„The Ugly Stepsister“: Body-Horror-Märchenstunde
Aschenputtels Stiefschwester schwingt das Hackebeil
„Wer schön sein will, muss leiden“ – und hier wird mal so richtig gelitten: „The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt orientiert sich relativ eng am „Aschenputtel“-Märchen und zwar an einem Cocktail aus den Versionen von Charles Perrault und der brutaleren Variante der Brüder Grimm. Mit einem großen Unterschied: Hier ist nicht Aschenputtel die Hauptfigur, sondern ihre „hässliche“ Stiefschwester. Und die heißt Elvira (Lea Myren) und ist mit Schwester Alma (Flo Fagerli) und der harten, überehrgeizigen Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) soeben umgezogen, denn Mama hat einen neuen Mann geheiratet und die Familie dadurch auch um dessen bildschöne Tochter und Cinderella-Variante Agnes (Thea Sofie Loch Næss) erweitert. Doch der Gatte stirbt beim Festmahl plötzlich, wodurch die Familie vor dem finanziellen Ruin steht. Rebekka hatte sich von der Heirat Geld erhofft – der Verblichene allerdings ebenso! Also bleibt nur eine weitere Heirat und da trifft es sich gut, dass der Prinz des Landes gerade eine Gemahlin sucht. Elvira will den jungen Adeligen unbedingt erobern und lässt zu diesem Zweck eine Reihe von operativen Eingriffen über sich ergehen, aber Agnes will sich den begehrtesten Junggesellen des Landes ebenfalls angeln …


Da motivische Überschneidungen (Body-Horror, Schönheits- und Jugendwahn, Patriarchat) bestehen, wird – neben dem bei Filmen dieser Art unvermeidlichen David Cronenberg – permanent einer der rätselhaftesten Hypes der letzten Jahre als Referenzpunkt genannt. Dabei zeigt Blichfeldts Film eigentlich eher auf, was „The Substance“ von Coralie Fargeat falsch macht. Denn der entpuppt sich schnell als reiner Body-Horror-Thesenfilm, dessen Figurenarsenal aus Stereotypen und Karikaturen besteht, die nur dazu dienen in über die Schmerzensgrenze hinaus überkandidelter Form die simplen Botschaften der Regisseurin dem Publikum in die Köpfe zu hämmern. Doch das wird bereits mit der fragwürdigen, selbstverliebt wirkenden Werbefilmoptik konterkariert, die den kritisierten Körperkult eben doch propagiert, und endet in einem fragwürdigen Frauenbild – schlussendlich wird auch hier der „hässlichen Alten“ mit Verachtung begegnet.
Blichfeldts Film wandelt ebenso wenig auf subtilen Pfaden, ihr Anliegen ist klar und wird unvermissverständlich rübergebracht – zu sehen gibt es unter anderem eine Nasenoperation mittels Hammer und Meißel, Augenbrauen, die mit Nadel und Faden angenäht und Zehen, die abhackt werden –, aber sie arbeitet nicht nur mit einem steilen Kontrast aus wolkigen Weichzeichner-Träumen und beklemmender Realität die Enge der Welt der weiblichen Protagonisten wunderbar heraus, sie kreiert reale Figuren mit Ecken und Kanten. Selbst- und eifersüchtig, skrupellos, rasend. Frauenfiguren, denen sie trotz allem – egal ob schön oder „hässlich“ – mit einem fast zärtlichen Blick begegnet, was auf gewisse Weise auch die eher eindimensional gezeichneten, ferkeligen Männer mit ihren lanzenhaften Schwänzen (es gibt ein paar überraschend explizite Aufnahmen) betrifft: Anders als bei Fargeat schwingt Mitleid mit.


Es sind aber nicht nur die Figuren, allen voran die von Lea Myren großartig gespielte Elvira, die eine hohe Sogkraft erzeugen: Während „The Substance“ in einer befremdlichen, irrealen (Medien)-Welt spielt, deren Räume wie abrupt aneinandergereiht wirken, man gar kein Gefühl für die Umgebung der Figuren bekommt, wirkt der Kosmos von „The Ugly Stepsister“ schlüssig und hat dank einem geschickten Einsatz von Anachronismen wie Zahnspangen oder einem elektronischen Soundtrack einen gewissen überzeitlichen Touch. Der springende Punkt ist aber vielleicht: Während „The Substance“ bei seinen Schockszenen eher Fantasy-Terrain beackert und so weitere Distanz schafft, wirken die barbarischen Körpermalträtierungen, die Elvira über sich ergehen lässt, in ihrer grellen Inszenierung zwar nicht unlustig, dank ihrem unmittelbaren Bezug zur heutigen Zeit aber genauso eindringlich – Nasenkorrekturen erfolgen mittlerweile zwar unter Betäubung, sind aber nach wie vor nicht unbedingt ein Spaziergang, an die Wirksamkeit von Bandwurm-Diäten glaubt nach wie vor noch so manch einer und selbst die splattrige Fußverkürzung mittels Hackebeil ist gar nicht mal so drüber, wie man meinen möchte. Wenn es darum geht schön zu sein, ist kein Leiden zu groß – das gilt in der Welt des Films genauso wie in unserer.
Natürlich, im Endeffekt hat auch Blichfeldt nichts Neues zu sagen und reiht sich in einer seit einiger Zeit aus dem Boden sprießenden Reihe von Filmen mit Aufkleber-Botschaften ein, wenn aber schon unbedingt Message-Film, dann bitte so undoof und unterhaltsam wie hier.
The Ugly Stepsister • Norwegen/Dänemark/Rumänien/Polen/Schweden 2024 • Regie: Emilie Blichfeldt • Darsteller: Lea Myren, Ane Dahl Thorp, Thea Sofie Loch Næss, Flo Fagerli, Isac Calmroth • im Kino • Abb. Capelight Pictures
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