Jugend forscht
Warum die NASA eine Schülerinitiative braucht, um den Astronauten auf der ISS das Leben leichter zu machen
Klebeband.
Im Prinzip eine einfache Sache, und Sie haben sicher auch schon mal welches benutzt. Trotzdem muss ich aus Verständnisgründen noch einmal genau erläutern, was ich mit „Klebeband“ in diesem speziellen Fall meine: Ein gut haftendes und außergewöhnlich zähes Gewebeband in den unterschiedlichsten Ausführungen, das auch als Gaffer-Tape, Industrieklebeband, Strukturklebeband und Panzerband bekannt ist. Damit kann man nicht nur Kabel auf einem Bühnenboden befestigen oder löchrige Rohrleitungen abdichten, sondern auch Gegenstände zusammenkleben oder seinen Partner damit einwickeln (wenn Sie auf so etwas stehen).
Es ist billig und praktisch unzerreißbar (fragen Sie Ihren Partner). Jährlich werden Millionen Rollen davon verkauft.
Klebeband ist so nützlich, dass es nicht nur die NASA, sondern auch jedes andere Raumfahrtunternehmen der Welt benutzt. Das Zeug haftet in der Schwerelosigkeit so gut wie auf der Erde und ist unverzichtbar, wenn man auf einem Raumschiff schnell mal etwas reparieren muss. In Andy Weirs brillantem Roman Der Marsianer schreibt der gestrandete Astronaut Mark Watney dem Klebeband sogar magische Kräfte zu. Angesichts seiner breiten Verwendungsmöglichkeiten durchaus verständlich.
Leider gibt es dabei eine Schwierigkeit: Um ein Stück Klebeband von der Rolle zu reißen, braucht man zwei Hände. Eine hält die Rolle, die andere das Ende des Bandes. Auf der Erde ist das ganz einfach, aber in der Schwerelosigkeit - wie zum Beispiel auf der ISS - bleibt nichts dort, wo man es hinlegt. Schon wird aus einer simplen Handlung, die wir ohne Nachzudenken ausführen, ein komplexes Problem. Man kann zwar beide Hände benutzen, muss sich aber gleichzeitig festhalten. Klar, man könnte sich mit dem Fuß irgendwo einhaken oder eine improvisierte Abrollvorrichtung erfinden, umständlich ist es trotzdem. Reißt man das Band mit den Zähnen ab, erhält man eine unregelmäßige Abrisskante, und für eine Schere braucht man eine zusätzliche freie Hand.
Vor Kurzem haben ein paar Highschool-Schüler das Klebebandproblem gelöst.
Die NASA hat so viele Programme und Initiativen ins Leben gerufen, dass nicht alle der Öffentlichkeit bekannt sind. Eine dieser Initiativen trägt den schönen Namen HUNCH, was für High School Students United with NASA to Create Hardware („Highschoolschüler arbeiten mit der NASA an neuartiger Technik“) steht. Ein Akronym, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen – nichtdestotrotz haben die Schüler in den achtzehn Jahren, die diese Initiative schon besteht, in Zusammenarbeit mit der NASA Haltegriffe, Werkzeuge, Spezialtische und vieles mehr entworfen. Bis auf einen Flug in einer echten Rakete fällt mir keine effektivere Methode ein, junge Menschen für den Weltraum zu interessieren.
Und jetzt haben diese Schüler einen Klebebandhalter erfunden. Einen genialen noch dazu.
Wie schon gesagt, ist das Problem mit Klebeband im Weltraum, dass eine Abrollvorrichtung dafür fehlt. Auf der Erde gibt es natürlich massenweise davon – aber keine, die den Anforderungen der Astronauten auf der ISS entspricht. Sie sind nicht mit den Systemen der Raumstation kompatibel, was bedeutet, dass man sie nur schwer befestigen kann. Dafür bräuchte man schon Klebeband, und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Man kann sich den verzweifelten Funkspruch des Astronauten an die Bodenstation vorstellen: „Ich muss den Abroller mit Klebeband fixieren, aber wie soll ich das Klebeband abreißen, wenn der Abroller nicht fixiert ist? Hilfehilfehilfe!“
Die Lösung der Schüler ist so bestechend einfach, dass man sich fragt, warum die NASA nicht schon längst darauf gekommen ist. Man braucht lediglich einen Abroller, der sich in die Handläufe klemmen lässt, die überall auf der ISS angebracht sind. So können die Astronauten mit einer Hand ein Stück Band abziehen und dann – und das ist der entscheidende Vorteil – dieses mithilfe eines am Abroller befestigten Messers sauber abschneiden. Und schon haben sie ein perfektes Stück Klebeband.
Sie kennen sicher die Anekdote, dass die Amerikaner Millionen von Dollar für die Entwicklung eines Weltraumkugelschreibers ausgegeben, während die Russen einfach einen Bleistift genommen haben. Ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht, ist umstritten. Den Klebebandabroller dagegen gibt es wirklich, Sie können sich Videos davon ansehen. Ich weiß nicht, was mich mehr erstaunt: Dass es so lange gedauert hat, ein simples Problem zu lösen, mit dem die Astronauten praktisch ständig zu kämpfen haben, oder dass ich es geschafft habe, eine ganze Kolumne über das Thema Klebeband zu schreiben. Wenn Sie bis zum Ende durchgehalten haben, bin ich wirklich beeindruckt.
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.
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