19. September 2024

„The Substance“ – Die Zukunft des Body-Horrors ist weiblich

Coralie Fargeats wilde, spektakuläre, bluttriefende Satire über Schönheitswahn und Anpassungsdruck

Lesezeit: 2 min.

In der normalen Welt ist 50 vielleicht kein Alter, in Hollywood allerdings eine Katastrophe. Kurz nach diesem Jahrestag erfährt Elisabeth Sparkle (Demi Moore) dann auch, das ihre Karriere vorbei ist. Einst hatte die Schauspielerin sogar den Oscar gewonnen und einen Stern auf dem Pflaster des Hollywood Boulevard erhalten, von diesen Höhen ist sie allerdings weit entfernt, nun moderiert sie eine hyper-sexualisierte Aerobic-Sendung im Jane Fonda-80er-Jahre-Gedächtnislook.

Doch auch damit ist es nun vorbei, Frischfleisch muss her, wie der wenig subtile Produzent Harvey (!) (Dennis Quaid) es formuliert. Kein Wunder also, dass Elisabeth der Versuchung nicht widerstehen kann, als ihr ein Unbekannter den Hinweis auf The Substance gibt, eine Wunder versprechende Verjüngungskur. In einer finsteren Gasse erhält Elisabeth ihr Paket und setzt sich die Nadel. Mit dem Ergebnis, dass sich ihr nackter Körper verkrümmt und am Rückgrat öffnet und eine jüngere, schönere Version ihrer selbst aus ihr heraussteigt: Sue (Margarat Qualley) ist knackiger, ehrgeizig und überzeugt Harvey so sehr, dass er auch ihre ungewöhnliche Bedingung als Nachfolgerin bei der Aerobic-Show akzeptiert: Nur alle zwei Wochen kann Sue vor der Kamera stehen, denn sie und Elisbeth sind nicht etwa zwei Wesen, sondern ein Organismus. Und wenn der eine Teil nicht regelmäßig Pause macht und den anderen leben lässt, hat das katastrophale Folgen.

In grellem Licht der kalifornischen Sonne inszeniert Coralie Fargeat ihre vollkommen durchgedrehte Satire, mit der sie Demi Moore die mit Abstand interessanteste, komplexeste Rolle ihrer Karriere schenkt. Dass Moore selbst 60 Jahre alt ist, hier aber eine 50jährige spielt, dass Moore selbst dafür bekannt ist, im Lauf der Jahre immer wieder die Arbeit von Schönheitschirurgen in Anspruch genommen zu haben, macht sie zur idealen Besetzung einer Frau, die gegen den unweigerlichen Lauf der Zeit und die immer noch geltenden Gesetze des Showbusiness ankämpft.

Besonders clever dabei: Nicht allein die männlichen Bosse werden als geifernde Sexisten dargestellt, die nach jungen, unverbrauchten, festen Körpern lechzen. Vielmehr ist es Elisabeths Alter Ego, ihr jüngeres Selbst Sue, die bewusst die Regeln bricht und nach einer Woche nicht den Staffelstab an Elisabeth übergibt. Mehr als ein Hauch von Dorian Gray weht hier durch „The Substance“, nur dass sich die zunehmende Zerstörung des Gemäldes, das Dorian Gray auf dem Dachboden versteckt, hier direkt an Elisabeths Körper manifestiert, der umso mehr verfällt, je mehr Lebenszeit ihr Sue quasi stiehlt.

Auch wenn „The Substance“ mit 140 Minuten eine ganze Spur zu lang geraten ist, nicht alle Ideen und Allegorien durchdacht wirken: Mit welcher Härte Coralie Fargeat ihren Ansatz zu seinem konsequenten Ende führt, kann nur beeindrucken. Voller Wut auf das System des Schönheitswahns inszeniert sie einen am Ende blutrünstigen Exzess, der nichts für schwache Nerven ist. Ein bemerkenswerter Film, bei dem Lachen und Ekel gleichermaßen im Halse stecken bleiben.

The Substance • Frankreich, USA, GB 2024 • Regie: Coralie Fargeat • Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid • ab 19. September im Kino

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