Konvoi der Generation Klon
Marina Lostetters Romandebüt „Die Reise“
Seit 2012 veröffentlicht die Amerikanerin Marina J. Lostetter (im Shop) Science-Fiction-Kurzgeschichten in Anthologien und Magazinen, etwa in „Orson Scott Card’s Intergalactic Medicine Show“, „Galaxy’s Edge“, „Lightspeed“, „Uncanny“ oder „Aliens: Bug Hunt“, wobei sie z. B. von Genre-Veteran Mike Resnick gefördert wurde. 2017 legte sie mit „Noumenon“ ihren philosophisch betitelten Romaneinstand vor, der als „Die Reise“ (Leseprobe) soeben auf Deutsch bei Heyne erschienen ist – die weltweit erste Übersetzung des Buches in eine andere Sprache.
Im Jahr 2088 entdecken Wissenschaftler den fernen Stern LQ Pyxidis, dessen Ummantelung ein mysteriöses, vielversprechendes astronomisches Phänomen darstellt. Handelt es sich um eine Dyson-Sphäre, die den Stern wie eine Kugel umgibt, oder ist gar außerirdisches Leben involviert? Das Konsortium Vereinter Planet schickt mehrere Generationenraumschiff-Konvois los, um dem Geheimnis und den Möglichkeiten von LQ Pyxidis auf den Grund zu gehen. Die Besatzungen des Konvois, dem Lostetter folgt und der von einer allgegenwärtigen, allsehenden künstlichen Intelligenz unterstützt wird, wählt man sorgfältig nach sozialen und beruflichen Aspekten aus. Auf der Jahrtausende langen Reise durchs All und die Subdimensionen werden die genetischen Linien der ursprünglichen Besatzung dann immer wieder geklont, die Kleinkinder aus den Klontanks in Familien auf den Schiffen groß. Ihre Persönlichkeit und ihr Denken wandeln sich dabei über die Generationen hinweg genauso wie die Stimmung und die Bedingungen innerhalb der Schiffsgesellschaft – von der Erde, auf die der Konvoi tausende Jahre später mit aufregenden Erkenntnissen zurückkehren soll, ganz zu schweigen …
„Redundanz ist von jeher ein Markenzeichen des Reisens“, heißt es ungefähr in der Mitte von Marina Lostetter Romanerstling. Mit Redundanz und Langeweile hat ihre abwechslungsreiche Generationenraumschiffgeschichte der etwas anderen Art, die in die Weiten des Weltraums und in die ferne Zukunft der Erde führt, allerdings nie zu kämpfen. Das liegt vor allem daran, dass Lostetter ihre Geschichte wie einen Mosaikroman aufgebaut hat. Der Kurzgeschichten-Charakter der einzelnen Kapitel ermöglicht es der US-Autorin, die lange interstellare Reise mithilfe reizvoller Episoden und Figuren sowie sinniger Zeitsprünge zu schildern. Protagonisten, Perspektiven und Probleme ändern sich, wie die Herausforderungen und Ansichten der geklonten Crew, von Kapitel zu Kapitel – und entwickeln sich dennoch. Als konstantester Handlungsträger tritt der Konvoi-Interne-Computer K.I.C. auf, der nicht bloß die lernfähige und besonnene KI des Konvois ist, sondern ironischerweise auch seine Seele.
Marina Lostetters Buch steigert sich nach dem noch etwas zaghaften Anfangskapitel enorm und überzeugt danach mit so gut wie allen Episoden, deren strukturelle und stilistische Abwechslung erheblich zum Lesevergnügen beiträgt – einige Zeitsprünge, Klongeschichten und Kapitel wirken geradezu verwegen furchtlos in ihren Ideen und deren Umsetzung. Das macht Lostetters Werk zu einem starken Romanerstling, einer sehr guten Generationenraumschiff-Geschichte und zu einem vielseitigen, anregenden SF-Roman, der interessante Genre-Kost ohne müden Genre-Standard bietet. Keine Frage: Diese Reise lohnt sich.
Marina Lostetter: Die Reise • Aus dem Englischen von Irene Holicki • Heyne, München 2019 • 558 Seiten • E-Book: 9,99 € (im Shop)
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