31. Mai 2021 1

Erstkontakt unmöglich

Was, wenn wir Aliens finden und dann nichts weiter passiert?

Lesezeit: 4 min.

Dabei rede ich nicht von einer Invasion. Wenn tatsächlich eine Zivilisation technologisch so fortgeschritten und entschlossen genug ist, das Weltall zu durchqueren, um unseren winzigen Hinterwäldlerplaneten zu plündern, haben wir ohnehin nicht die geringste Chance, sie zu stoppen. Nein, ich meine etwas anderes: Was, wenn wir zweifelsfrei beweisen, dass es noch anderes Leben im Universum gibt - und keinen Kontakt mit ihm aufnehmen können?

Das ist nicht so weit hergeholt, wie Sie vielleicht denken. Vor Kurzem stolperte ich auf space.com über einen Artikel mit der Überschrift: Womöglich saugen Außerirdische Energie aus Schwarzen Löchern, und dadurch können wir sie aufspüren. Selbstverständlich habe ich gleich darauf geklickt. In dem Text geht es um eine in der Zeitschrift Physical Review erschienene Studie, in der behauptet wird, dass es theoretisch möglich ist, mittels eines komplizierten wissenschaftlichen Verfahrens, dem sogenannten Penrose-Prozess, einem Schwarzen Loch Energie abzuzapfen. Ich wollte besagte Studie wirklich lesen, musste aber nach drei Anläufen aufgeben, daher kann ich Ihnen leider nicht erklären, wie der Penrose-Prozess funktioniert. Luca Comisso von der Columbia University, der für das Papier verantwortliche Physiker, stellt darin jedenfalls die These auf, dass ein Nachweis dieses Prozesses in der Nähe Schwarzer Löchern darauf hindeuten könnte, dass hier fortgeschrittene außerirdische Zivilisationen am Werk sind.

Das alles ist zugegebenermaßen reine Spekulation, schließlich ist der Penrose-Prozess selbst momentan nur graue Theorie. Trotzdem kam ich ins Grübeln: Angenommen, wir würden wirklich Penrose-Partikel (oder was auch immer im Umkreis des nächsten Schwarzen Lochs zu finden ist) entdecken – was dann?

Die traurige Wahrheit ist nämlich, dass wir dieses Schwarze Loch beim derzeitigen Forschungsstand gar nicht erreichen könnten, selbst wenn wir wollten. Auch nicht mit unserer fortschrittlichsten Technologie. Das nächste Schwarze Loch ist über tausend Lichtjahre entfernt, die Reise dorthin wäre in keinem vernünftigen Zeitraum möglich. Mit anderen Worten: Wir hätten den eindeutigen Beweis, dass eine außerirdische Zivilisation existiert, dass es tatsächlich Aliens gibt – und wir könnten nichts tun. Wir könnten keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen. Wir würden nur die Begleiterscheinungen ihrer Energiegewinnungsmethoden sehen, mehr nicht.

Das findet der Science-Fiction-Autor in mir natürlich äußerst interessant. Was würde das für die Erde bedeuten? Wie würde unsere Gesellschaft reagieren, wenn wir den endgültigen und unwiderlegbaren Beweis erbringen würden, dass es außer uns noch weiteres Leben im Universum gibt, dass dies aber in absehbarer Zukunft keine Konsequenzen für uns hat? Dass die Außerirdischen kein Interesse an einer Invasion haben, weil sie noch nicht einmal wissen, dass es uns gibt. Und wir können nichts daran ändern. Wir müssen einfach weitermachen wie bisher. Aber die Welt wäre eine andere.

Beispielsweise würden die großen Weltreligionen eine bisher ungekannte Veränderung durchmachen. Soweit ich weiß (aber ich lasse mich jederzeit gerne eines Besseren belehren), haben sowohl das Judentum als auch der Islam prinzipiell kein Problem mit der Vorstellung von anderen Welten und anderen Zivilisationen. Im Talmud steht, dass Gott zwischen den Welten reist, und laut Koran „gehört Allah alles, was in den Himmeln und was auf der Erde ist“. Und das Christentum? Ach du lieber Himmel! Da ist Erlösung nur durch Bekenntnis der Sünden möglich, und diese können nur vergeben werden, weil Jesus gekreuzigt wurde und wiederauferstanden ist. Viel Spaß mit der Behauptung, dass so etwas Ähnliches auch auf außerirdischen Welten geschehen ist! Obwohl mir die Vorstellung eines intergalaktischen Weltraum-Jesus gut gefällt (klingt wie eine Netflix-Serie mit Will Ferrell), würde sie in der realen Welt doch auf gewisse Widerstände stoßen.

Kurz gesagt: Es käme zu einer gewaltigen, internationalen Glaubenskrise, ausgenommen vermutlich die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters (die gibt es wirklich, schlagen Sie’s nach) und der Jediismus. Diese Bewegungen würden wohl große Missionierungsanstrengungen unternehmen und beachtliche Mitgliederzuwächse verzeichnen.

Und können Sie sich die neuen Geschäftsmodelle vorstellen, die im Zuge dieser Entdeckung aus dem Boden sprießen würden? Ich rede nicht nur von den vielen Scharlatanen, die Ihnen in teuren Lehrgängen und Seminaren beibringen wollen, wie man mit Telepathie, Reiki oder Energiekristallen Kontakt mit unseren himmlischen Brüdern aufnimmt. Nein, ich meine Versicherungen. Wie lange wird es wohl dauern, bis ein geschäftstüchtiger Konzern auf die Idee kommt, Versicherungen für den Fall zu verkaufen, dass die Außerirdischen uns bemerken und ins Visier nehmen? Einen Tag, nicht länger.

Das alles klingt ziemlich negativ, aber es hätte auch seine Vorteile. Stellen Sie sich einen weltumspannenden Paradigmenwechsel vor: Alle Augen richten sich auf den Weltraum – in dem Wissen, dass es dort tatsächlich ein Ziel gibt. Eines der größten Hemmnisse der Weltraumforschung ist die schlichte Tatsache, dass sie nicht zweckgebunden ist. Was wollen wir auf dem Mars oder dem Jupiter? Was haben wir davon, außer vielleicht ein paar wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem guten Gefühl, es geschafft zu haben? Ich will nicht behaupten, dass wir unsere außerirdischen Freunde tatsächlich kontaktieren könnten – tausend Lichtjahre sind tausend Lichtjahre. Aber die Weltraumforschung könnte das gesteigerte Interesse und die damit verbundenen finanziellen Zuwendungen gut gebrauchen.

Und sollte sich herausstellen, dass diese Schwarzlochenergiesauger tatsächlich uns feindlich gesinnte Dreckskerle sind, haben wir zumindest noch etwas Zeit, um Weltraum-Jesus zu Hilfe zu rufen.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

Kommentare

Bild des Benutzers Slambo14

Das mit den Glaubenskrisen erinnert mich an eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury aus seinen Mars Chroniken. Priester werden auf den Mars geschickt um dessen Bewohner zu Missionieren und sehen sich mit einer kompletten Neudefinition von "Sünde" und Seelenheil konfrontiert. Sehr interessant.

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