21. Mai 2021

„The Underground Railroad“ - Reise ans Ende der Nacht

Barry Jenkins' epische Serie über Sklaverei in Amerika

Lesezeit: 3 min.

Manchmal sind die einfachsten Ideen die besten. Das mag sich der amerikanische Schriftsteller Colson Whitehead (im Shop) gedacht haben, als er den Begriff Underground Railroad wortwörtlich nahm und von diesem Gedanken ausgehend einen Roman formte, der in den USA zum Bestseller avancierte, unter anderem mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde und nun die Basis für eine epische Serie des Oscar-Gewinners Barry Jenkins ist.

Viel mehr Prestige geht nicht, zumal es um das Thema geht, das die USA in den letzten Jahren umtreibt wie kein Zweites: Das Verhältnis von Schwarz und Weiß, die Folgen der Sklaverei, der Wunsch, endlich schwarze Geschichten von schwarzen Regisseuren erzählen zu lassen. In diesem Sinne agierte auch Amazon, die Barry Jenkins, der für „Moonlight“ den Oscar gewann und danach bei der James Baldwin-Verfilmung „Beale Street“ einen älteren Klassiker der schwarzen Literatur verfilmte, viel Geld und freie Hand ließen.

Im besten wie im schlechtesten Sinne ist „The Underground Railroad“ dann auch ein typisches Produkt der zeitgenössischen Streaming-Dienste, ganz und gar die Arbeit eines Auteurs, aber auch in einem Maß ungezügelt und ausufernd, wie es unter Marktbedingungen kaum möglich wäre.

Whiteheads Roman bietet sich dabei für eine serielle Verfilmung an, denn die Struktur des im Stil des magischen Realismus erzählten Buches ist seriell und episodisch. Es geht um die junge Sklavin Cora (Thuso Mbedu), die in den Jahren vor dem Bürgerkrieg auf einer Plantage im Süden lebt. Lange hält sie die Qual aus, zumal ihr Besitzer einer der etwas umgänglicheren ist. Doch nach dessen Tod hält nichts mehr sie zurück, sie nimmt das Angebot eines Freundes an, der von der mythischen Underground Railroad gehört hat. In der Realität hieß so ein Netz aus auch weißen Sympathisanten, die entflohenen Sklaven die Flucht in die Nordstaaten ermöglichten, in der alternativen Realität Whiteheads wurden daraus tatsächliche Züge, die in einem unterirdischen System operieren. Eine direkte Verbindung in den Norden gibt es allerdings nicht und so beginnt für Cora ein Fluchtdrama, auf dessen Stationen sie mit unterschiedlichen Formen des Verhältnisses von Schwarz und Weiß konfrontiert sieht, stets verfolgt vom Kopfgeldjäger Ridgeway (Joel Edgerton) und seinem kleinen schwarzen Assistenten Homer (Chase W. Dillon).

In South Carolina scheinen Schwarze etwa eine gewisse Autonomie zu genießen, dürfen Lesen und Schreiben lernen, doch weniger rassistisch ist diese Welt nur oberflächlich betrachtet. In Indiana wiederum leben Schwarze auf eigenem Gebiet, doch die Solidarität innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft ist wenig ausgeprägt. Nicht nur hier erzählt Whitehead viel über die Gegenwart, nicht zuletzt die schwierige Entscheidung mancher Schwarzer, die schon in die Mittelschicht aufgestiegen sind und oft mehr Sympathien für die Vertreter ihrer Klasse aufbringen, als für die ihrer Rasse.

In seinem typischen Stil zeigt Jenkins diese Welt, in oft wunderschönen, farbgesättigten Bildern, die mit dem Grauen der gezeigten Welt, die immer wieder in schwer zu ertragenden, brutalen Bildern angedeutet werden, kontrastieren. Und wie in seinen Spielfilmen ist auch diese Arbeit von Jenkins weniger von Narration als von Atmosphäre geprägt, was in den zehn Folgen immer wieder zu Momenten des Stillstands führt.

Man kann es über fast jede aktuelle Netflix- oder Amazon-Serie sagen, besonders über Prestige-Projekte berühmter Regisseure, man denke nur an Martin Scorseses „The Irishman“: auch „The Underground Railroad“ ist zu lang und hätte von etwas Disziplin im Schnitt nur profitiert. Große Qualitäten hat Barry Jenkins Serie dennoch ohne Frage, besonders stilistischer Natur, was auch ein kleines Nebenprodukt andeutet, denn Jenkins verarbeitete in „The Gaze“ Aufnahmen von Nebendarstellern zu einer kurzen Arbeit, die nicht nur problemlos in einem Museum als Videoinstallation gezeigt werden könnte, sondern auch die Vielfalt an schwarzen Geschichten andeutet, die noch erzählt werden könnten. Der Anfang ist gerade erst gemacht.

The Underground Railroad • USA 2021 • Regie: Barry Jenkins • Darsteller: Thuso Mbedu, Joel Edgerton, Chase W. Dillon10 Folgen, jetzt bei Amazon

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