20. April 2019 2 Likes 1

Kosmisches Panorama

Cixin Lius beeindruckendes Roman-Epos „Jenseits der Zeit“

Lesezeit: 2 min.

Was, wenn sich die Menschheit in einem Kalten Krieg mit einer fernen Alien-Zivilisation befände, der plötzlich wieder heiß werden und das Ende des blauen Planeten bedeuten könnte? Und was, wenn im Dunklen Wald des Universums noch viel größere Gefahren lauerten, die mühelos das ganze Sonnensystem vernichten könnten? Wie würde sich die Menschheit angesichts solch bedrohlicher kosmischer Faktoren gesellschaftlich und technologisch entwickeln? Diese Fragen dienen dem inzwischen weltbekannten chinesischen Bestsellerautor Cixin Liu (im Shop) in seinen beeindruckenden, begeisternden Science-Fiction-Roman „Jenseits der Zeit“ als Aufhänger dafür, ein überwältigendes Zukunftspanorama zu erschaffen.

Dabei imponiert allein schon die Tatsache, dass der Abschlussband der „Die drei Sonnen“- bzw. „Trisolaris“-Trilogie bestens für Quereinsteiger funktioniert. Die Reichhaltigkeit von Lius menschlichem, irdischem und intergalaktischem Ausblick erreicht, packt und fasziniert garantiert jeden. Insofern verwundert es nicht, dass „Jenseits der Zeit“ letztlich der Roman des Dreiteilers war, der Liu zum internationalen Durchbruch verhalf und chinesische SF zum Exportschlager machte. Es ist aber auch der Wahnsinn, was der gefeierte, u. a. mit dem amerikanischen Hugo Award, dem chinesischen Galaxy Award und dem deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Superstar alles auf fast 1000 Seiten packt! Los geht es mit einem Prolog, der zur Zeit des Falls von Konstantinopel einsetzt (und sich ca. auf Seite 360 erschließt). Dann geht es, natürlich, um den Kalten Krieg zwischen Menschen und Trisolariern, der die Raumfahrtforschung mächtig befeuert. Doch auch die vierte Dimension, Schwarze Löcher, kosmische Paranoia, Edgar Allan Poe, codierte Fantasy-Märchen, Raumkreuzer-Verfolgungsjagden, Ameisen-Metaphern, gekaufte Sterne, Ninja-Androiden, Weltraumstationen, Flüchtlingskrisen, Hightech-Baumstädte und Kälteschlaf-Zeitreisen tragen zur Vielfältigkeit des Buches bei.

Cixin Liu setzt außerdem einmal mehr auf gewaltige Bilder, die er mithilfe der Werkzeuge von Physik und Astrophysik malt – Millionen Kilometer und Millionen Jahre sind ganz normale Einheiten in diesem gehaltvollen Hard-Science-Fiction-Roman über die Zukunft der Menschheit, die durch die Entdeckung einer anderen Kultur in „Die drei Sonnen“ aufgescheucht wurde. Die Größenverhältnisse der Ideen, der Ereignisse und der Elemente in „Jenseits der Zeit“ sprengen gelegentlich sogar das Vorstellungsvermögen. Manchmal muss man innehalten, noch mal nachlesen und die eigene Imagination überprüfen, um sicherzugehen, dass man sich die Dimensionen des Geschilderten im Kopfkino richtig vorstellt. Es sagt alles über Lius Können als Geschichtenerzähler aus, dass sich seine Protagonisten vor diesem kolossalen Hintergrund stets behaupten, dass ein paar Einzelschicksale über alle Zeit- und Entwicklungssprünge der Story als roter Faden und emotionaler Katalysator bestehen.

Wir leben in einer Zeit der Superlative. Ständig und überall fliegen sie uns um die Ohren, und entsprechend abgestumpft sind wir ihnen gegenüber. Cixin Lius spekulatives Science-Fiction-Meisterwerk „Jenseits der Zeit“, der stärkste und kompletteste Roman der Serie und fraglos ein krönender Abschluss der Trilogie, ist allerdings selbst für die meisten eingeschliffenen Superlative zu groß, zu gigantisch. Dennoch: Wenn ein Buch die Bezeichnung Science-Fiction-Epos verdient hat, dann dieses.

Cixin Liu: Jenseits der Zeit • Aus dem Chinesischen von Karin Betz • Heyne, München 2019 • 992 Seiten • E-Book: 13,99 € (im Shop)

Kommentare

Bild des Benutzers H.P. Meyer

Sicher: tolle Ideen, großes Kino - aber bitte nicht vergessen, dass das aus einem Land kommt, in dem eine blutige Diktatur mit Weltmachtambitionen herrscht, die Minderheiten brutal unterdrückt und ihre Bürger lückenlos und übler als die Stasi überwacht. Aber nachdem ich die ersten Schwarten gelesen habe, muss ich diesen Wälzer natürlich auch lesen :)

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