21. Mai 2020 3 Likes

Jäger des unberechenbaren Blitzes

Wissenschaft, Waffenforschung und Obsession: Cixin Lius Roman „Kugelblitz“

Lesezeit: 2 min.

Mit seiner „Trisolaris“-Trilogie um den Weltbestseller „Die drei Sonnen“ hat Cixin Liu (im Shop) der gegenwärtigen Science-Fiction-Literatur aus seiner chinesischen Heimat den Weg in den Westen geebnet und ein internationales Publikum gewonnen – selbst in Deutschland erscheinen diverse Romane und neuerdings sogar dicke Anthologien, während von Cixin Liu obendrein eine großartige Kurzgeschichtensammlung herauskam. Mit „Kugelblitz“ (im Shop) liegt nun ein neuer Roman des früheren Ingenieurs auf Deutsch vor, der im Original bereits 2000 erschienen ist.

Die Geschichte beginnt damit, dass die Eltern von Ich-Erzähler Cheng durch die extreme Naturgewalt eines Kugelblitzes sterben. Daraufhin verschreibt der junge Chinese sein gesamtes Leben diesem weitgehend unerforschten, unerklärlichen Phänomen. Er studiert und promoviert, geht in die Blitzforschung und lässt sich sogar mit dem chinesischen Militär ein, nur um immer mehr über die mächtigen, unberechenbaren und unheilvollen Kugelblitze zu erfahren, die sein Dasein beherrschen und bestimmen. Die Jagd nach ihnen, die mit theoretischen Experimenten sowie gefährlichen Versuchen im Feld vorangetrieben wird, führt Chen und die genauso obsessive Offizierin Lin Yun bis nach Sibirien und letzten Endes bis ins fantastische Feld der Quantenphysik …

1981 war ein prägendes Jahr für Cixin Liu. Damals wurde er einer der Menschen, die einen Kugelblitz gesehen haben, außerdem erschienen die chinesischen Übersetzungen von Arthur C. Clarkes (im Shop) Werken „2001 – Odyssee im Weltraum“ und „Rendezvous mit Rama“, die Liu schwer beeindruckten und beeinflussten. Heute gilt Liu selbst als Meister der faktenreichen Hard-Science-Fiction mit einem Schwerpunkt auf wissenschaftlicher Grundlage und Genauigkeit, ohne den Sense of Wonder zu vernachlässigen. Den fängt Liu in „Kugelblitz“ lange sehr gut ein. Die Welten der Blitzforschung und der Quantenphysik sind faszinierend. Selbst wenn man mit Naturwissenschaften nie groß etwas anfangen konnte, packt einen Chens Hatz nach Ergebnissen und Erkenntnissen. Dabei geht es Cixin Liu um Hingabe und Obsession bei Wissenschaftlern, die positive wie negative Folgen haben können – was am Ende nicht nur für Forscher gilt. Zumal moralische Grenzen und menschliche Risiken gegen den Fortschrittshunger abgewogen werden müssen, speziell wenn Wissenschaft und Militär zusammenarbeiten, es den einen um Wissen geht, den anderen um Waffen.

Dennoch verliert Liu das Fantastische in seinem über 500 Seiten starken Roman nie aus den Augen. Übernatürlich wirkende Erscheinungen ziehen sich von Anfang an durch die Story. Später erreicht „Kugelblitz“ den Punkt, an dem Lius fundierte Hard-SF immer spekulativer wird, ein großer Krieg und übersinnlich anmutende Phänomene mehr und mehr Raum einnehmen. Da kann man dann auch leicht darüber hinwegsehen, dass sich die Experimente im Aufbau naturgemäß meistens ähneln oder die Dialoge aus einem anderen Kulturkreis manchmal ein bisschen zu sachlich oder zu sentimental wirken. Wer Cixin Lius bisher ins Deutsche übertragene Bücher schon fesselnd fand, fühlt sich trotzdem wieder wie vom Blitz getroffen angesichts der gewinnenden Mischung aus harten physikalischen Fakten und großen fantastischen Ideen.

Cixin Liu: Kugelblitz • Aus dem Chinesischen von Marc Hermann • Heyne, München 2020 • 544 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.