27. September 2015 2 Likes

Ein Highlight aus der Tiefsee-Zukunft

Der erste deutsche Band von Rick Remenders und Greg Tocchinis SF-Comic-Serie „Low“

Lesezeit: 3 min.

In ihrem Neo-Noir-Science-Fiction-Comic „The Last Days of American Crime“ erzählten der amerikanische Autor Rick Remender und der brasilianische Zeichner Greg Tocchini vom letzten möglichen Verbrechen in den Vereinigten Staaten der nicht allzu weit entfernten Zukunft. In ihrer neuen SF-Comic-Serie „Low“, deren erster Hardcover-Sammelband „Stadt ohne Hoffnung“ gerade in der Übersetzung von Kollege Bernd Kronsbein auf Deutsch bei Splitter veröffentlicht wurde, befassen sich Remender und Tocchini nun mit der wesentlich weiter entfernten Zukunft, wo die radioaktive Strahlung der expandieren, sterbenden Sonne die letzten Menschen in Tiefsee-Städte unter Kuppeln getrieben hat – ein überraschendes, echtes Genre-Highlight, das die richtigen Knöpfe beim Leser drückt.

In der Unterwasser-Metropole Salus wird die wieder und wieder aufbereitete Luft nicht nur immer giftiger, sondern auch endgültig knapp. Obwohl der Senat Salus schon aufgegeben hat und sich dekadenten Orgien hingibt, und obwohl das Leben ihrer Familie tiefe Wunden geschlagen hat, gibt Stel Caine, die Frau des letzten Hüters von Salus, nicht auf. Sie glaubt unbeirrbar daran, dass eine der vor langer Zeit ausgesandten Sonden irgendwo im All einen Planeten finden muss, auf dem die Menschheit überleben kann. Solche Hoffnungen hegt keiner der Piraten und Ganoven, die andernorts die Massen mit Gladiatoren-Kämpfen gegen Tiefsee-Monster in der Aqua-Arena bei Laune halten. Ausgerechnet hier muss Stel die Vergangenheit und Zukunft ihrer Familie und ihrer Rasse vereinen …

Ein Blick auf den aktuellen deutschen Comic-Markt zeigt ziemlich anschaulich, wie Rick Remenders Karriere bisher funktioniert hat: Nach seiner Zeit als Animationszeichner (u. a. am just wiederauferstandenen „Der Gigant aus dem All“ und an „Titan A.E.“) tuschte der 1973 geborene Remender zunächst u. a. „Avengers“ und zeichnete z. B ein paar Comics mit den Turtles. Doch schon früh begann er, eigene, eigenständige Comics zu entwickeln, was schließlich zu angesehenen Arbeiten wie der pulpigen Science-Fiction-Serie „Fear Agent“ (mit dem ehemaligen „The Walking Dead“-Zeichner Tony Moore) oder „Strange Girl“ (mit dem heutigen „Avengers“-Zeichner Jerome Opeña) führte. Bei Marvel schrieb Remender sich derweil mit Titeln wie „Punisher“ (Stichwort: FrankenCastle!), „Die neue X-Force“ und „Uncanny Avengers“ an die Spitze der Autoren-Riege, bis er schließlich „Captain America Megaband“ und die Hauptserie zum auf Deutsch aktuell laufenden Crossover-Event „Avengers & X-Men: Axis“ textete. Parallel dazu kreierte Remender weiterhin eigene Panel-Serien und blieb an dieser Front dem SF-Sujet treu, egal ob „Black Science“ mit Mateo Scalera, „Low“ mit Tocchini oder – ganz frisch – „Tokyo Ghost“ mit Sean Murphy. Diesen Creator-Owned-Comic-Projekten wird sich Remender in nächster Zeit hauptsächlich widmen, da er nach „Axis“ eine Marvel-Pause angekündigt hat.

Vielleicht hat auch die Therapie mit diesem Schritt zu tun, die aus dem ewigen Pessimisten Remender einen Optimisten gemacht hat, wie er im Vorwort des Auftaktbandes zu „Low“ erzählt. In Stel Caine, die in jeder widrigen Lage an die Kraft des positiven Denkens und der positiven Selbstbestimmung glaubt, steckt demnach sehr viel vom neuen Mr. Remender. Zeichner Greg Tocchini ist dagegen ganz der Alte, und das ist gut so: Er kleidet das erfrischende Tiefsee-Setting von „Low“ und die genre-taugliche Mixtur aus Action und Abenteuer in gelungene Bilder, Perspektiven und Farben, die beim Einfangen des nautischen Sense of Wonder genauso funktionieren wie bei Härte, Brutalität, Gewalt und Sex.

Angesichts von Comics wie „Low“ haben Remender und SF-Comic-Fans also wirklich allen Grund dazu, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Leseproben gibt es hier und hier.

Rick Remender & Greg Tocchini: Low Bd. 1: Stadt ohne Hoffnung • Splitter, Bielefeld 2015 • 176 Seiten • 24,80 Euro

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