15. Februar 2016 3 Likes

Im Krieg

Über den Besuch einer beeindruckenden Ausstellung – in der ein entscheidendes Objekt fehlt

Lesezeit: 5 min.

Es ist Anfang Februar, und ich stehe vor einem Massengrab. Gut, die Skelette in diesem Grab sind an die vierhundert Jahre alt, trotzdem ist es unmöglich, sich ihrer unmittelbaren Wirkung zu entziehen: Es sind die Überreste von siebenundvierzig Männern, die im November 1632 während der Schlacht bei Lützen, einer der folgenreichsten des Dreißigjährigen Krieges, gefallen sind. Soldaten beider Seiten, zum Zeitpunkt des Todes zwischen fünfzehn und fünfzig Jahre alt, damals gemeinsam verscharrt, ihre Knochen jetzt miteinander verwoben, als hätten sie für ein surrealistisches Gemälde Modell gestanden.

Das 2010 geborgene „Massengrab von Lützen“ ist eines der zentralen Objekte in der Ausstellung „Krieg – Eine archäologische Spurensuche“, die noch bis zum 22. Mai in Halle zu sehen ist, und wenn Sie in den kommenden Wochen in der Gegend sind, empfehle ich Ihnen einen Besuch. Allerdings sollten Sie darauf gefasst sein, dass sich beim Betrachten all der Kriegsgeräte, Schlachtfelder, Gewaltszenen und, immer wieder, Gräber aus Jahrtausenden europäischer Kriegsgeschichte jene wohlige Distanz, die ein Museum in den allermeisten Fällen ermöglicht, verflüchtigt. Jedenfalls ist es mir so ergangen: Auf schmerzhafte Weise macht die in Halle ausgestellte Ikonografie bewusst, dass wir uns als Spezies über den Krieg definieren; nicht, weil wir prinzipiell gewalttätig sind – natürlich gehört der Konflikt von Anfang an dazu, aber Gewalt war und ist nur eine von vielen erprobten Optionen der Konfliktbewältigung –, sondern weil wir uns kulturell darauf geprägt haben, dass Krieg und Frieden einander bedingen. Das war nicht immer so, das war sogar die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte nicht so. Erst im Neolithikum, mit der Sesshaftwerdung, der Konzentration von Ressourcen, der Hierarchisierung sozialer Verhältnisse erzeugte die Gattung Mensch ein neues Bild von sich selbst: als ein Wesen, das sich durch den Krieg befrieden muss, immer wieder.

Und so wird die museale Distanz – mit der Schlacht bei Lützen endet der zeitliche Bogen, den die Ausstellung schlägt – auch dadurch aufgehoben, dass sich vierhundert Jahre und etliche internationale Konventionen später eines noch immer nicht geändert hat: Krieg – aktuell der entgrenzte, in jeder Hinsicht asymmetrische Krieg – ist weiterhin ein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Wir betrachten ein Massengrab aus dem 17. Jahrhundert und denken an Syrien im Jahr 2016. Folgerichtig schreiben die Ausstellungsmacher in ihrer Einleitung zum opulenten Begleitband: „Wir hoffen zutiefst, dass das Thema Krieg an Aktualität verliert und zukünftigen Generationen irgendwann als ein fast vergessenes Phänomen der Menschheitsgeschichte erscheinen wird.“

Dieses „irgendwann“ bringt mich zur Science-Fiction, das heißt zu ihrer derzeit erfolgreichsten Ausprägung: Star Wars. Kinogänger meines Jahrgangs erinnern sich vielleicht noch, dass der erste (respektive vierte) Teil der Saga damals unter dem Titel Krieg der Sterne firmierte und dass es genau darum ging: um Krieg. Wer wessen Vater ist und warum es notwendig ist, die Demokratie zu zerstören, um sie zu retten – dieses ganze Brimborium kam erst später. Seltsamerweise hat das in der Rezeption von Star Wars jedoch nie eine große Rolle gespielt; sogar die in altlinken Ehren ergraute Zeitschrift Konkret freut sich in ihrer aktuellen Ausgabe über die „starken Bilder“ und die „Diversifizierung“ im neuesten Star-Wars-Film Das Erwachen der Macht. Dabei setzt gerade dieser Film in Sachen Krieg neue Maßstäbe: Gleich zu Beginn erleben wir eine Massenerschießung von Dorfbewohnern à la Srebrenica. Und später sprengt der böse „First Order“, der seine Truppenaufmärsche wie Reichsparteitage inszeniert, mehrere Planeten auf einmal in die Luft. Milliarden Menschen sterben, die Sequenz dauert vielleicht drei Minuten, keiner der Protagonisten verliert ein Wort darüber.

Die Science-Fiction – siehe etwa die Klingonen in Star Trek, Heinleins insektoide Aliens oder auch Haldemans „taurische Bedrohung“ – hat sich schon immer schwer damit getan, im Krieg der Zukunft etwas anderes zu sehen als eine Allegorie, aber mit Star Wars erreicht diese einfallslose Fortschreibung der Menschheitsgeschichte ihren trivialmythologischen Höhepunkt. Im Star-Wars-Universum ist der Krieg die universelle Bühne; jenseits davon ist: nichts. (Abgesehen von der Hardware ist der einzige Unterschied zu historischen Zuständen, dass in Star Wars – Triumph der Diversifizierung – auch Frauen auf sämtlichen militärischen Ebenen mitmischen dürfen.)

Nehme ich das alles zu ernst? Immerhin bestreitet niemand, dass wir es hier mit nerdigem Eskapismus zu tun haben, und dagegen habe ich überhaupt nichts. Aber es gibt solchen und solchen Eskapismus (man könnte ja auch Vögel beobachten oder bei einem Snooker-Turnier mitfiebern), und wenn jener nicht gerade kleine Teil der Menschheit, der sich eine Kinokarte leisten kann, vor einer kriegerischen Gegenwart in eine kriegerische Zukunft flieht, dann sagt das etwas über uns als Spezies: über unsere kollektive Fantasie, über unsere kollektive Fantasielosigkeit. Als würde sich Kants prophetischer Satz in seiner Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ bis in alle Ewigkeit bewahrheiten: dass man nämlich „nicht voraussagen könne, ob nicht die Zwietracht, die unserer Gattung so natürlich ist, am Ende für uns eine Hölle von Übeln in einem noch so gesitteten Zustande vorbereite, indem sie vielleicht diesen Zustand selbst und alle bisherigen Fortschritte in der Kultur durch barbarische Verwüstungen wieder vernichten werde …“

Nein, es ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, dass der Krieg zukünftigen Generationen „irgendwann“ als fast vergessenes Phänomen erscheinen wird – aber nicht, weil die Zwietracht unserer Gattung so natürlich ist und auch im 21. Jahrhundert Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden, sondern weil wir uns kulturell immer wieder aufs Neue darin bestätigen, dass wir genau diese Art von Wesen sind. Und so dachte ich, als ich die Ausstellung in Halle verließ, dass am Ausgang ein entscheidendes Objekt fehlt, ein Objekt aus Das Erwachen der Macht: John Boyegas blutbespritzte Stormtrooper-Rüstung. Sie ist nicht nur ein einzigartiges Star-Wars-Requisit (so nahe ist uns die Gewalt in den sechs vorherigen Filmen ästhetisch tatsächlich nie gekommen), sie ist auch ein einzigartiges Artefakt – ein Artefakt aus einer Zukunft, in der der Krieg die zivilisatorische Deutungshoheit hat.

Ein Artefakt aus der Zukunft, in der wir leben.
 

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