28. Oktober 2015 2 Likes

Mit Eiland Eins gegen die Weltkatastrophe

In seinem spannenden Klassiker „Die Kolonie“ kommt Ben Bova den Gegenwartskrisen verblüffend nahe

Lesezeit: 3 min.

Mehr als sieben Milliarden Menschen leben heute auf der Erde – eine Zahl, die auch Ben Bova seinem ambitionierten Roman „Die Kolonie“ (im Shop) zugrunde gelegt hat, allerdings bereits für das Jahr 2008. Doch das entworfene Bild ist mit der Gegenwart durchaus vergleichbar: Die Rohstoffvorkommen sind beinahe erschöpft, Staaten werden durch milliardenschwere Konzerne destabilisiert, und die übergeordnete Weltregierung agiert hilflos. Eine globale Katastrophe scheint unvermeidlich.

Das hat auch der Wissenschaftler David Adams erkannt, der auf Basis verfügbarer Daten Prognosen zur wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Entwicklung abgibt. Er lebt auf Eiland Eins, einer zylindrischen Raumstation von zwanzig Kilometern Länge, deren Innenseite bewohnbar gemacht wurde und eine kostbare Alternative zur ruinierten Erde mit ihren riesigen Städten darstellt. Erbaut aus Mondgestein, lebt hier eine reiche Elite inmitten weiträumiger See- und Berglandschaften; die zur Station gehörenden Sonnenkraftwerke versorgen die Erde mit Energie.

Doch Eiland Eins ist in den Händen eines Industriekonsortiums und entsprechend Sperrgebiet. Als sich die Journalistin Evelyn Hall unter einem Vorwand einschmuggelt, entdeckt sie auch rasch ein Geheimnis – zu Eiland Eins gehört noch eine zweite Röhre, die offiziell für Ackerbau verwendet wird. Tatsächlich aber ist sie der Inbegriff eines tropischen Paradieses und ansonsten leer. Anstatt den Raum für Siedler der überbevölkerten Erde zur Verfügung zu stellen, wird hier offenbar ein weiteres Refugium für Privilegierte vorbereitet.

Das weiß auch David Adams, und er beginnt, sich der Entwicklung entgegenzustellen. Adams ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern wurde genetisch erheblich verbessert. Er verfügt über weitreichende Fähigkeiten, die er nun einsetzt, um zunächst in einem gewagten Manöver von der Station zum Mond überzuwechseln. Was naturgemäß nicht unbemerkt bleibt – und mächtige Gegner auf den Plan ruft.

Der sechsmalige Hugo-Preisträger Ben Bova wurde 1932 geboren und hat weit über hundert Bücher veröffentlicht. Er ist vor allem für die „Grand Tour“ bekannt geworden, eine Serie fesselnder Abenteuerromane wie beispielsweise „Venus“ (im Shop), „Jupiter“ (im Shop) und „Saturn“ (im Shop), die die Erkundung des Sonnensystems beschreiben und dabei irdische Konflikte wie etwa religiösen Fundamentalismus ausdrücklich mit einbeziehen. „Die Kolonie“ ist 1978 erschienen und gliedert sich in jene Linie ehrgeizig-kritischer Werke ein, die stark von John Brunner und seinen Anti-Utopien „Morgenwelt“ (im Shop) und „Schafe blicken auf“ (im Shop; eine Rezension der beiden Titel finden Sie hier) geprägt wurden: Ein großes Figureninventar und zahlreiche Auszüge aus größtenteils fiktiven Sachbüchern, Tagebüchern und Zeitungsartikeln erlauben einen umfassenden Blick auf eine Welt, in der sich die Gegenwart unschwer wiedererkennen lässt. Insbesondere die Rolle global agierender Konzerne, deren Finanzkraft ganze Staaten in Bedrängnis zu bringen vermag, ist von verblüffender Aktualität.

Allerdings wäre Bova kein souveräner Autor, wenn er über das Ausmalen einer bedrohlichen Zukunft das Erzählen einer mitreißenden Geschichte vergessen würde. Spannung kommt in den verschiedenen Handlungssträngen dank ausgeprägter Thrillerelemente keineswegs zu kurz. Schade nur, dass sich unsere heutigen Probleme nicht von einem genetisch perfektionierten „Übermenschen“ lösen lassen. Oder möchte sich Donald Trump für den Job bewerben? Möglich ist alles.

Ben Bova: Die Kolonie (Colony) • Roman • Aus dem Amerikanischen von Gottfried Feidel • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • E-Only • € 4,99 (im Shop)

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