2. November 2023 6 Likes 1

Wir Zukunftshelden

Vom Wissen und Wissen-Wollen in einer Welt, in der praktisch nichts gemeinschaftsstiftend ist

Lesezeit: 6 min.

Es ist überraschend einfach, ein Zukunftsheld zu werden. Als ich kürzlich aus beruflichen Gründen einige Tage in einem Frankfurter Hotel verbrachte, habe ich während des Zimmerlüftens die Heizung abgedreht, nur so viel Wasser wie wirklich nötig verbraucht, die Treppe statt des Aufzugs genommen und sogar auf die Zimmerreinigung verzichtet. Kurzum, ich habe alles getan, was es laut eines Infoblatts des Hotels braucht, um ein „Zukunftsheld“ zu sein, der „Ressourcen spart und nachhaltig handelt“. Großartig, oder?

Das alles ist tatsächlich ernstgemeint (für den als „Turbo-Tipp“ angepriesenen Verzicht auf die Zimmerreinigung gibt es sogar ein Gratisgetränk an der Hotelbar), und so schwer es auch fällt, diese Kampagne nicht mit einem Schwall Ironie zu übergießen, versuche ich mal, sie meinerseits ernst zu nehmen. Im Sinne von: Was ist hier eigentlich geschehen? Mit der Zukunft? Mit uns allen?

Irgendwann in den letzten Jahren, der exakte Zeitpunkt wird sich wohl nie bestimmen lassen, ist die Zukunftsdebatte in ihre frivole Phase eingetreten. Für viele Menschen ist „die Zukunft“ keine Realität, also keine konkrete zukünftige Gegenwart mehr, sondern ein Alltagsritual wie Händewaschen oder E-Mail-Checken. Haben wir uns heute schon fünf Minuten um „die Zukunft“ gekümmert? Ja? Na, dann ist alles in Ordnung.

Damit will ich selbstverständlich nicht sagen, dass es falsch ist, Ressourcen zu sparen, im Gegenteil. Aber sollten Sie jemals in diesem Hotel residieren, in dem man zum Zukunftshelden werden kann, werden Sie sofort merken, dass es dabei überhaupt nicht ums Ressourcensparen geht, sondern darum, den Gästen zu einem guten Gefühl zu verhelfen: Wenn ihr das und das tut, dann seid ihr auf der richtigen Seite, völlig egal, wie lapidar es ist, was ihr tut. Und nicht nur Sie merken das, alle merken das.

Alle, auch die Hotelmanager, wissen, wie grotesk so eine Zukunftsheldenkampagne ist, aber andererseits: Ist ja auch egal. Der Stand der Zukunft ist inzwischen so verheerend, so überfordernd, dass viele von uns gar nicht mehr wissen, wohin sie denken sollen, und sich nur allzu gerne in eine virtuelle Blase flüchten, in der die Zukunft ein munteres Dasein als Wohlfühlprodukt führt.

Und nicht nur das. Während die Fakten (nicht die berüchtigten alternativen Fakten, sondern einfach: die Fakten) das Bild der Zukunft immer düsterer und vor allem immer gegenwärtiger werden lassen, läuft in dieser virtuellen Es-wird-schon-gutgehen-Blase im Großen und Ganzen alles prima, denn, so die Argumentation, „der Mensch“ (oder „die Menschheit“) hat sich doch immer schon großen Herausforderungen gegenübergesehen und hat sie mit „seinem“ Einfallsreichtum jedes Mal gemeistert.

Regelmäßig wird in dieser Blase darauf rekurriert, dass die weitverbreitete negative Zukunftsstimmung das Resultat einer falschen Wahrnehmung sei. Die meisten von uns würden nur das wahrnehmen, was schlecht läuft, und übersehen, dass in Wahrheit alles immer besser wird: Die heutigen Menschen leben statistisch viel länger als früher, sind wohlhabender und haben technische Möglichkeiten zur Verfügung, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten.

