18. Februar 2020 1 Likes

Von der Schönheit zersplitternder Autokarosserien

J.G. Ballards kontroverser Kultroman „Crash“ in Neuübersetzung

Lesezeit: 4 min.

Von allen technischen Gegenständen, die täglich genutzt werden, dürfte das Auto das umstrittenste sein – wenn man vom Mobiltelefon einmal absieht. Tatsächlich hat sich die oft überdosiert wirkende Begeisterung für das Fahrzeug zwar in Musik, Film und Malerei, aber kaum in der Literatur niedergeschlagen. Mit einer Ausnahme: J.G. Ballards drastischer Roman über Leute, die Sex nicht nur im, sondern mit dem Auto erleben und schließlich den Unfall als ultimativen Höhepunkt begreifen. Das umstrittene Buch ist soeben bei Diaphanes neu übersetzt worden.

„Crash“ beginnt mit einem Unglück: Dr. Robert Vaughan, der „böse Engel der Schnellstraßen“, stirbt bei dem Versuch, einen Autounfall mit der Schauspielerin Elizabeth Taylor herbeizuführen. Der Erzähler, ein Werbefachmann namens James Ballard, der ansonsten aber nichts mit dem Autor zu tun hat, nimmt dies zum Anlass, die gemeinsame Geschichte zu erzählen. Nachdem er selbst einen Autounfall überstanden hat, begegnet er Vaughan, der sich ausschließlich seiner Faszination für Fahrzeuge hingibt: „Er war besessen vom Design verchromter Kotflügellamellen, Edelstahltrittbretter, Windlaufabdeckungen, Kühlerhaubenschlösser und Türverriegelungen.“ Diese Obsession hat bei Vaughan zu einer massiven erotischen Besessenheit geführt, bei der Sexualität und Automobil eine enge Verbindung eingehen, die in einer Begeisterung für Unfälle kulminiert. Dabei spielen Prominente – in erster Linie Filmstars und Politiker – eine hervorgehobene Rolle. Außerdem ist der Wagen für ihn „der großartigste und einzig wahre Ort für Geschlechtsverkehr“, was ausführlich zelebriert wird. Der Erzähler entwickelt nun ähnliche Obsessionen, die auf eine neue Verbindung zwischen Mensch und Technologie hinauslaufen: „Mir kam es so vor, als sei dieser Akt ein Ritual, das frei von jeder gewöhnlichen Sexualität war, eine stilisierte Begegnung zweier Körper, die ihr Bewegungs- und Kollisionsempfinden erneuern.“ Während dieses Prozesses muss die Ballard-Figur entdecken, dass sie Vaughan immer ähnlicher wird … und auf ein vergleichbares Ende zusteuert: „Ich wusste bereits, dass ich dabei war, die Details meines eigenen Autounfalls zu konzipieren.“

J.G. Ballard hat sein 1973 erstveröffentlichtes Buch zwar als den „ersten pornographischen Roman“ angesehen, „der auf einer Technologie basiert“, aber der Begriff erscheint zumindest aus heutiger Sicht falsch gewählt. Der Text ist zwar explizit, aber die durchmechanisierte Sexualität, die er vorführt, hat weder etwas mit Erotik noch mit dem möglichen Vergnügen des Rezipienten zu tun. Tatsächlich werden die Körperteile mit medizinischer Präzision beschrieben, die fernab von jedwedem pornographischen Vokabular liegt und eine nicht unbeträchtliche Distanz beim Lesen erzeugt. Die Ereignisse weichen zurück und die Szenerien nehmen den Charakter von Versuchsanordnungen an, die gleichsam „studiert“ werden können. Das entsprach Ballards Selbstverständnis: „Crash is an investigatory book, analyzing its subject matter with, I hope, all the neutrality of a scientific investigation.“

