31. Januar 2022 1 Likes

Schall und Rauch

Wie wir das Aussterben eines slowenischen Käfervolks verhindern könnten

Lesezeit: 4 min.

Ob der Anophthalmus hitleri das Jahr 2022 - eben erst entkorkt, jagt es schon seinem schaumweintrunkenen grande Finale entgegen - überleben wird?

Es steht nicht gut.

Bekanntlich ist dieser augenlose und gute fünf Millimeter große räuberische Laufkäfer von brauner (!) Farbe, heimisch in den carbonatreichen Höhlen Sloweniens, vom Aussterben bedroht. Zahlen betuchte Sammler von Nazi-Memorabilien doch tausend Euro und mehr für ein Exemplar, tot oder lebendig.

Und das kam so: Anno 1937 benannte der österreichische Käfersammler Oscar Scheibel diese Kreatur nach dem Politiker Adolf Hitler. Das Tier aber wusste davon gar nichts! Wussten die bei, an oder in der Nähe von carbonatreichen Höhlen wohnhaften Slowenen davon? Wohl kaum. Scheibel, geboren im selben Jahr 1881 wie Elly Heuss-Knapp, die Gründerin des Müttergenesungswerks, und Pablo Crispiniano de la Santísima Trinidad Picasso, wirkte lange eher außerhalb des weltpolitischen Rampenlichts. Dann aber das fatale Jahr 1937, in dem er das Kerbtier dem „Herrn Reichskanzler als Ausdruck“ seiner „Verehrung“ widmete.

Den international geltenden Regeln der zoologischen Nomenklatur (International Code of Zoological Nomenclature, ICZN) gemäß kann der einmal bestimmte Name nicht geändert werden; hier gelte die Prioritätsregel für Erstbenennung. Aus Raider würde Twix? Nicht mit der ICZN!

Mir missfällt das. Hier könnte eine Namensänderung Leben, ja die Existenz einer ganzen Käferei retten! Denn was hätte diese Kreatur mit jener Kreatur zu schaffen? Blind für das Weltgeschehen, ernährt es sich zwar räuberisch, aber redlich, paart und vermehrt sich in seinem erdabgewandten Biotop, während die Menschenwelt ihre Tragödien und Farcen aufführt, sich in Mord und Totschlag übt, in den Lockdown geht oder den Winterurlaub auf den Malediven oder – ich will das gar nicht ausschließen - mit dem Wohnwagen ins zweifellos schöne Slowenien fährt, um an Drau oder Mur zu campen oder hoch im Birnbaumer Wald, dem sagenhaft regenreichen. Carbonatreiche Höhlen? Nie gehört. Brauchen wir nicht, wir haben ja unseren Wohnwagen dabei!

Nein, diese Urlauber sind nicht in einer Rettungsmission unterwegs. Wenn der Käfer erhalten bleiben soll, muss sich sein Name ändern. Denn es steht kaum zu erwarten, dass sich nach Nazi-Aas und -Abfall gierendes Sammlervolk für das Exemplar eines Anophthalmus fucksenazi, eines Anophthalmus speluncoli (wegen der Höhle) oder, von mir aus, eines Anophthalmus schokoladski (wegen der Farbe) weit aus dem finanziellen Fenster lehnen würde.

Ich weiß, eine Namensänderung ist auch sonst nicht leicht, nicht einmal für Menschen. Wer Horst Werner heißt, beispielsweise, kann sich nicht mal eben in Werner Horst umtaufen, in Mister President, Eure Herrlichkeit oder Küssdiehand Gnäfrau. Das geht nicht, jedenfalls nicht so einfach. Auch eine Neubenamsung mit Bond Jamesbond, Stephen King oder Donald Duck würde bei der zuständigen Namensänderungsbehörde Stirnrunzeln auslösen.

Das deutsche Namensrecht beruht auf dem Grundsatz der Namenskontinuität; jede öffentlich-rechtliche Namensänderung wird als Eingriff in diese Kontinuität betrachtet. Ist das schlimm? Aber ja, findet das Gesetz. Schließlich hieß es bereits in einem behördlichen Erlass aus dem Jahr 1934: „Jede Namensänderung beeinträchtigt die Erkennbarkeit der Herkunft aus einer Familie, erleichtert die Verdunklung des Personenstandes und verschleiert die blutmäßige Abstammung.“ Im Jahr 1938 verlieh die nationalsozialistische Regierung diesem Grundsatz Gesetzeskraft.

Natürlich sind Künstler und Künstlernamen von diesem blutmäßigen Abstammungsverdunkelungsverbot seit einiger Zeit ausgenommen: Gerhard Höllerich durfte sich Roy Black heißen; Franz Eugen Helmut Manfred Nidl-Petz: Freddy Quinn; Gerd Günther Grabowski: G. G. Anderson; Curtis James Jackson III: 50 Cent; Uğur Bağışlayıcı: Django Asül; Peter René Baumann: DJ Bobo.

Oder die Papstnamen! Lotario dei Conti di Segni: Innozenz III.; Enea Silvio Piccolomini: Pius II. Alles Abstammungsverdunkelungsverbotsbrecher?

Viele sind mit ihrem Namen ganz zufrieden: ich, zum Beispiel; unsere Oma, geborene Hecker; die Elefanten.

Wie man hört, verfeinert die chinesische Regierung unter Herrn Xi Jinping 習近平 (der wirklich so heißt, wegen der Kulturrevolution in den 1960er Jahren aufs Land floh, dort sieben lange Jahre als Landarbeiter lebte und wo? in einer Höhle wohnte!) die erkennungsdienstlichen Kompetenzen der großen chinesischen künstlichen Intelligenz: Nicht nur die Gesichtserkennung macht wundersame Fortschritte, auch die einzelne Stimme wird bald aus tausendzüngigem Gemurmel herausgefiltert werden können. Die Art, wie wir gehen, uns drehen, stehen und uns bewegen, wie wir husten, niesen, lachen und von Verdauungsgasen entlüften – alles persönlicher als ein Personalausweis.

Ich sehe sie kommen, die Zeit, in der unsere Namen ihre Bedeutung ganz verloren haben werden, verwaltungstechnisch gesehen jedenfalls. Vielleicht wird man eines Morgens aufwachen, in die Namenslostrommel greifen und ablesen: Heute heißest du Raider. Morgen Twix. Übermorgen Innozenz XIII. Und wenn in dieser Tombola der Name Anophthalmus hitleri fehlt, will ich‘s zufrieden sein.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein namenlos gesundes und besseres neues Jahr!

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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