4. Dezember 2017

Von Washington nach Berlin

Meine Serientipps für die dunkle Jahreszeit

Lesezeit: 4 min.

Nun ist es also Winter geworden, die Tage sind kürzer, die Abende länger, die Nächte auch. Da blättert man gerne im Angebot des Streamdienstleisters seines Vertrauens und freut sich auf das Serienprogramm.

Mir sind, wie ich kürzlich bemerkt habe, vor allem zwei Serien ans winterliche Herz gewachsen: House of Cards (2013ff.) und Designated Survivor (2016f.).

Der „Designierte Survivor“ – also der „Vorherbestimmte Überlebende“ – ist Kiefer Sutherland alias Tom Kirkman, der Wohnungsbauminister der US-Regierung. Während Mr. President im Kapitol vor dem Kongress und dem Rest seines Kabinetts die Rede zur Lage der Nation hält, verfolgt Kirkman die Rede nur im Fernsehen, denn er ist für diesen Abend zum Designated Survivor bestimmt, zu demjenigen, der im unwahrscheinlichen Falle des Falles eines verheerenden Attentat auf die Regierung überleben und die USA handlungsfähig halten soll.

Die USA haben die Präsidentschaftsnachfolge nämlich minutiös geregelt, und zwar im Presidential Succession Act der Verfassung aus dem Jahr 1947: Sollte der amtierende Präsident sterben, übernimmt zuerst der Vizepräsident die Regierungsgewalt, falls dieser verhindert sein sollte, übernimmt der Sprecher des Repräsentantenhauses, nötigenfalls dann der „President pro tempore“ des Senats. Sollte kein Senatsmitglied diesen potentiellen Anschlag überlebt haben, folgt ein Kabinettsmitglied, und zwar in der Reihenfolge der Gründung der Ministerien: Nummer eins wäre der Außenminister, dann der Finanzminister, dann der Verteidigungminister, und so weiter.

Wenn aber keine dieser Personen mehr zur Verfügung steht, folgt eben der Designated Survivor, der sich deswegen bei gegebenen Anlässen möglichst weit entfernt vom Kapitol aufhalten soll, am besten außerhalb Washingtons. Bekannte Designated Survivors waren Dan Glickman (Landwirtschaftsminister unter Clinton), Robert Gates (Verteidigungsminister unter Bush) oder Ken Salazar (Innenminister unter Obama). Aus Interviews weiß man, dass sie den betreffenden Tag nicht als besonders angenehm erlebt haben: umgeben von zahleichen Agenten, einem Arzt und einem Offizier, der die Codes für einen Nuklearschlag parat hält. Wer der aktuelle Designated Survivor ist, unterliegt strengster Geheimhaltung.

In der besagten Serie kommt es natürlich, und zwar gleich zu Beginn, zum schlimmsten aller Fälle. Das Kapitol wird gesprengt, niemand überlebt (wie es zunächst scheint). Der Designated Survivor wird als Präsident vereidigt. Sutherland, ein in England geborener Kanadier, macht dabei seine Sache gut. Wie auch nicht, immerhin ist er nicht nur mit dem Golden Globe und dem Emmy ausgezeichnet, sondern auch noch ein Enkel jenes Tommy Douglas, der es zum Premierminister der kanadischen Provinz Saskatchewan gebracht hat.

Man versteht Präsident Kirkman am besten als Gegenentwurf zu dem intriganten Francis Underwood (Kevin Spacey, inzwischen aus allen Hollywood-Himmeln gefallen) aus House of Cards, der sich (Vorsicht, Spoiler!) zunächst zum Vizepräsidenten intrigiert und dann die Macht im Staat an sich intrigiert. Er ist eben ein begabter, gelernter, studierter Intrigant, und seine Gattin Claire ist eine Intrigantin. Überhaupt sind beide lasterhafte Personen: Beide rauchen, beide joggen, beide haben keine Kinder. Und bisexuell ist dieser Underwood wohl auch noch!

