Eat this, Pixar!
Animerama-Trilogie: Vergangenheit trifft Zukunft - eingehüllt im Bildersturm
Wer die Computeranimationsfilme von Pixar & Co. in Sachen Trickfilm für das letzte Wort hält, wird in den nächsten Tagen ein farbenprächtiges Wunder der psychedelischen Art erleben, denn dank Rapid Eye Movies darf man sich auf die sehenswerte „Animerama-Trilogie“ freuen.
Wobei „Trilogie“ irreführend ist, vielmehr handelt es sich um ein Label, unter dem zwischen 1969 und 1973 drei Animationsfilme mit erotischem Anstrich veröffentlicht wurden, die erwachsene Zuschauer als Zielgruppe im Visier hatten. Regie bei allen dreien führte Eiichi Yamamoto („Kimba, der weiße Löwe“), bei den ersten beiden arbeitete Japans Nationalheiligtum Osamu Tezuka („Astro Boy“), maßgeblich mit.
Bei „A Thousand and One Nights“ dreht sich alles um den armen Wasserverkäufer Aladin, der nach einem kräftezehrenden Marsch durch die Wüste in Bagdad ankommt und sich dort auf dem Sklavenmarkt in die schöne Milliam verliebt, die allerdings gerade in diesem Augenblick an den Polizeichef verkauft wird. Doch ein Sandsturm zieht auf, Aladin entführt seine Herzensdame und schlittert von einem märchenhaften Abenteuer zum Nächsten. Inspiriert ist das natürlich deutlich von dem titelgebenden Klassiker der Weltliteratur. Allerdings handelt es nicht einfach um einen Märchen-, sondern um einen ganz vom Geist der wilden 1970er beseelten, mit einem furiosen Bluesrock-/Synthesizer-Soundtrack unterlegten, Quasi-Experimentalfilm, bei dem man sich nicht wundern würde, wenn die Gehirne von Yamamoto und seinem gerade mal ca. 15-köpfigen Team damals von dicken Marihuana-Schwaden umhüllt waren.

Nicht nur, dass der Film stilistisch die ganze Laufzeit hindurch auf extrem faszinierende Weise zwischen klassischen, mit Standbildern verschmolzenen Animationen, Comicpanel-artigen Bildaufteilungen, Actionszenen, in denen die Figuren zu Silhouetten reduziert werden, völlig abstrakten, schemenhaften Sexzenen, ganz keck eingeschobenen Realaufnahmen (was natürlich in erster Linie der Kostenersparnis dient, sich in das visuelle Dauerfeuer allerdings nahtlos einfügt) und vielem mehr alterniert, auch auf narrativer Ebene kann man sich auf allerlei Überraschungen gefasst machen – es finden sich Motive aus dem genannten Literatur-Klassiker, aber ebenso aus der griechischen und christlichen Mythologie, die oftmals auf sehr eigenwillige Weise eingebaut werden. So gibt es unter anderem ein fliegendes Holzpferd, dessen Fluggeräusche an „Star Trek“ erinnern und in einem Abschnitt spielen zwei wie Marsmenschen aussehende Gestaltenwandler auf einem fliegenden Teppich eine tragende Rolle. „A Thousand and One Nights“ sprudelt nur so über vor Ideen, man weiß gar nicht wo man hinschauen, über was man sich zuerst wundern soll, der Film bewegt sich immer gefährlich nahe am Overkill, wundersamerweise behalten Yamamoto und Tezuka aber trotzdem die Zügel in der Hand, das Wunderwerk verliert sich nie in sich selbst, der rote Faden, die Blindheit männlichen Begehrens wird immer beibehalten und findet zu einem wahrlich biblischen Abschuss.

Das Gleiche lässt sich leider nicht über „Cleopatra“ sagen (der hierzulande 1972 als stark gekürzte Version unter dem Namen „Cleo und die tollen Römer“ tatsächlich schon mal einen Kinoeinsatz hatte). War Tezuka bei „One Thousand and One Nights“ „nur“ Co-Autor und Produzent, schrieb er hier abermals am Drehbuch mit, wechselte aber vom Produzenten- auf den Regiestuhl, den er mit Yamamoto teilte, was vielleicht der Grund ist, weshalb die zweite Zusammenarbeit nicht mehr ganz rund ist. Der eklektische Stilmix wird beibehalten, dieses Mal mit etwas größerer Betonung auf Science-Fiction: In der Zukunft erobern die Menschen das Universum, doch Widerständler des Planeten Pasatorine wollen die Menschheit mit Hilfe des „Cleopatra-Plans“ an ihrer weiteren Ausbreitung hindern. Um dem Plan zu durchkreuzen reisen die Agenten Jiro, Harvey und Mary via Psycho-Teleporter in das antike Ägypten. Harveys Geist fährt in den Hausleopard Cleopatras, Jiro und Mary wiederum geraten als Ionius und Lybia in die Machtspiele zwischen Cleopatra, Cäsar und Augustus …

Auf formaler Ebene punktet „Cleopatra“ nach wie vor gewaltig, unter anderem wird der Überfall einer römischen Garnison auf ägyptische Partisanen als blau-rote Scherenschnitt-Sequenz visualisiert oder Cäsars Ermordung im Senat als klassisches japanisches Theater inszeniert, an Ideen mangelt es nicht, allerdings finden auf der narrativen Ebene die Elemente nicht zusammen, die Science-Fiction-Rahmenhandlung baut keine so rechte Verbindung mit dem Geschehen in Ägypten auf, die drei Agenten erinnern sich nach ihrer Ankunft in Ägypten an ihre eigentlichen Aufgaben nur sporadisch, der Film mutiert zu einem Liebesdrama, das von einer Station zur Nächsten schreitet, ohne so recht irgendwo anzukommen, was das Geschehen zuweilen etwas zäh macht, allerdings entschädigen ein paar überraschend eingestreute, aber gelungene Gags für den Leerlauf dann doch wieder.

1973 beendete Yamamoto – dieses Mal ohne Tezuka – mit dem ernsten, finsteren „Belladonna Of Sadness“ die „Animerama“-Reihe und schuf ein Meisterwerk, das vom Schicksal der schönen Jeanne erzählt, die einen Pakt mit dem Teufel schließt. Da der Film allerdings nicht Sci-Fi-relevant und zudem seit 2010 in diversen Editionen als DVD oder Blu-ray zu haben ist, gibt’s an dieser Stelle nur eine kurze Empfehlung: Muss man trotzdem im KINO gesehen haben!
Wer’s jedenfalls auf herrlich verspielte, ungemeine wilde und extrem bildgewaltige Leinwand-Abenteuer steht, sollte spätestens jetzt Karten reservieren!
Die Animerama-Trilogie ist ab dem 29.05.2018 im Kino zu sehen, hier gibt’s die Termine!
A Thousand and One Nights (Japan 1969) • Regie: Eiichi Yamamoto • Sprecher: Yukio Aoshima, Kyōko Kishida, Hiroshi Akutagawa, Haruko Kato, Isao Hashizume, Sachiko Itō
Cleopatra (Japan 1970) • Regie: Eiichi Yamamoto, Osamu Tezuka, • Sprecher: Chinatsu Nakayama, Kotoe Hatsui, Tsubame Yanagiya, Nobuo Tsukamoto, Kazuko Imai, Susumu Abe
Belladonna of Sadness (Japan 1973) • Regie: Eiichi Yamamoto • Sprecher: Tatsuya Nakadei, Katsuyuki Itô, Aiko Nagayama, Shigako Shimegi, Masaya Takahashi, Natsuka Yashiro
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