Believe it or not
Brauchen wir wirklich eine Alternative zum traditionellen Weihnachtsfest?
Es weihnachtet. Allüberall werden Plätzchen gebacken, duftet es nach Apfel, Zimt und Lebkuchen, werden fleißig Krippenfiguren geschnitzt beziehungsweise ‒ wenn sie wie bei uns zu Haus aus purem Gold sind ‒ blank poliert oder wie auch immer auf Vordermann gebracht: Maria und Joseph vornweg, Ochs und Esel, drei Stück Könige, Kamele galore für die vielen Geschenke, die man dem mal in Nazareth, mal in Bethlehem geborenen Knaben darbrachte, Schafe, Hirten, mindestens eine Jahresendflügelfigur zur Verlautbarung der frohen Botschaft. Und der kleine Jeschua selbst, versteht sich. Hark the Herald Angels Sing!
Das ganze fromme Personal ist uns ja durch die Bibel vorgegeben, genauer: durch das Evangelium des heiligen Lukas, dessen Symbol der geflügelte Stier ist. Wir glauben, Lukas sei in Antiochia (Syrien) geboren und im böotischen Theben gestorben, allein: wir wissen es nicht. Was wir aber genau wissen, und zwar durch diesen Lukas, ist, wie es bei der Geburt des Christkindes zugegangen ist ‒ mit Ochs und Esel nämlich, Engel und Hirten, Maria und Joseph und so weiter. Das ist auch gut so, denn diese Gestalten lassen sich leicht und liebevoll abbilden und die ganze Weihnachtsgeschichte damit bis ins Detail nachspielen.
Wie viel Glück wir damit haben, dass eben diese Geburt auf den 24. Dezember fiel, wird einem erst klar, wenn man nachschaut, wessen Wiegenfest wir womöglich sonst an diesem Tag hätten feiern müssen. Werden wir also in Zukunft eine gewisse Verrückung des Weihnachtsschwerpunktes erleben? Und: Wäre das überhaupt wünschenswert?
Man stelle sich vor, wir müssten am 24. Dezember, sagen wir mal, des langjährigen Schachweltmeisters Emanuel Lasker gedenken, der am 24.12.1868 in Berlinchen geboren ward: Würden wir dann die Zimmertanne mit Dame, König, Pferd und Turm schmücken? Und am Abend Bauern opfern?
Am 24.12.1837 ist auch Cosima Francesca Gaetana geboren, die spätere Frau Richard Wagner und nachmalige Leiterin der Bayreuther Festspiele. Mit welchem Pomp und heiligem Geschmetter würden wir diese Stille Nacht begehen ‒ das Weihnachtsfest als Konkurrenz zum Konzert der Trompeten von Jericho oder zu Rock am Ring.
Am 24.12.1953 wurde die „Paul-Falle“ zum Patent angemeldet, eine Vorrichtung zum Speichern kleiner geladener Teilchen. Da säßen wir zu Weihnachten aber schön da, knüpften vergoldete Ionenkäfige in den Weihnachtsbaum und schauten andächtig zu, ob und welche unvorsichtigen Teilchen dort in die Falle gingen. Und als Geschenk setzte es einen kleinen Stromschlag.
Am 24.12.1968 umkreiste erstmals eine menschliche Besatzung den Mond; an Bord der Apollo 8 waren William Anders, Frank Borman, James und Arthur Lovell. Der Rundflug wurde live im Fernsehen übertragen; die Astronauten lasen dem Publikum hienieden den Schöpfungsbericht aus der Bibel vor. Da ließe sich doch etwas draus machen, denke ich: ein Apollo-Mobile, das sich im Orbit des Weihnachtsbaumes bewegt; die Spitze der Tanne geschmückt mit einem prallen Mond ganz aus Silber.
Am 24.12.1980 wurde, auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben, die Schauspielerin Cassidey geboren, deren bürgerlicher Name mir eben entfallen ist. Die Mimin debütierte mit achtzehn Jahren in dem Film Nasty Nymphos 25; ihr Auftritt in dem Film Believe it or not trug ihr im Jahr 2002 eine AVN-Award-Nominierung in der Kategorie „Best Group Sex Scene“ ein ‒ halleluja! Ich kenne den Film noch nicht, vermute jedoch, dass Believe it or not keine im Kern religiöse Botschaft vermittelt. Aber das lässt sich ja recherchieren.
Dies ist nur eine kleine Auswahl an Alternativen zum Christkindelgeburtstag.
Aber vielleicht brauchen wir ja gar keine Alternativen. Man wird ‒ zumal als Science-Fiction-Fan ‒ ja bisweilen ganz schön konservativ. Auch ich möchte meine goldenen Krippenfiguren nicht missen. Feiern wir doch einfach in Zukunft den Christkindelgeburtstag und gedenken der anderen Geburtstage inklusive, der Geburten und anderer Jubiläen ‒ eines hätte ich übrigens noch: Am 24.12.1914 legten etwa hunderttausend Soldaten an der West- und der Ostfront ihre Waffen für einige Tage nieder ‒ gottgeistige, gesegnete Insubordination!
Und wenn die Waffen nur lange genug schweigen, kann man ‒ davon bin ich überzeugt ‒ irgendwann wirklich die Engel singen hören.
Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.
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