17. August 2022 2 Likes

„Am Abgrund des Krieges“ von Arkady Martine

Das Sequel des Hugo-prämierten Romans „Im Herzen des Imperiums“

Lesezeit: 3 min.

Arkady Martines (im Shop) Debütroman „Im Herzen des Imperiums“ (im Shop) von 2019 sorgte für Begeisterung. Die Ideen, das Konzept, die Sprache, die Exotik – all das war anders als ein Großteil dessen, was das Science-Fiction-Genre in den letzten Jahren sonst so aufgefahren hat. Und den Fans gefiel, was sie da von der amerikanischen Autorin zum Drauf-herum-kauen und Auf-der-Zunge-zergehen-lassen geboten bekommen hatten: Nicht umsonst erhielt die 1985 geborene Byzanz-Historikerin und Stadtplanerin, die eigentlich Dr. AnnaLinden Weller heißt und schon auf verschiedenen Kontinenten lebte, neben allerhand Lobeshymnen einen Hugo Award für den besten Roman (hier kann man ihre Dankesrede nachlesen, an dieser Stelle ein Interview mit ihr zum Erscheinen ihres Erstlings auf Deutsch). Jetzt liegt bei Heyne Am Abgrund des Krieges“ (im Shop) vor, der zweite Band über Mahit Dzmare und ihre Verstrickungen mit dem galaktischen Teixcalaanlischen Imperium.

Weil das Buch ein direktes Sequel ist, fangen wir am Besten noch mal mit einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teils an. Spoiler voraus für alle, die den Auftaktband bisher nicht gelesen haben sollten! „Im Herzen des Imperiums“ erzählte, wie die junge Diplomatin Mahit Dzmare als Botschafterin der Lsel-Bergbau-Stationswelt in die planetare Hauptstadt des mächtigen Teixcalaanlischen Imperiums kam. Dort regulieren Poesie, Etikette, Sprache, Politik, Intrigen, Pokerfaces und ein allgegenwärtiger Algorithmus das tägliche sowie das höfische Miteinander. Alle anderen Kulturen, einschließlich der von Mahit, werden zudem als Barbaren angesehen und sollen geschluckt werden. Mahits beste Waffe gegen einem fetten Kulturschock, lebensbedrohliche Ränke und eine Revolution um den Thron des Imperators war ihre Imago-Maschine. Dank dieses Implantats können Menschen von Lsel eine Symbiose mit Erinnerungen, Persönlichkeiten und dem Muskelgedächtnis aus mentalen Back-ups der Verstorbenen eingehen. Nach jeder Menge gehaltvoller Space Opera, diplomatischem Drama und extravagantem Cyberpunk konnte Lsel fürs Erste vor dem ewigen Expansionshunger des Imperiums bewahrt werden – aufgrund einer durch Lsel enthüllten Alien-Bedrohung für das Weltraum-Großreich. Allerdings wurde Mahits Imago obendrein aus den eigenen Reihen heraus sabotiert, was unsere Heldin zu einer dreifaltig denkenden und handelnden Person gemacht hat …


Arkady Martine. Foto © Karen Osborne

Zu Beginn von „Am Abgrund des Krieges“ muss sich die Flotte der neuen Teixcalaanlischen Imperatorin Neunzehn Breitaxt jenseits des letzten Raum-Sprungtores nun mit einer gefährlichen Alien-Bedrohung auseinandersetzen. Bei der Interaktion mit den fremdartigen, allem Anschein nach aggressiven Wesen soll Drei Seegras vom imperialen Geheimdienst helfen, die Mahit binnen kurzer Zeit auf dem zentralen Stadtplaneten des Imperiums eine gute Freundin geworden ist. Wenn nicht sogar mehr. Und auch am Anfang des Sequels entpuppt Drei Seegras sich als Retterin: Denn Mahits sabotiertes Imago und die politischen Fraktionen auf ihrer Station bringen Mahit in ernste Bedrängnis. Da kommt es äußerst gelegen, dass Drei Seegras „ihre“ Botschafterin auf dem Weg an die Front einsammelt, da Mahit als Kommunikationsspezialistin mit der unverständlichen Alien-Zivilisation wertvollen Input liefern soll. Unterdessen macht Acht Gegengift, der junge designierte Thronerbe des Imperiums, wichtige Erfahrungen in Sachen Machtspiele, die sich von seinem Heimatplaneten bis ins All zur Flottenkommandantin Neun Hibiskus erstrecken …

In der Fortsetzung ihres preisgekrönten Debüts ergänzt Arkady Martine ihre retrofuturistisch-barocke, charakter-getriebene Space Opera um eine starke Erstkontakt-Geschichte, einen subversiven Lsel-Comic und niedliche Katzentiere. Trotzdem bleibt es dabei: Ihre SF, von Elizabeth Bear genauso beeinflusst wie von Max Gladstone, ist auf interessante Weise anders. Keine lockere Unterhaltung, kein Action-Feuerwerk, nicht mal besonders einfach. Das Universum von „Im Herzen des Imperiums“ und „Am Abgrund des Krieges“ hat eine immense Tiefe und Breite, und im Sequel scheint die US-Autorin entschlossener denn je, so weit wie möglich in ihre Schöpfung einzutauchen. Lässt man sich beim Lesen darauf ein, ja, lässt man sich in diese gewaltige Kreation ziehen, kann man entsprechend staunen und vor allem eines: genussvoll schwelgen.

Martine kostet jedes Detail, jede Feinheit und jedes Wort aus. Manchmal too much, wesentlich öfter und sowieso nach einer gewissen Seitenzahl genau richtig für alle, die ihre Science-Fiction-Lektüre faszinierend, komplex, nuanciert, herausfordernd und klug mögen – ebenso substanziell wie subtil, mit einem überbordenden Weltenentwurf, geschliffenen kulturellen Details und naturalistischen Figuren im Zentrum von allem.

Arkady Martine: Am Abgrund des Krieges • Originaltitel: A Desolation Called Peace • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen • Wilhelm Heyne Verlag • 704 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 16,00 • im Shop

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