre einen Platz dort erkauft), dann werde ich sicher die Flagge Südafrikas schwenken und unermüdlich verkünden, wie toll das alles für mein Land ist. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass dieses Land, in planetarischem Maßstab gesehen, nicht existiert. Südafrika, Deutschland, die Vereinigten Staaten und die Vereinigten Arabischen Emirate sind nur kleine Punkte auf der Karte. Winzige Landflächen, die im großen Ganzen nicht ins Gewicht fallen.

Wenn man in diesen Dimensionen denkt, kommen einem die Einwanderungsgesetze und Grenzen wie die dümmste Zeitverschwendung überhaupt vor.

So viel dazu, und hier noch eine erfreuliche Nachricht: „Verschollen“, mein neuer Roman, ist soeben in Deutschland erschienen! Es geht um eine Gruppe Weltraumtouristen, deren Urlaub sich zu einem gewaltigen Alptraum entwickelt. Lesen Sie ihn, er wird Ihnen gefallen!

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

Kommentare

Bild des Benutzers Ayhan

Doch es gibt ein Deutschland, es gibt ein Südafrika und es gibt eine Türkei. Wenn man sich im Weltall befindet, mag das in den Hintergrund treten, aber eben nur da. Oder aber nicht mal da?
Siehe
Liste der ISS-Module
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Liste_der_ISS-Module
Hier werden doch allerei Nationen genannt, oder?

Und auch in Filmen spielen Nationen eine Rolle, nämlich dann, wenn es auf der Erde Konflikte gibt. Und wenn nicht, gibt es eben als Ersatz der Nationen ganze Planeten oder ausserirdische Rassen!

Einwanderer erhöhen (kommt darauf an!) auch nur dann die Lebensqualität, wenn sie nicht in die Sozialsysteme einwandern - aber genau das ist bei uns überwiegend der Fall (kein Job oder Niedriglöhner). Ausserdem läuft natürlich auch ohne Einwanderer alles weiter - siehe zum Beispiel Japan. Und falls auf der Erde die Weltbevölkerung jemals zurückgehen sollte, wird es auch weiterlaufen - das wird schon dank des menschlichen Erfindergeistes kein Problem sein.

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