20. Januar 2022

„Nightmare Alley“ – Die dunkle Seite des Jahrmarkts

Guillermo del Toro versucht sich an einem modernen Film Noir

Lesezeit: 3 min.

Der Film nach einem großen Erfolg ist oft ein Freischuss. Wenn Filmemacher gerade einen Haufen Oscars gewonnen haben und/ oder einen Kassenhit hatten, erlauben ihnen die Finanziers oft, ihre langgehegten Traumprojekte umzusetzen, quasi als Dank oder Belohnung für den gerade erzielten Erfolg. Nachdem Guillermo del Toro Anfang März 2018 also für „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ mit gleich vier Oscars ausgezeichnet wurde, war es für den Mexikaner so weit: Viel Geld bekam er, um ein Remake des Film Noirs „Nightmare Alley“ zu drehen oder vielmehr – wie es offiziell heißt – eine Neuverfilmung des gleichnamigen Romans.

Es ist eine gewohnt düstere Geschichte, die – wie so oft bei del Toro – viel Sympathien für Randfiguren der Gesellschaft entwickelt, für solche, die rein äußerlich aus der Masse herausragen und für solche, deren Charakter sie – vorsichtig ausgedrückt – schwierig macht. Zu letzteren zählt der von Bradley Cooper gespielte Stanton Carlisle, der sich Ende der 30er Jahre im mittleren Westen der Vereinigten Staaten herumtreibt. In der ersten Szene hatte man gesehen, wie er eine Leiche unter den Holzplanken eines einsamen Hauses verstaut, Kerosin über die Leiche schüttet und ein Flammenmeer hinterlässt. Wen er da tot zurückgelassen hat stellt sich erst spät heraus, welche Traumata er mit sich rumschleppt deutet del Toro nur an, denn vieles in den folgenden über 150 Minuten bleibt vage, soll wohl auch von den gesellschaftlichen Verwerfungen erzählen, die Amerika kurz vor dem Zweiten Weltkrieg bedrückten.

Stanton jedenfalls landet auf dem Carnival, einem Jahrmarkt, mit ein paar Fahrgeschäften, vor allem aber mit allerlei menschlichen Kuriositäten. Der kleinste und der stärkste Mann der Welt finden sich da etwa, aber auch ein kaum noch menschlich zu nennendes Wesen, das sinnigerweise Geek genannt wird, in einem Käfig haust und zur Belustigung des Publikums lebenden Hühnern die Kehle durchbeißt.

In dieser Umgebung fühlt sich Stanton wohl, lernt die reizende Molly (Rooney Mara) kennen, verdingt sich als Hilfsarbeiter, hat aber stets Höheres im Sinn. Der alternde Mentalist Pete (David Strathairn) bringt ihm die Kniffe des Geschäfts bei, zeigt ihm, wie man das Publikum austricksen kann, warnt ihn aber auch, seinen eigenen Lügen zu glauben.

Doch Stanton hört nicht auf die Warnung und hat Erfolg damit: Zwei Jahre später haben er und Molly die von Matsch und Armut geprägte Welt des Carnivals für die Art Deco-Kulissen Chicagos ausgetauscht, treten mit ihrer Nummer vor wohlhabenden Publikum auf – und geraten bald an eine Femme Fatale. Cate Blanchett spielt die blonde, undurchschaubare Psychologin Lilith Ritter, die ganz eigene Pläne verfolgt.

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Der Form des Film Noirs entsprechend verhalten sich alle Figuren verschlagen und voller Ambiguität, tragen dunkle Geheimnisse mit sich, die del Toro in prächtigen Bildern andeutet. Vor allem optisch ist „Nightmare Alley“ ein Vergnügen, von der Ausstattung der Gegenwelten Carnival/ Chicago, über die Kostüme, bis zu den Gesichtern von Cooper und Blanchett, die auch in den 40er Jahren nicht fehl am Platz gewesen wären.

Warum del Toro allerdings unbedingt diese Geschichte in der heutigen Zeit erzählen wollte darf man sich schon fragen. Als Genre-Hommage mag sein überlanger Film Noir funktionieren, einen eigenen, gar originellen Zugang zu einer doch auch nostalgisch geprägten Welt findet er dagegen nicht.

Nightmare Alley • USA 2021 • Regie: Guillermo del Toro • Darsteller: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Rooney Mara, David Strathairn, Willem Dafoe, Toni Collette, Ron Perlman • jetzt im Kino

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