Selten fehlt auch der Hinweis darauf, dass die Welt gefühlt schon immer „untergegangen“ sei, dass die Apokalypse schon immer kurz bevorstand, in jeder Epoche, in jeder Generation. So betrachtet ist die planetare Krise der Gegenwart einfach nur das, was einst der drohende Nuklearkrieg, das Ozonloch oder, ein Dauerbrenner in der deutschen Diskussion, das Waldsterben war. Und schaut: Die Welt ist immer noch da. Was soll also der ganze Pessimismus, die Miesmacherei, die Weltuntergangsstimmung?

Abgesehen davon, dass hier terminologisch einiges durcheinanderpurzelt („die Welt“ kann gar nicht untergehen), Dinge miteinander verglichen werden, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden (was genau hat ein Nuklearkrieg mit der Nicht-Linearität ökologischer Verläufe zu tun?), und ein Wesen namens „Mensch“ konstruiert wird, das bisher niemand vollständig beschreiben konnte, liegt alldem doch ein sehr interessanter Gedanke zugrunde: dass sich am Ende unsere Rationalität durchsetzen wird, dass wir Menschen, wenn es hart auf hart kommt, doch das Richtige tun werden.

Davon war ich auch lange überzeugt. Wenn nur genug Menschen, so meinte ich, erfahren, was uns blüht, sollten wir die Kohle- und Ölvorräte des Planeten verfeuern, dann ergreifen wir schon die entsprechenden Maßnahmen – aus Selbsterhaltungstrieb, aus Verantwortung gegenüber jenen, die nach uns kommen, oder eben schlicht aus Vernunft. Ich dachte, dass (um den allzu pathetischen Begriff „Wahrheit“ zu vermeiden) Wissen, echtes Wissen, dazu geeignet ist, erst eine moralische und dann eine politische Gemeinschaft zu stiften.

Was für ein Irrtum. Inzwischen ist die planetare Krise zwar in der politischen Arena angekommen, aber sie wird dort verhandelt, als wäre sie ein „grünes Projekt“ oder eine „grüne Ideologie“. Protestbewegungen, deren Methoden womöglich fragwürdig, deren Forderungen aber wahrlich nicht radikal sind, werden kriminalisiert. Und es gibt sogar Parteien, die bestreiten, dass wir uns überhaupt in einer planetaren Krise befinden, und damit jede Menge Wählerinnen und Wähler anziehen, die sich eine eingebildete Vergangenheit zurückwünschen. Fakten? Welche Fakten?

Aber wie konnte ich auch nur so naiv sein. Schließlich leben wir in einer Welt, in der praktisch nichts gemeinschaftsstiftend ist. Wir können uns nicht einmal darauf einigen, dass das, was am 7. Oktober in Israel geschah, die Todesorgie eines islamistischen Kults war (und kein antikolonialistischer Reflex). Ebenso wenig darauf, dass das, was zwei Tage zuvor im ostukrainischen Dorf Hrosa geschah, Teil der russischen Politik des wahllosen Tötens war (und kein Kampf gegen den Faschismus).

Menschen glauben, was sie glauben wollen oder ihnen die politische, religiöse oder politisch-religiöse Macht zu glauben vorgibt. Menschen sind keine rationalen Geschöpfe, und die Klügeren von denen, die sich in der Es-wird-schon-gutgehen-Blase tummeln, wissen das. Deshalb haben sie zum Politischen kaum etwas und zur Gemeinschaftsstiftung gar nichts zu sagen.

Ihr Mittel der Wahl ist es, die technischen Manipulationen von Homo sapiens, die in der Vergangenheit, sagen wir, eher suboptimal gelaufen sind, mit noch mehr Manipulationen wieder gutzumachen. Ihre Zukunft ist ein einziger großer Technofix, ein Ingenieursrausch, eine Hugo-Gernsback-Fantasie. Anstatt das zu bewahren, was uns seit Jahrtausenden eine in der Erdgeschichte ohnehin seltene Stabilität beschert, soll weiter umgebaut werden, sollen die alten planetenverändernden Technologien mit neuen ausgetrieben werden, und die dann wieder mit neuen, und so weiter.

