30. September 2019 1 Likes

3D-Drucker, Lungen … und der Weltraum

Warum es manchmal einfach besser ist, auf der Erde zu bleiben

Lesezeit: 4 min.

Als Schriftsteller, der sich mit dem Weltraum und der Technologie zu seiner Erforschung auseinandersetzt, stolpert man gelegentlich über ziemlich merkwürdige Geschichten. Der Großteil des Weltraums und der Dinge, die sich darin befinden, sind uns immer noch unbekannt, und das verleitet uns dazu, einfallsreiche und aufsehenerregende Experimente anzustellen – einfach nur, um herauszufinden, was es dort so gibt und was wir dort alles anstellen können. Nach einer Weile jedoch betrachtet man diese Bemühungen mit einem gewissen Zynismus – der x-te Versuch, ein Paar Air Jordans auf den Mars zu befördern, haut mich nicht mehr vom Hocker, tut mir leid.

Die Nachricht aber, dass jemand vorhat, mit einem 3D-Drucker eine Lunge im Weltraum auszudrucken, machte mich dann doch neugierig – und Sie ja sicher auch, oder? Warum in aller Welt sollte man so etwas tun? Zu welchem Zweck? Meines Wissens verfügen alle Menschen, die sich derzeit in der Umlaufbahn um die Erde befinden, über eine gesunde Lunge. Wenn mich nicht alles täuscht, ist eine gesunde Lunge sogar ein Einstellungskriterium für Astronauten.

Im Prinzip geht es um Folgendes: Zwei Firmen – Techshot und nScrypt – haben vor, einen 3D-Drucker auf die ISS zu schaffen. Wie Sie sich sicher denken können, ist das selbstverständlich kein gewöhnlicher 3D-Drucker, der nur alberne kleine Kunststofffiguren ausspuckt. Nein, dieses spezielle Gerät kann menschliches Gewebe drucken und wird daher auch als BioFabrication Facility (kurz BFF) bezeichnet. Eine gute Nachricht für alle, die eine neue Lunge, ein neues Herz oder neue Nieren brauchen. Noch muss man ja geduldig darauf warten, bis jemand stirbt, dessen Organ man sich dann transplantieren lassen kann. Doch wenn wir menschliches Gewebe einfach züchten könnten, bräuchten wir keine Spenderorgane mehr.

An dieser Stelle drängt sich Ihnen sicher eine sehr naheliegende und logische Frage auf: Warum ausgerechnet im Weltraum? Merkwürdigerweise schweigt sich jeder Artikel zum Thema über dieses Detail aus, als könnte man den Schreiberlingen nicht zumuten, etwas so Offensichtliches zu erklären. Gebt euch mal ein bisschen mehr Mühe, wenn ich bitten darf! Nun, ich habe etwas nachgeforscht, und der Grund ist folgender: Man muss menschliches Gewebe im Weltraum ausdrucken, weil es auf der Erde von seinem eigenen Gewicht zerquetscht werden würde. Das klingt zunächst einmal nicht besonders logisch – wie schwer kann so ein bisschen Lungengewebe schon sein? Aber tatsächlich geht es darum, wie die einzelnen Zellen miteinander verbunden sind, um die Mikrostruktur des Gewebes also. Mal angenommen, Sie müssten eine sehr große Pyramide aus vielen kleinen Murmeln bauen. Wo behält diese Pyramide wohl eher ihre Form bei, in einer Umgebung mit Schwerkraft oder ohne?

Sobald man das menschliche Gewebe in einer schwerelosen Umgebung ausgedruckt hat, verfrachtet man es in ein Zellkultursystem. Das ist so ähnlich wie das „Grinding“ in einem Videospiel: Der Zellhaufen steigt Level für Level auf und ist damit in der Lage, immer stärkeren Bedrohungen standzuhalten (wie zum Beispiel die irdische Schwerkraft).

Das alles klingt höchst vernünftig – aber nur, wenn es tatsächlich unmöglich wäre, menschliches Gewebe hier auf der Erde zu züchten. Doch das ist nicht der Fall. Erst letztes Jahr haben Wissenschaftler des Imperial College und des King‘s College in London im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts genau das geschafft. Der Clou dabei: Sie haben die Biotinte mit Trockeneis gekühlt, sobald sie aus dem Drucker kam, und dadurch stabilisiert. Zugegeben: Diese Methode steckt noch in den Kinderschuhen, um es mal vorsichtig zu formulieren, und es gibt auch keine Garantie dafür, dass sie irgendwann funktionieren wird – eine erfolgreiche Transplantation auf menschliche Haut steht noch aus. Dennoch: Die Notwendigkeit, menschliches Gewebe auf der ISS zu drucken, wird damit infrage gestellt.

Wie lautet nun die Moral von der Geschichte? Welche Schlussfolgerung können wir daraus ziehen? Dass man nicht in den Weltraum fliegen muss, um menschliches Gewebe herzustellen? Dass die Schwerkraft auf der Erde doof ist und abgeschafft werden sollte? Nein. Ich glaube, die Lektion, die wir daraus lernen können, ist diese: Egal, wie das Problem lautet, der Weltraum ist immer eine extrem teure und aufwändige Lösung. Nur weil wir etwas auf der Erde nicht fertigbringen, ist es noch lange keine brillante Idee, das Ganze ins Weltall zu verlagern. Das sollten sich übrigens auch die Schlaumeier hinter die Ohren schreiben, die glauben, dass die Besiedelung eines anderen Planeten die Lösung des Klimawandels ist.

Jeder, der diese Kolumne kennt, weiß, wie sehr ich den Weltraum liebe und dass ich im Allgemeinen dafür bin, dass die Menschheit so viel wie möglich da oben herumexperimentiert. Aber so schwer es mir auch fällt, das zuzugeben: Wenn es um bestimmte wissenschaftliche Entwicklungen geht, ist es manchmal besser, auf der Erde zu bleiben.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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