11. April 2016 1 Likes

Die Sprache der Zukunft

Sumerisch? Klingonisch? Interkosmo? Alles, nur bitte nicht Latein!

Lesezeit: 4 min.

Aus gegebenem Anlass ärgere ich mich zurzeit wieder einmal über die Zumutung, ein Latinum erwerben zu müssen. Heiliger Grünkohl, wie hängen mir Bildungsbürgers Parolen aus dem Hals, dieses verknöcherte, knochenbleiche, endungslüstern daherrumpelnde sprachliche Trauerspiel beatae memoriae (seligen Angedenkens) tue dem humanistischen Geist wohl, fördere das logische Denken, präpariere aufs Vortrefflichste für das Studium anderer, vorzüglich romanischer Zungen und so weiter blablabla.

Schwachsinn!

Ein verworreneres, uneleganteres, quatsch- und knalltütigeres Idiom ist wohl nie ersonnen worden. Latein, das ist sozusagen der Lloyd 300 unter den Sprachen. Wer wie ich einer Generation angehört, die das Tragen von phrygischen Mützen noch den Schlümpfen überlassen hat, weiß, was das heißt: Die Karosserie dieses Schlittens war aus Sperrholz gefertigt und entsprechend leicht entflammbar, weswegen der Volksmund seinerzeit folgenden Vers über den Leukoplastbomber dichtete: „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“.

Zugegeben, die Erinnerung an den LP 300 zaubert immerhin noch das Lächeln das Überlebthabenden ins Gesicht; Latein zaubert gar nicht. Latein ist tot, töter, am tötesten, allenfalls Lustobjekt linguistischer Nekrophilie. Mit wie viel mehr Recht könnte man heute das Sumerische preisen, immerhin die erste Sprache, für die eine Schrift entwickelt wurde, eine ganz beispiellose Sprache übrigens, die Fachleute in aller Kürze als agglutinierende Split-Ergativsprache mit grammatischem Geschlecht bezeichnen - völlig zurecht: „Dug“ heißt „die Rede“, zugleich auch „reden“; „du-du“ bedeutet „die Worte“ oder auch „alle Worte“ ‒ das leuchtet ein.

Sumerisch wäre, keine Frage, ein mehr als vollwertiger Ersatz fürs Lateinische; sie wartet mit vielfältig-formschönen Wörtern für Götter, König und Schafe auf, das dürfte den Kultusministerien und Zugangsbeschränkern aller Länder doch behagen. Aber bei aller Liebe: Auch das Sumerische ist wohl kaum die kommende Sprache, nicht die Sprache der Zukunft.

Dabei ist an Zukunftssprachen eigentlich kein Mangel. Weltweit wächst die Gemeinde, die Shakespeare am liebsten auf Klingonisch liest.

Klingonisch?

Klingonisch!

Klingonisch ist eine erstaunlich familiäre Sprache. „Vav“ heißt Vater; „benI“ Schwester. Will der klingonische Krieger „Pappi“ sagen, heißt das „vavoy“; sein Schwesterchen redet er mit „be’nI’oy“ an. Die Nachsilbe „-oy“ deklariert nämlich, dass der Sprecher in einer liebevollen Beziehung zum oy-sierten Gegenüber steht. In meinem Klingonisch-Kurs, den ich im Netz gefunden habe, wird allerdings „stark davon abgeraten, diese Nachsilbe zu verwenden, wenn Sie sich nicht vollkommen im Klaren darüber sind, in was Sie da hineingeraten können“.

Anders als Sumerisch ist Klingonisch eine frei erfundene Sprache. Solche linguistischen Schöpfungen aus dem Nichts hat es auch früher schon gegeben. Ich erinnere an die Lingua ignota der Hildegard von Bingen, die nach Herzenslust Kalendarisches, Kirchliches und Hauswirtschaftliches neu benamst hat. Manche denken in diesem Zusammenhang vielleicht auch an das Medefaidrin, das in den 1920er Jahren bei Mitgliedern einer überschaubaren christlichen Missionsgruppe im südlichen Nigeria populär war.

Sprachen erfinden ist immer ein Geschäft der phantastischen Literatur gewesen; die Wikipedia listet unter anderem auf: Tolkiens Elbensprachen Quenya und Sindarin, das Tomanische in Chaplins „Großem Diktator“, Paul Frommers Na’vi der Bewohner Pandoras, das Dothrakische beim Spiel der Throne, Parsel bei Harry Potter, natürlich auch Interkosmo und Satron (Arkonidisch), das im Perryversum gesprochen wird und aus dem die Romane ins Deutsche übersetzt sind. (Insider wissen, dass auch die Aufnahmeprüfung für’s Perry-Rhodan-Autorenteam teils in Interkosmo stattfindet, teils in Satron. Knifflig.)

Ich lerne neuerdings Hawaiianisch.

Warum?

Weil weder Sumerisch noch Klingonisch, weil weder Tomanisch noch Sindarin, sondern Hawaiianisch die Sprache der Zukunft ist.

Im Hawaiianischen gibt es weder „sein“ noch „haben“.

Will der Hawaiianer sagen: „Du bist glücklich“, dann sagt er: „ua hauʻoli ʻoe“ und leitet vom Eigenschaftswort „glücklich“ ein Verb ab, setzt sozusagen das Glück um in die Tat.

Will er sagen: „Das ist eine Kiste“, dann sagt er „he pahu kēia“: „eine Kiste das“.

„Ala“ heißt „Weg“, „Aloha“ sagt Hallo!, Willkommen!, Tschüß!, Auf Wiedersehen!, Mach’s gut!

„Heiau“ ist eine religiöse Stätte, eine Tempelanlage; „haupia“ eine Puddingsorte (die früher bekanntlich aus Kokosnusscreme gemacht wurde; heute findet eher Maisstärke Verwendung). Zwischen haupia und heiau weiß der Fachmann genau zu unterscheiden, auch wenn es nicht immer leicht fällt.

„Pahu“ ‒ die Trommel, „pua“ ‒ die Blume, „pūpū“ ‒ die Vorspeise: das kann man sich merken.

Ginge es gerecht zu auf der Welt, drehte sie sich um „pūpū“ und „pua“ und um „haupia“ (von mir aus ohne Kokosnusscreme) statt um Erdöl, Immobilienblasen und … ach, genug gejammert.

Schafft schon mal das Latinum ab. Das wäre ein guter erster Schritt in eine leuchtendere Zukunft.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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