Es gab jedoch nie eine ökologische Krise, die mit einem Wechsel der technischen Methoden tatsächlich gelöst wurde, und die wird es auch nie geben – einfach deshalb, weil das gar nicht möglich ist. Wenn es im 21. Jahrhundert etwas wirklich zu wissen gibt, dann das: Wir können nicht nicht ökologisch sein. „Die Menschheit“ ist nicht denkbar ohne „die Welt“. Und die Welt ist kein Objekt, an dem man nur lange genug herumschrauben muss, bis es endlich passt. Die Welt ist lebendig, sie ist voller Lebewesen, die schon Millionen von Jahren vor uns da waren, und wir Menschen sind ein Teil dieses Lebendigen.

Aber auch darauf werden wir uns natürlich nicht einigen können, denn die meisten von uns wollen nicht irgendetwas wissen, sondern sie wollen Gutenachtgeschichten erzählt bekommen: dass alles gar nicht so schlimm ist, dass uns die Technik schon raushauen wird. Es gibt inzwischen sogar Milieus, mächtige Milieus, in denen man sich daran berauscht, dass „der Mensch“ die Erde gar nicht nötig hat, dass wir eben den Weltraum erobern werden, wenn wir mit diesem Planeten durch sind. Es ist ziemlich beängstigend.

Macht mich das nun zu einem Pessimisten? Einem Miesmacher? Verbreite ich Weltuntergangsstimmung?

Aus Sicht der Es-wird-schon-gutgehen-Fraktion tue ich das wohl, aber die Wahrheit ist: Ich habe keine Ahnung, ob Homo sapiens einmal als gescheiterte Spezies gelten wird, ich bin, was das angeht, weder pessimistisch noch optimistisch. Sondern ich denke, dass diese Art von Optimismus ein Teil des Problems ist, vielleicht sogar das eigentliche Problem. Die Parole „Es wird schon gutgehen“ hat schon häufig zum Verschwinden von Zivilisationen geführt.

Auch das könnten wir wissen, wenn wir es wissen wollen, und die eigentlichen Zukunftshelden, Zukunftsheldinnen vor allem, sind für mich genau jene, die es wissen wollen – die sich dem aussetzen, was wirklich geschieht: mit der Zukunft, mit uns allen. Das ist ziemlich schmerzhaft, deshalb sind es auch nur wenige Menschen, die das tun, aber es gibt sie, und meine Hoffnung ist es, dass es mehr werden.

Vielleicht denkt sich jemand dafür ja auch einmal eine Marketingkampagne aus.

 

Sascha Mamczak ist der Autor von „Die Zukunft – Eine Einführung“ und „Science-Fiction. 100 Seiten“. Zuletzt ist sein Jugendsachbuch „Überall Leben – Vom erstaunlichen Miteinander der Arten auf unserem Planeten“ erschienen. Alle Kolumnen von Sascha Mamczak finden Sie hier.

Kommentare

Bild des Benutzers Peter Spang

Kompliment Herr Mamczak, sehr treffend formuliert! Die "Es-wird-schon-gutgehen-Fraktion" wird in nicht allzu ferner Zukunft erleben, dass man das "Klima" nicht schützen muss, sondern den Menschen. Dem "Klima" ist es so egal, ob es 5 Grad wärmer ist, wie es der "Welt" ziemlich Wurst ist ,ob sie untergeht. Biologie (Biodiversitätsverlust) und Physik (CO2-Anstieg) sind nun mal nicht verhandelbar, da wird die ausgefeilteste Marketingstrategie nichts dran ändern...Danke für den Text, dem ich eine möglichst weite Verbreitung wünsche!

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