Da sind die Kirkmans – Tom und Alex – aus anderem Holz geschnitzt. Sie sind so herzensgut und endlos aufrichtig, dass es beinahe schmerzt. Eltern sind sie überdies, natürlich von einem Knaben und einem Töchterlein. Selbstverständlich ist Präsident Kirkman nicht nur ein guter Vater, sondern darüber hinaus klug, führungsstark, edel und hilfereich – ein Präsident, wie er im Bilderbuch steht, ein wahres Gottesgeschenk (und zwar eines guten Gottes, der einen Großteil seiner Zeit ohnehin damit verbringt, Amerika zu segnen).

Man könnte sagen: die Kirkmans sind die Utopie, die Underwoods die Dystopie des politischen Amerikas.

Die Mr. Presidents scheinen überhaupt zum Filmheldentum zu taugen. Übertroffen wird die hollywoodeske Präsenz von Mr. President nur von zugewanderten Filmemachern aus Teutonia; ich erinnere mal an Wolfgang Petersens Air Force One (1997), wo der Präsident James Marshall (Harrison Ford) garstigen Terroristen mit eigener Hand das Handwerk legt, oder an Roland Emmerichs Apotheose des Präsidententums Independence Day (1996), wo sich Präsident Thomas J. Whitmore (Bill Pullman) ins Jagdflugzeug setzt, um Amerika und die Welt vor den Aliens from outer space zu retten. (Donald Trump setzte das musikalische Hauptthema des Films Air Force One übrigens bei mehreren Wahlkampfauftritten seiner Präsidentschaftskampagne von 2016 ein.) Der cineastische US-Präsident ist eine Figur irgendwo zwischen Haudegen und Messias, sein serielles Gegenstück eine Erscheinung wie aus einem Traum (oder, wie beim höllischen Underwood, aus einem Alptraum).

Ich möchte meinen: Hierzulande haben inzwischen viel mehr Menschen eine ziemlich genaue Vorstellung vom Oval Office als vom Arbeitszimmer der Kanzlerin. Warum befeuert das hiesige Regierungspersonal die Phantasie so wenig? Fehlt es ihm an utopischer Dimension? Oder an dämonischer Kompetenz? An Schlagkraft oder Charisma? Glorie und Verruchtheit? An außerirdischen Gegenspielern oder paffender Nikotinsucht? Großen Lüsten und Lastern?

Wer weiß.

Vielleicht sehen wir ja demnächst eine Vorabendserie, in der sich ein separationistischer Politiker aus, sagen wir mal, Bayern (könnte aber auch Mecklenburg-Vorpommern sein) an die Macht im Landwirtschaftsministerium intrigiert – ein smarter, aber bodenständiger, barocker, bauernschlauer Typ mit einem mehr oder weniger sympathischen Laster (er isst in Stresssituationen zwei, drei Schokoladenkaramelriegel). Dann kommt es inmitten Berlins zu einer Katastrophe: Ein Vulkan bricht aus beziehungsweise Aliens landen auf dem unvollendeten Flughafen beziehungsweise beides, die Kanzlerin flieht mit allen Ministern in einem Regierungs-U-Boot unter das ewige Eis der Arktis. Nur der intrigante Landwirtschaftsminister aus Bayern beziehungsweise Mecklenburg-Vorpommern ist noch vor Ort (weil er, als das Kabinett ins U-Boot stieg, bei Rewe Schokoriegel kaufen war) und hält die Stellung, wächst mit seinen Aufgaben und steigt am Ende eigenhändig in einen Eurofighter, um die fliegende Festung der schwarzen Weltrauminsekten zu erobern.

Er trägt zur Atemmaske ein Kampfdirndl, denn er ist nicht nur schokoladenabhängig, sondern bisexuell.

Bis es soweit ist, schippe ich Schnee (so es welchen gibt) und schaue hernach die amerikanischen Serien.

Off we go, Mr. President.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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