27. August 2018 1 Likes

Astro-Alex und die Zugvögel

Wissenschaft im Weltall – Erster Teil: Neue Horizonte

Lesezeit: 3 min.

Am 6. Juni 2018, gegen Mittag, trafen sich drei Abenteuerlustige in der kasachischen Wüste, um eine enge Sojus-Kapsel zu besteigen, sich damit in 400 Kilometer Höhe schießen zu lassen und dort einen Forschungskomplex zu betreten, der mit 7,66 Kilometern pro Sekunde um die Erde rast. Natürlich ist die Rede von Alexander Gerst und seinen Kollegen, die sich zur Horizons Mission der ESA auf die ISS begeben haben, wo sie die nächsten fünf Monate verbringen werden. Schon seit seiner ersten Mission im Jahr 2014 ist „Astro-Alex“ der Held zahlloser Kinder, die den Traum von Abenteuern im Weltraum träumen. Aber was tut man eigentlich 187 Tage lang auf der ISS?

Horizons ist eine großangelegte, internationale Forschungsaktion, und da die ISS unser einziger Außenposten im All (nun ja, fast im All) ist, reißen sich Wissenschaftler aus allen möglichen Forschungsgebieten um wertvolle Experimente während der Missionen. Die Ausbildung zum Astronauten ist allerdings schwer und langwierig, und nicht jeder Wissenschaftler hat das Zeug dazu. Deswegen mussten Gerst und Co. vor der Mission als absolute Allrounder ausgebildet werden, um die Experimente in Physik, Medizin, Biologie und etlichen weiteren Fachbereichen korrekt ausführen und die Ergebnisse an die Forscher auf der Erde weitergeben zu können. Hier nur eine kleine Auswahl der Experimente, die derzeit auf der ISS durchgeführt werden:

CIMON
Öffne die Schleuse, HAL … äh, CIMON

CIMON: Klingt wie ein Pokémon, ist aber ein Autopilot für die Raumfahrt mit künstlicher Intelligenz, der auf der Horizons Mission getestet wird. CIMON kann nicht nur Experimente dokumentieren und Inventur machen, sondern auch sehen, hören und sprechen – und damit den Astronauten der Zukunft hoffentlich viel Arbeit abnehmen. Klingt mir persönlich ja ein bisschen zu sehr nach 2001: Odyssee im Weltraum

Myotones: Dass bei längeren Aufenthalten im Weltraum Muskelmasse abgebaut wird, ist keine Neuigkeit. Mit dem Myotones Project auf der ISS werden neue Analysemethoden eingesetzt, um Eigenschaften der Skelettmuskeln aufzuzeichnen und deren Veränderungen aufgrund der geringen Schwerkraft ausgewertet. Auf der Erde können die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann hoffentlich bei der Verbesserung von Rehabilitationsmaßnahmen bei Muskelschwund helfen, sie sind aber auch für Leistungssportler interessant.

Plasmakristalle: Plasma ist eine Form von ionisierten, also elektrisch geladenen Gasen, die vor allem in der Chip- und Halbleitertechnologie eine Rolle spielt, aber auch in der medizinischen Forschung Aufmerksamkeit erlangt hat. Unter geringer Schwerkraft sortieren sich Plasmamoleküle in eine gut strukturierte Kristallform, die es erlaubt, sie wie einzelne Atome zu beobachten und unser grundlegendes Verständnis ihres Verhaltens zu verbessern.

ICARUS: Das neue ICARUS-Modul ist eine Ansammlung von Antennen und Transmittern, die auf globaler Ebene das Migrationsverhalten von Zugvögeln und anderen Arten analysieren sollen. Dies soll langfristig dabei helfen, sowohl das Zugverhalten wie auch die Verbreitung von Seuchen und den Einfluss der Landwirtschaft auf verschiedene Tierarten besser zu verstehen.

Wie gesagt, dies ist nur ein kleiner Bruchteil der insgesamt fünfundsechzig Experimente, die auf der ISS durchgeführt werden – fünfzig von ihnen mit deutscher Beteiligung. Außerdem hat das Team der ISS eine enorme mediale Reichweite und zahlreiche Programme zur Inspiration der jüngeren Generation, sich mit Wissenschaft und Forschung zu beschäftigen.

Als Kommandant ist Alexander Gerst aber nicht nur an den Experimenten selbst beteiligt, sondern muss auch Verantwortung für seine Crew übernehmen – vom Lösen sozialer Konflikte, die vermutlich unausweichlich sind, wenn man fünf Monate lang gemeinsam in einer schwebenden Blechbüchse lebt, bis hin zur Entscheidung über einen Missionsabbruch im eventuellen Notfall. Außerdem muss er „sein“ Schiff in- und auswendig kennen, Reparaturen vornehmen und die Docks bedienen können. Nur Abenteuerlust allein ist also noch keine ausreichende Qualifikation, um Astronaut zu werden – dazu gehören auch ein breit gefächertes wissenschaftliches Interesse, technisches Know-How und enorme soziale Kompetenz.

Fun Fact: Während der Gesamtlänge des Lieds „500 Miles“ von den Proclaimers (Sie wissen schon: „And I would walk 500 Miles and I would walk 500 more…“) legt die ISS eine Strecke von fast genau tausend Meilen zurück. Und während seiner Mission auf der ISS könnte Alexander Gerst das Lied ungefähr 77.000 Mal anhören. Diese vollkommen nutzlose Information werden Sie nun vermutlich für immer im Gedächtnis behalten.
 

Judith Homann hat einen Master in Meteorologie von der Universität Innsbruck und interessiert sich insbesondere für extraterrestrische Wetteraktivitäten. Alle ihre Kolumnen finden Sie hier.

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