Flug direkt in die Mülltone
„Into the Night“ – Man weiß echt nicht, ob lachen oder weinen
So schön es auch ist, dass Netflix Martin Scorsese sein absolut sehenswertes Mammutepos „The Irishman“ schlussendlich dann doch noch ermöglich hat: Auf jede Großtat kommen mindestens 20 Murksereien wie „Into The Night“ bei denen man sich mal wieder fragt, ob beim Streaming-Riesen irgendeine Form von Betreuung, geschweige denn Abnahme stattfindet, oder schlicht und einfach Content in Auftrag gegeben wird.
Bei der belgischen Produktion handelt es sich um eine Art Prequel zum Roman „The Old Axolotl“ des polnischen Schriftstellers Jacek Dukaj und grundsätzlich ist die Ausgangslage gar nicht mal so übel: Eine Flugzeug von Brüssel nach Moskau wird von einem schwer bewaffneten Mann (Stefano Cassetti) in seine Gewalt gebracht. Doch er will kein Geld und auch niemanden umbringen, im Gegenteil: Er will die Menschen an Bord retten, indem das Flugzeug statt nach Osten in den Westen fliegen soll, ein bestimmtes Ziel hat er dabei aber nicht. Der Grund für sein Handeln: Neuerdings stirbt jeder, der mit Sonnenstrahlen in Berührung kommt, weswegen man von der Sonne weg muss. Pilot Mathieau (Laurent Capelluto), die lebensmüde Sylvie (Pauline Etienne) und der Rest der Crew halten ihren Entführer natürlich erstmal für einen Spinner, erkennen dann aber, dass der Italiener so Unrecht nicht hat …
Was hätte man alles draus machen können! Aber es fängt schon an der Basis an: Mal abgesehen davon, dass das etwas übertrieben diverse Casting bereits an der Glaubwürdigkeit des Figurenpersonals kratzt, haben die Drehbuchautoren nicht begriffen, dass der Reiz von Szenarien dieser Art darin liegt, dass normale Menschen sich in Ausnahmesituationen befinden und um ihr Überleben kämpfen müssen, weswegen es nicht ganz unwichtig ist, dem Publikum die ein oder andere emotionale Andockstation anzubieten. Anzukoppeln fällt hier aber schwer, da die nach und nach via Flashbacks reingereichten Hintergründe gnadenlos mit dem ganz dicken Pinsel gezeichnet werden; nicht einer hatte zuvor ein normales Leben geführt, es war bereits zuvor alles kaputt: Egal ob Gangster, Todkranke, Selbstmörder, Mamasöhnchen, Ehebrecher … in dieser zufällig (!) zusammengewürfelten Truppe findet sich das komplette Programm, man muss schon wieder lachen über die seifenopermäßigen Schicksale, die da unentwegt reintröpfeln.
Apropos Flashbacks: Natürlich ist es ein probates Mittel via Rückblenden Charaktere auszuleuchten, aber in vielen Fällen eben auch eins, dass nur dazu dient, Laufzeit zu schinden. Selten wird das so deutlich wie hier, denn die Informationen (Gangster! Todkranker! Selbstmörder! Mamasöhnchen!), die in diesen Zwischenspielen vermittelt werden, hätte man bequem in der eigentlichen Handlung unterbringen können, die auch so schon vor Drama überquillt: Nahezu jede Begegnung mündet in einen Konflikt, ständig wird sich angekeift und aufeinander eingedroschen. Der an sich guten Besetzung ist dabei kein Vorwurf zu machen. Auch die besten Schauspieler haben halt schwer zu kämpfen, wenn sich zum Beispiel bei einem – von dramatischer Wegwerfmusik des irgendwann von mir mal kultisch verehrten Musikers Photek ummantelten – Aufeinandertreffen mit drei überlebenden Briten (auch in der deutschen Sprachfassung) folgende Konversation entfächert: „We all have to get out of here. Now.“ – „And go where?“ – worauf Darstellerin Pauline Etienne mit sorgenvollen Gesicht „Into the Night“ rauspresst, sich alle noch mal so richtig sorgenvoll angucken und der Titel eingeblendet wird. Man möchte meinen, die Serie wurde von den 12-jährigen Gewinnern eines Grundschulwettbewerbs fabriziert. Dass sich die formale Ebene da anpasst, die fünf, sechs gelungenen Bilder sind wohl versehentlich drin gelandet (auch ein blindes Huhn …), überrascht dann nicht mehr wirklich; es ist, als ob man eine Fernsehproduktion von 1994 guckt.
Menschen, die sich in ihrer Freizeit gerne mit Nippelklemmen und Bullenpeitschen bearbeiten lassen, könnten an „Into The Night“ vielleicht Spaß haben, der Rest sollte unter keinen Umständen draufklicken.
„Into The Night“ darf seit dem 01.05.2020 auf Netflix ignoriert werden.
Into The Night (Belgien 2020) • Showrunner: Jason George • Darsteller: Pauline Etienne, Laurent Capelluto, Stefano Cassetti, Mehmet Kurtulus, Babetida Sadjo, Jan Bijvoet, Ksavery Szlenkier
Kommentare