Ryka Aoki: „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“
Eine bittersüße Roman-Komposition aus Science-Fiction, Fantasy, Queerness und Musik
Die Amerikanerin Ryka Aoki schreibt Gedichte, Kurzgeschichten und Romane, außerdem lehrt sie Englische Literatur am Santa Monica College und Gender Studies an der Antioch University. Gerade ist ihr SF-Roman „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ (im Shop), im Original „Light From Uncommon Stars“ und u. a. für den Hugo Award, den Los Angeles Times Ray Bradbury Prize und den Locus Award nominiert, in der deutschsprachigen Übersetzung von Michael Pfingstl erschienen.
Der Roman gehört zum Genre der Science-Fantasy, präsentiert sich also eine Mischung aus Science-Fiction und zeitgenössischer Fantasy. Aoki macht das südkalifornische San Gabriel Valley zur Kulisse ihres Buches, wo sie ihre Figuren und deren Schicksale verbindet. Los geht es mit Transfrau und Geigenmusikerin Katrina Nguyen, die vor dem Hass ihres Vaters in Oakland wegläuft und alles tut (und noch mehr erdulden muss), um sich irgendwie über Wasser zu halten. Als die meisterhafte Geigenlehrerin Shizuka Satomi eines Tages durch Zufall Katrinas ungewöhnliche Musik in einem Park hört, nimmt sie sich ihrer an. Doch die souveräne Shizuka hat ein Geheimnis, denn die so genannte Königin der Hölle hat wirklich einen Pakt mit einem seelenhungrigen Dämon geschlossen. Aber auch Shizukas neue Freundin Lan Tran, die mit ihrer Familie einen Donut-Laden betreibt, ist nicht, was sie zu sein vorgibt: In Wahrheit hat Lan violette Haut, und eine ihrer Töchter ist eine KI mit Hologram-Projektion – denn Lan und ihre Verwandten sind Außerirdische, die vor der galaktischen Endzeitseuche auf die Erde geflohen sind und hier nun ein Sternentor bauen wollen. Und dann ist da noch Lucy Matía, die aus einer alten Geigenbauer-Dynastie stammt, innerhalb derer man nie besonders viel von weiblichen Nachkommen gehalten hat. Und ausgerechnet Lucy soll im geerbten Laden auf einmal einige der außergewöhnlichsten Instrumente der Welt restaurieren …
Um diese miteinander interagierenden Figuren, diese umeinander rotierenden Perspektiven, baut Ryka Aoki ihre Geschichte auf. Eine große Stärke von „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ ist dabei, wie mühelos Aoki einerseits zwischen den Blickwinkeln und dem Personal durchwechselt – und wie übergangslos, ohne stilistischen Kraftaufwand oder spürbaren Klangverlust, sie andererseits von leichtherzig und bezaubernd auf brutal und hässlich schalten kann. So konfrontiert Aoki einen beim Lesen beispielsweise immer wieder mit extrem harschen Szene, in denen Katrina gedankenloser bis gewaltiger, gewalttätiger Transfeindlichkeit ausgesetzt ist. An anderen Stellen beschwören die Kapitel mit Katrina und Co. regelmäßig die alles durchdringende Kraft, oft Schönheit von Kunst und Musik, die Aoki in ihrem Roman mittels Worten und Sätzen greifbar macht. Um zu spüren, wie besonders und atemberaubend das in Prosa ist, muss man in seinem Leben noch keine Geige in Händen gehalten haben. Ryka Aoki war übrigens lange Zeit weitgehend eine autodidaktische Freizeit-Musikerin und -Komponistin, inzwischen nimmt sie selbst Klavier- und Geigen-Unterricht.
Das literarische Jahr ist noch jung, hat mit „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ aber schon ein Highlight gesehen: Einen in vielerlei Hinsicht musikalischen Roman zwischen Contemporary Fantasy und Science-Fiction, Queerness und Feminismus – so schön wie schmerzhaft, so betörend wie bitter. Ein ganz besonderes Stück fantastischer Literatur.
Ryka Aoki: Das Licht ungewöhnlicher Sterne • Roman • Aus dem Amerikanischen von Michael Pfingstl • Heyne, München 2024 • 496 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 17,00 • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.
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