12. März 2021 1 Likes

Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt

Gefühle und Fakten, Emotionen und Entropie: Ein SF-Roman von Erika Swyler

Lesezeit: 3 min.

Wunderschönes Cover, klangvoller Titel, ganz klar Science-Fiction – und doch fände man Erika Swylers (im Shop) Roman „Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt in den Buchhandlungen wohl eher nicht im SF-Regal zwischen den Werken von Martha Wells (im Shop), Kathleen Weise (im Shop) und Adrian Tchaikowsky (im Shop). Die Amerikanerin Swyler, die sich mit ihrem Debütroman Das Geheimnis der Schwimmerin“ (im Shop) einen Namen machte, ist nun mal keine Genre-Autorin, kein Teil der „aktuellen Science-Fiction-Szene“. Dennoch hat es immer seinen Reiz, wie sich Schreibende von außerhalb der gegenwärtigen Genre-Blase den typischen Themen der SF nähern, während sie konzeptionell und stilistisch einem „anderen literarischen Ansatz“ folgen, sogar eine ganz andere Leserschaft im Sinn haben.

In „Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt“, im Original „Light From Other Stars“, erzählt Swyler auf zwei Zeitebenen die Geschichte von Nedda Papas. Schon als junges Mädchen ist Nedda, die in Florida im Schatten der Orangenplantagen und des Raketenstartgeländes Cape Canaveral aufwächst, von der Raumfahrt und der NASA besessen. Das liegt sicher an ihrer wissenshungrigen, neurotischen Veranlagung, aber genauso an ihren Eltern, einer zwischenzeitlich nur noch kuchenbackenden Chemikerin und einem obsessiven Physiker und Erfinder. Das reale Desaster um das Space Shuttle Challenger, das kurz nach dem Start explodierte, trifft Nedda wie alle in ihrem Umfeld und ganz Amerika schwer. Doch die Auswirkungen der Katastrophe sind noch schlimmer, da sie die Maschine verändern, die Neddas Vater an der Uni gebaut hat, um die Entropie zu überwinden und die Zeit in einem geschlossenen System zu manipulieren. Mit nunmehr fatalen Folgen für seine Familie und deren Mitmenschen. In der Zukunft, als Nedda selbst zur Besatzung eines Raumschiffs gehört, das die Menschheit vor dem Klimawandel retten und eine von Robotern und Rovern vorbereitete Kolonialwelt erschließen soll, gibt es unterdessen ebenfalls einige Schwierigkeiten mit der Technik an Bord, denen sich Nedda und ihre Kollegen stellen müssen …


Erika Swyler. Foto © BJ Enright

Die persönlichen Dramen und das wissenschaftliche Fiasko um Nedda und ihre Eltern in der Vergangenheit interagieren primär auf emotionaler Ebene mit den Geschehnissen in der Zukunft und im Weltraum. Erika Swyler, die mit Mann und Kaninchen auf Long Island lebt und obendrein bereits in der „New York Times“, Magazinen und Anthologien veröffentlicht hat, versteht ihr Handwerk und hat einen feinen Stil. Und obwohl die Amerikanerin sehr auf Figuren und Gefühle achtet, sodass der weiche Roman etwa Fans von Matt Haig (im Shop) und Carl Hiaasen (im Shop) besonders gefallen wird, spürt man, wie wichtig Swyler auch ihre Hard-Science-Fiction-Elemente sind: wenn die Zeit durch eine menschengemachte Apparatur mit schaurigen Folgen beeinflusst wird oder das lange Reisen im All massive Auswirkungen auf Körper und Seele hat. Am Ende ist „Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt“ trotz der zu erwartenden Fokussierung auf die Beziehungen der Protagonisten dann also gar nicht so softe Science-Fiction, wie man anfangs denkt.

Erika Swyler: Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt • Limes, 2021 • 446 Seiten • E-Books: € 15,99 (im Shop)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.