16. September 2019 2 Likes

Fruchtbare Comic-Fassung

Renée Naults Adaption von Margaret Atwoods „Der Report der Magd“

Lesezeit: 3 min.

1985 veröffentlichte die kanadische Ausnahmeautorin Margaret Atwood ihr berühmtes Werk „Der Report der Magd“. In einer Welt, die sich durch Vergiftung, Krieg und Sterilität dramatisch verändert hat, werden fruchtbare Frauen wie Desfred brutal aus ihren Leben gerissen, um nur noch ihrer Rolle bei der Fortpflanzung oder maximal noch im Haushalt zu dienen. Furcht, Vorschriften, Verfolgung und Propaganda beherrschen das Dasein der Mägde und anderen Menschen im totalitären amerikanischen Schreckensstaat Gilead. Atwoods subtile, aber auch schonungslose Dystopie wirkt heute, über 30 Jahre nach ihrer ursprünglichen Veröffentlichung, bissiger denn je und erfreut sich gerade wegen der preisgekrönten Umsetzung als TV-Serie mit Elisabeth Moss in der Hauptrolle flächendeckender Bekanntheit. Dieser Tage kehrt die Atwood, die im November 80 wird und eine komplizierte Beziehung zum Feminismus hat, mit „Die Zeuginnen“ nach all den Jahren nun in die Welt ihres Meisterwerks „The Handmaid’s Tale“ zurück und legt ein Prosasequel vor. Gleichzeitig erscheint im Berlin Verlag die Comic-Adaption des Klassikers durch die kanadische Künstlerin Renée Nault auf Deutsch.

Nault las „Der Report der Magd“ zum ersten Mal in der Schule, wo der Roman sie schwer beindruckte, und später noch bei mehreren Gelegenheiten. Die Arbeit an ihrer 240 Seiten starken Adaption als Graphic Novel begann vor dem Drehstart der aktuellen Fernsehfassung, doch wurde sie zwischenzeitlich durch eine Handgelenksverletzung zurückgeworfen. Dennoch vermied sie standhaft sowohl die ersten Staffeln als auch die alte Verfilmung aus den 90ern, damit ihre eigene Vision nicht von fremden Eindrücken belastet und verfälscht wurde. Nault und Atwood sprachen jedoch bei mehreren Gelegenheiten über den Comic-Roman, wobei Atwood ihrer jüngeren Künstlerkollegin vertraute und freie Hand ließ, als es darum ging, die Geschichte zu kürzen, zu verdichten und in gezeichnete Sequenzen zu übertragen.

Das gelingt Nault sehr gut – die fesselnde, unangenehm scharfkantige und beklemmende Atmosphäre sowie die Essenz des Originals durchdringen ihre Panel-Verquickung jederzeit. Ton und Textmenge, bei Comic-Adaptionen von Romanen oft ein kritischer Faktor, handhabt die kanadische Künstlerin alles in allem souverän, nur an ein, zwei Stellen knirscht es ein wenig zwischen den Zeitebenen. Die Optik erinnert indes an die Arbeiten von Colleen Doran, Jill Thompson, Chris Riddell und P. Craig Russell. Es mag überraschen, dass Renée Nault ihrem bunten, leuchtenden Stil und ihren hübschen Figuren treu bleibt, schließlich denkt man bei Dystopien an eine graue Welt voller Hässlichkeit. Doch dadurch, dass die mit Aquarellfarben und Tusche zum Leben erweckten Seiten meistens geradezu strahlen und allein schon wegen der Uniformen auf erhebliche Farbkontraste setzen, ist auch der Kontrast zu den definierend finsteren Szenen groß und entsprechend wirkungsvoll. Ebenso gekonnt sind Naults Layouts, die keinem statischem Raster oder Muster folgen. Viele Seiten und Doppelseiten brillieren viel mehr als imposante individuelle Kompositionen aus Form, Fluss und Farbe. Kurzum, „Der Report der Magd“ sieht als Comic wunderschön aus und liest sich erfreulich gut.

Renée Nault hofft, mit ihrer Adaption speziell junge Leser zu erreichen, die das Buch vorher noch nicht gelesen haben, und ferner Literaturliebhaber davon zu überzeugen, wie komplex Comics sein können. Das dürfte beides gelingen. Schade nur, dass Margaret Atwood, seit ihrer Jugend ein großer Comic-Fan, kein Vor- oder Nachwort zu Naults grafischer Neuinterpretation ihrer großen, erschreckend zeitlosen Dystopie beisteuerte. Verdient hätte es dieser gelungene Comic-Report der Magd allemal.

Abbildungen: © René Nault/O. W. Toad Ltd.

Margaret Atwood, Renée Nault: Der Report der Magd. Graphic Novel • Aus dem Englischen von Ebi Naumann • Berlin Verlag, Berlin 2019 • 240 Seiten • Hardcover: 25 Euro

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