15. Juni 2018 1 Likes

Darmweiche Wände und penible Bürokraten

So spannend wie schräg: Der neue Science-Fiction-Roman von Georg Klein

Lesezeit: 3 min.

Ein Bürotrupp, der einen Ausbruchsversuch aus streng disziplinierten Verhältnissen wagt, und eine „Naturkontrollagentin“, die sich auf ein seltsam überwuchertes Gebäude zubewegt – dies ist die Ausgangssituation von „Miakro“, dem neuen Science-Fiction-Roman von Georg Klein, dessen Bücher im literarischen Mainstream für gewöhnlich mehr Aufmerksamkeit als bei der Genreleserschaft bekommen. Dies ist durchaus ein Versäumnis, denn auch mit „Miakro“ gelingt es dem Autor, eine ebenso spannende wie befremdliche Geschichte zu erzählen, die jedoch noch mehr als seine vorhergegangenen Bücher ihr Geheimnis bewahrt.

Georg Klein: MiakroSchon zu Beginn ist die Welt des „Mittleren Büros“ nicht mehr ganz in Ordnung. Ein kalter Wind pfeift durch die organisch wirkenden Räumlichkeiten, in denen unter Leitung des klugen Nettler der dicke Guhler, der starke Axler, der schöne Schiller und der kleine Wehler ihr Werk verrichten. Sie stehen an Tischen aus weich wogendem Glas und bearbeiten Bilder, um deren „Fluss und Verschränkung“ zu ordnen. Außerhalb des kuppelartigen Arbeitsraums, in einem schwer zu durchschauenden darmartigen System, stellen Nährflure einfache Mahlzeiten bereit, während sich öffnende und schließende Löcher in den Wänden den Durchgang regeln. Viele Dinge – wie Messer, Seife oder Kleidung – sind nur selten zu bekommen. Aus dieser retrosozialistisch erscheinenden Mangelgesellschaft brechen Nettler und seine Mannen aus, nachdem Wehler verschwunden ist. Ihr Ziel: die außen gelegene „wilde Welt“, zu der sich nur schwer Kontakt herstellen lässt.

Ebendort hat eine Hundertschaft Soldaten rund um einen ehemaligen Verwaltungsbau Stellung bezogen, der von einem „Unding“ befallen wurde: eine Art Pilzgewächs, das die Mauern des Gebäudes beharrlich auseinandertreibt. Vor gut einer Woche ist der Kontakt zum fünfköpfigen Expeditionsteam abgebrochen, obwohl zumindest einige der Teilnehmer Erfahrung mit dieser Form von Begegnung haben. Nachdem ein Raupenroboter nicht zu helfen vermochte, macht sich nun die Naturkontrollagentin Xazy auf den Weg, um den Verschwundenen nachzuspüren – oder dem, was von ihnen übriggeblieben ist.

Georg Klein (Jahrgang 1953), seit seiner ersten Buchveröffentlichung „Libidissi“ (1998) Garant für trickreich inszenierte Genreerzählungen mit magisch schillernder Sprachoberfläche, hat sich von Anfang an für Science-Fiction interessiert. Dies betrifft nicht nur die Prosa, wie etwa zuletzt den Zweiweltenroman „Die Zukunft des Mars“ (2013), sondern ebenso seine Zeitungsbeiträge, in denen er sich unter anderem zu Gibsons „Neuromancer“-Trilogie (im Shop), Heinleins „Ein Fremder in einer fremden Welt“ (im Shop) oder Harrisons „New York 1999“ (im Shop) äußert. Auch bei „Miakro“ handelt es sich um Science-Fiction, auch wenn der Begriff in der öffentlichen Diskussion meist nur am Rand genannt wird. Der Roman ist erneut ein großartiges Wort- und Bilderlabyrinth, durch das sich der Leser lustvoll hindurchschlängeln kann. Zugleich aber bewahrt das Buch trotz abgeschlossener Handlung sein Geheimnis: Nicht alles wird aufgeklärt, nicht jedes Detail auf dem Altar der Ratio geopfert. Wie bei den Gemälden von Neo Rauch bleiben traumhaft-unwirkliche Lücken, an denen sich die eigene Phantasie entzünden kann. Hierin erinnert „Miakro“ an Dietmar Dath und Christopher Ecker, die ebenfalls Mischformen aus feuilletontauglichen Themen und Science-Fiction schreiben – und wie Klein lange bewiesen haben, dass sich der Gegensatz zwischen unterhaltender und ernsthafter Literatur vollkommen erledigt hat.

Und: Obwohl Kleins „wilde Welt“ bewusst umrisshaft entwickelt und mit herrlich irritierenden Elementen ausgestattet ist, wäre es ein Fehler, in ihr etwas anderes als ein geschickt verzerrtes Spiegelbild unserer Gegenwart zu sehen, das die allgegenwärtige Entfremdung – beispielsweise am Arbeitsplatz – auf den Punkt bringt. Allerdings begnügt sich Klein mit raffinierten Andeutungen, wo andere Autoren möglicherweise platte Botschaften unterbringen würden. Sein Buch ist ein höchst subjektiver Blick auf die Welt, in dem Relikte des Ost-West-Konflikts ebenso eine Rolle spielen wie Computerversessenheit und abnehmende Sprachkompetenz. Kein Wunder, dass der Roman für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war.
 

Georg Klein: Miakro • Rowohlt Verlag • 336 Seiten • € 24,–

Kleins Kulturbetrachtungen (auch zur Science-Fiction) sind gesammelt in: Schund & Segen. 77 abverlangte Texte • Rowohlt Verlag • 432 Seiten • € 22,95

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