Es greift ohnehin zu kurz, den bisweilen anstrengenden, bisweilen aber auch vor befremdlicher Schönheit leuchtenden Roman nur auf die Sexstellen reduzieren zu wollen. Was Ballard vorschwebte, war viel umfassender. Die Handlung spielt im Umfeld des Londoner Flughafen Heathrow, dessen Flugzeuge die Autos womöglich bald ablösen könnten. Catherine, die (auch sexuell) erfolgreiche Ehefrau des Erzählers, wird in ihrem Miniflieger bereits als „Glaslibelle“ beschrieben, „getragen von der Sonne“. Mehr noch: Als die Ballard-Figur geröntgt wird, stellt sie angesichts der elektrischen Gerätschaften fest: „Die Sprachen unsichtbarer Erotiken, unentdeckter Geschlechtsakte lagen in dieser komplizierten Anlage im Wartestand.“ Hier werden neue Modelle einer Synthese aus Mensch und Maschine angedeutet, die deutlich umfassender sind als die Möglichkeiten, die sich im Hinblick auf das Auto ergeben.

Ballard selbst prägte in einem Interview die Formel: „Sex x technology = the future“ und fügte hinzu: „A disquieting equation, but one we have to face.“ Das Personal des Romans hat eine Entwicklung vollzogen, die diesen Effekt vorwegnimmt. Hier findet sich dann auch der Bezug zur Science Fiction: Während reguläre Genretexte von Figuren handeln, die nach dem Vorbild heutiger Menschen entworfen sind, aber in Landschaften agieren, die von weiterentwickelter Technik (Roboter, Raumschiffe) geprägt werden, ist es in „Crash“ umgekehrt: Das Umfeld kann eindeutig den frühen 1970er Jahre zugerechnet werden, allerdings agieren die Figuren in einer Weise, die kaum etwas mit heutigem Verhalten zu tun hat. Als „zukünftig“ erweist sich hier also nicht die Technik, sondern der Mensch.

„Crash“ ist und bleibt nicht nur einer der außergewöhnlichsten Romane der SF, sondern der Literatur insgesamt – auch wenn sich das Resultat durchaus als „abscheuliches Buch“ (Hans Frey) beschreiben lässt. Als solches hat es der Text natürlich schwer, aber die Lektüre lohnt unbedingt. Schade, dass die Neuübersetzung im Rahmen der – an sich empfehlenswerten – Ballard-Edition des Diaphanes-Verlags voller Fehler steckt und sichtlich nicht lektoriert worden ist; man hätte besser eine erfahrene Fachkraft an das Unterfangen gesetzt. Wer will, kann daher auch auf die Erstübertragung durch Joachim Körber zurückgreifen, die weiterhin lieferbar ist (Edition Phantasia) und ein wichtiges Vorwort von Ballard enthält. In jedem Fall empfiehlt es sich, den Originaltext in Griffweite zu haben; die aktuelle britische „Collector‘s Edition“ (4th Estate/HarperCollins) beinhaltet relevantes Bonusmaterial und ist erheblich besser gefertigt als die weitgehend deckungsgleiche „DeLuxe“-Version (Rare Bird Books) aus den USA. Deren einziger Pluspunkt besteht lediglich im Vorwort von Zadie Smith, und das kann man auch hier auf Deutsch nachlesen.

Ballard selbst erlebte im Zusammenhang mit „Crash“ eine ironische Pointe: Er wurde zwei Wochen nach Fertigstellung des Manuskripts – wohl aufgrund eines geplatzten Reifens – in einen Autounfall verwickelt und schlidderte mit seinem auf dem Dach liegenden Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn. Trotz auslaufenden Benzins blieb er praktisch unverletzt, weil er den Sicherheitsgurt angelegt hatte. Er nannte den Vorfall „an extreme case of nature imitating art“ – ein extremes Beispiel dafür, wie die Natur die Kunst imitiert.

 

J.G. Ballard: CrashRoman • Aus dem Englischen von Sabine Schulz DiaphanesBroschur • 240 S. • € 17,50 E-Book • € 16,99 • Aus dem Englischen von Joachim Körber Edition PhantasiaLeinen • 240 S. • € 40

Titelbild © ADAC

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