9. März 2020

Empathisch, fantasievoll und posthuman

„The Hidden Girl and Other Stories“: Die zweite Kurzgeschichtensammlung von Ken Liu

Lesezeit: 2 min.

Der chinesisch-amerikanische Autor, Programmierer, Anwalt, Übersetzer und Herausgeber Ken Liu ist so etwas wie der internationale Förderer und Kurator der gegenwärtigen chinesischen Science-Fiction. Er hatte mit seiner englischsprachigen Übertragung des Buches 2014 großen Anteil daran, Cixin Lius Weltbestseller „Die drei Sonnen“ (im Shop) in den Westen zu holen und das Interesse für SF made in China zu wecken. Noch heute fungiert er als Übersetzer (u. a. der US-Ausgabe von Qiufan Chens [im Shop] „Die Siliziuminsel“) und Herausgeber chinesischer Kurzgeschichten in den Staaten. Im März erscheint „Zerbrochene Sterne“, Ken Lius jüngste Anthologie mit von ihm zusammengestellten Science-Fiction-Geschichten aus China, sogar auf Deutsch bei Heyne.


Ken Liu. Foto © Lisa Tang Liu

Außerdem ist im Original gerade seine zweite eigene Storysammlung „The Hidden Girl and Other Stories“ herausgekommen. Vor vier Jahren begeisterte Liu mit seiner ersten Kollektion „The Paper Menagerie and Other Stories“ sofort auf dem Level von Neil Gaiman, Peter S. Beagle und anderen Meistern der anspruchsvollen fantastischen Kurzgeschichte – seine Fantasy-Steampunk-Story „Good Hunting“ daraus wurde sogar in der ersten Staffel von Netflix’Love, Death + Robots“ adaptiert. Danach schrieb er einen „Star Wars“-Episodenroman über Luke Skywalker und eine epische Silkpunk-Romantrilogie, die hierzulande leider Schiffbruch erlitten hat.

Sein neuer englischsprachiger Showcase-Band enthält auffallend viele Storys, in denen Technik eine zentrale Rolle spielt, ob vor oder nach der Singularität. Es geht um Menschen, deren Trauer in Folge eines Amoklaufs von VR-Trollen pervertiert wird; Blockchain-Crowdfunding für Opfer von Katastrophen und Krieg; ein kleines Mädchen, das in der Endzeit mit dem hochgeladenen Geist seines Vaters kommuniziert; oder eine Menschheit, die vollständig digitalisiert in der Simulation lebt. Das ist zwischendurch jedoch etwas viel geballte Postapokalypse und Posthumanität, obwohl der rote Meta-Faden zwischen den Texten zu gefallen weiß.

Zum Glück gibt es noch andere Geschichten, die Lius Bandbreite verdeutlichen: Eine Story, die chinesische Hexen und japanische Atombomben zusammenführt, oder eine außergewöhnliche Alien-Invasion-Rachegeschichten. Berührend auch die Erzählung einer totkranken Mutter, die ihre Tochter dank der Gesetze der Raumzeit durchs Leben begleiten kann. Dazu kommen die starke Titelstory um Ninja-Attentäterinnen in anderen Dimensionen, eine kosmische Hard-SF-Geschichte für Fans von Cixin Liu oder der Kampf mehrerer fantastischer Gestaltwandler (die einzige Erstveröffentlichung im Band, dessen Erzählungen sonst allesamt zuvor in Anthologien oder einem renommierten US-Magazin publiziert wurden). Selbst das ausgekoppelte Kapitel von Lius nächstem „Dara“-Roman überzeugt.

Ken Liu bewegt sich mit seinen Erzählungen stilistisch, inhaltlich und empathisch wieder auf hohem Niveau. „The Paper Menagerie and Other Stories“ war zwar unterm Strich die vielseitigere, faszinierendere Storysammlung dieses Könners, doch wer jenen Band bereits mindestens einmal gelesen hat, muss und kann natürlich zu „The Hidden Girl and Other Stories“ greifen.

Ken Liu: The Hidden Girl and Other Stories • Saga Press, New York 2020 • 432 Seiten • Hardcover: $ 26,00 • Sprache: Englisch

 

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