Modern Forms - Expressive und brutalistische Formen der Nachkriegszeit
Zwei Bildbände zeigen unterschiedliche Formen der Moderne in Kunst und Architektur
Von Zeitenwenden ist in diesen Tagen oft die Rede, von Einschnitten, die die Geschichte in ein davor und ein danach teilen. Manchmal sind es historische Ereignisse, die solche Einschnitte markieren, manchmal technologische Erneuerungen, die Dinge möglich machen, die vorher undenkbar erschienen. Von zwei solchen Einschnitten erzählen Bildbände, die in diesen Tagen fast zeitgleich im Prestel Verlag erschienen sind und zwei Aspekte der Nachkriegsmoderne aufzeigen.
Der von Jane Alison herausgegebene Band „Postwar Modern: New Art in Britain 1945-1965“ (im Shop) erscheint parallel zu einer großen Ausstellung, die im Londoner Barbican Centre stattgefunden hat und sich ein unmögliches Ziel gesetzt hat: Die Entwicklung der britischen Kunst in den 20 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuzeichnen. So zerstört wie weite Teile des Kontinents war die britische Insel zwar bei weitem nicht, die Spuren des Krieges lassen sich dennoch überdeutlich in der Formsprache der Kunst und Architektur erkennen. Meistens zwei, manchmal drei Künstler versammeln die einzelnen Abteilungen von Ausstellung und Buch, die unter sprechenden Titeln wie „Post-Atomic Garden“ oder „Body and Cosmos“ von den physischen und psychischen Narben erzählen, die noch lange Spuren hinterließen. Fruchtbare Gegenüberstellungen findet man in den einzelnen Kapiteln, Arbeiten von Francis Bacon und David Hockney werden etwa gegenübergestellt, aber auch Fotografien von Bill Brandt und Gemälde von Lucien Freud.
So expressiv die Kunst jener Jahre oft war, gerade auch in den späteren Jahren, als die ersten Anzeichen der Pop-Art zu einer collagenhaften Aneignung von Elementen aus Werbung und Alltag führte, so streng mutet oft die Architektur der Nachkriegsmoderne an. Als Brutalismus wird sie oft bezeichnet, von Beton geprägte, funktionale Gebäude, die Nicolas Grospierre in seinem Buch „Modern Forms: An Expanded Subjective Atlas of 20th Century Architecture“ (im Shop) auf über 250 Seiten dokumentiert.
Beim ersten Durchblättern mutet die Zusammenstellung von Häusern, Bushaltestellen und Kapellen willkürlich an, wirken die Bilder, die Grospierre, ein in der Schweiz geborener Franzose, der seit langem in Warschau lebt und im Lauf der Jahre eine stetig wachsende Bibliothek von fotografischen Serien über Bauten der Moderne erstellt hat, betont unspektakulär. Doch nach und nach entsteht eine Ordnung in der Willkür, erkennt man geometrische Formen wie Kreise, Scheiben, Kuppeln, Kuben, Rechtecke und Quadrate als Verbindung zwischen Gebäuden, die in unterschiedlichen Ländern und vor allem politischen Systemen entstanden. So neutral sind die Fotos dabei gehalten, dass sich ohne einen Blick auf die Bildunterschriften kaum sagen lässt, ob sich dieser Kuppelbau in Brasília oder Tripoli befindet, ob jene pyramidenartige Struktur in Litauen oder Bosnien-Herzogowina steht.
Denkt man den Begriff Atlas nun weiter, überrascht es nicht, dass in den kurzen, einleitenden Texten des Bandes mehrmals auf Aby Warburgs berühmten, in den letzten Jahren wiederentdeckten und vielfach ausgestellten Mnemosyne Atlas verwiesen wird. Mit diesem wollte der aus Hamburg stammende Kunsthistoriker einen zum Zeitpunkt seines Todes 1929 unvollendeten Bilderatlas der Kunstgeschichte schaffen. Die Betonung lag dabei weniger auf dem Unikat, als auf den Ähnlichkeiten von Skulpturen, Gemälden und auch architektonischen Elementen, die Verbindungen über Länder, aber auch Zeiträume verdeutlichten.
Ähnliches lässt sich nun auch über Grospierres Atlas sagen, dessen fotografische Dokumentation von Bauwerken ihn durch viele Länder des ehemaligen Ostblocks geführt hat, aber auch in die USA, nach Thailand oder Brasilien. Verblüffende stilistische Ähnlichkeiten tun sich dabei auf, lassen sich wiederkehrende Stilelemente finden, die eine globale Formensprache entstehen lassen. Oft dokumentiert wurde der Brutalismus in den letzten Jahren, aber selten so überzeugend wie hier.
Nicolas Grospierre: Modern Forms: An Expanded Subjective Atlas of 20th Century Architecture • Prestel, München 2002 • 288 Seiten • 40 Euro (im Shop)
Jane Alison (Hrsg.): Postwar Modern: New Art in Britain 1945-1965 • Prestel, München 2002 • 352 Seiten • 50 Euro (im Shop)



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