22. August 2016 1 Likes

Warten auf Heinrich

Durch den Klimawandel reißt der Golfstrom ab und löst in Europa eine Eiszeit aus – oder?

Lesezeit: 4 min.

Als Roland Emmerich vor zwölf Jahren in seinem Blockbuster The Day after Tomorrow in typisch dramatischer Art die USA einfror, brachte er nicht nur das Thema Klimawandel zum ersten Mal auf die große Leinwand, sondern beeindruckte mich mit meinen fünfzehn Jahren zugegebenermaßen schwer. Globale Erwärmung kann eine Eiszeit auslösen? Wow! Aber … stimmt das denn wirklich? Oder hat sich Hollywood hier etwas kreativen Freiraum genommen?

Der Golfstrom ist eine warme Meeresströmung, die Wasser aus der Gegend um den Golf von Mexiko über den Nordatlantik nach Osten zum europäischen Kontinent transportiert. Durch das relativ warme Wasser ist unser europäisches Klima deutlich gemäßigter und milder als auf dem gleichen Breitengrad in Nordamerika, denn der Ozean wärmt sozusagen die Luftmassen in Westeuropa so sehr auf, dass an der irischen und britischen Küste Palmen wachsen. Können Sie sich das auf der anderen Seite des Atlantiks vorstellen? Immerhin liegt Berlin etwa auf dem gleichen Breitenkreis wie Quebec in Kanada, wo die mittleren Temperaturen im Winter gern mal um minus zwanzig Grad Celsius liegen. Berlin schafft es auf geradezu lauschige Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Doch was ist der Golfstrom eigentlich und wieso tut er, was er tut?

Meeresströmungen wie ihn gibt es reichlich in unseren Ozeanen, zum Beispiel den ostaustralischen Strom, auf dem Clownfisch Marvin auf der Suche nach Nemo mit den Schildkröten reitet (na, wer erinnert sich?). Eine Analogie zu Ozeanströmungen kann man in der Atmosphäre suchen, denn auch da gibt es Ströme: den Jetstream zum Beispiel, der im Wesentlichen durch Dichteunterschiede zwischen kalter Luft im Norden und warmer Luft im Süden angetrieben wird.

Im Ozean kann man Dichteunterschiede nicht nur durch Temperatur erreichen, sondern auch durch Unterschiede im Salzgehalt. Die Faustregel lautet: Je kälter und/oder je mehr Salz, desto dichter das Wasser. Global gesehen führt das zu interessantem Verhalten: In warmen Gegenden mit wenig Niederschlag ist das Wasser sehr warm, aber aufgrund der hohen Verdunstung auch sehr salzig. In kalten Gegenden ist es sehr kalt, aber wird durch Niederschläge auch ständig verdünnt. Noch weiter im Norden, in Richtung Arktis, kommt dazu noch salzarmes Schmelzwasser aus den großen Eismassen. Durch dieses Verhalten entsteht ein Gleichgewicht, das Meeresströmungen wie den Golfstrom aufrechterhält. Die Theorie ist nun naheliegend: Wenn wir dieses Gleichgewicht stören, zum Beispiel durch einen plötzlichen Süßwasser-Input durch schmelzende Eismassen auf Grönland, kann der Golfstrom zusammenbrechen und unser mollig-warmes Klima könnte sich in Luft auflösen.

Tatsächlich gibt es Hinweise, dass genau das schon einmal passiert ist. Vor etwa achttausend Jahren, als die letzte Eiszeit auf dem Rückzug war, wurde es plötzlich nochmal ziemlich kalt. Paläoklimatologen haben herausgefunden, dass dies durch einen Süßwassereinbruch aus einem riesigen Schmelzwasserreservoir ausgelöst wurde. Auf dem nordamerikanischen Kontinent sind die eiszeitlichen Gletscher geschmolzen, und Süßwasser sammelte sich in einem unvorstellbar großen See in der Gegend, wo heute die Großen Seen liegen. Im Norden wurde dies durch einen zunehmend dünner werdenden „Damm“ aus Eis begrenzt, und als der schließlich brach, ergossen sich Milliarden Liter von Süßwasser in den Nordatlantik – genau da, wo der Golfstrom vorbeikommt. Dieses und ähnliche Ereignisse (die man nach ihrem Entdecker Hartmut Heinrich auch „Heinrich-Ereignisse“ nennt) führten tatsächlich dazu, dass die Meeresströmungen durcheinander gerieten und für eine gewisse Zeit die Erwärmung in Nordeuropa erstmal aussetzte.

Setzt also bald eine neue Eiszeit ein, weil wir durch die von uns verursachte globale Erwärmung Eiskappen schmelzen und so den Golfstrom stören? Höchstwahrscheinlich nicht. Zunächst einmal sprechen wir hier von Größenordnungen, die im Moment gar nicht zur Debatte stehen, es sei denn, Grönland entschließt sich, innerhalb weniger Jahre komplett abzutauen. Die Temperaturen in der Arktis steigen zwar, aber es gibt keinen Grund, zu glauben, dass von jetzt auf gleich sämtliches Eis schmilzt und sich in den Atlantik ergießt. Außerdem zeigt uns die Paläoklimatologie, dass diese Ereignisse zwar vorkommen, aber offenbar in einem gewissen Maße selbstregulierend sind – schließlich haben wir ja immer noch unseren guten alten Golfstrom, auch wenn er in den letzten zehntausend Jahren ab und an mal Schluckauf hatte.

Auf die ganz leichte Schulter nehmen sollten wir Veränderungen im Strömungsmuster der Ozeane aber auch nicht. Der Golfstrom bestimmt nicht nur unsere Temperaturen, sondern beeinflusst auch den Feuchtegehalt der Atmosphäre und die Zugbahn von Stürmen und Tiefdruckgebieten. Eine Änderung in seinem Strömungsmuster hätte also durchaus Auswirkungen auf das europäische Klima, wenngleich nicht so Hollywood-taugliche wie riesige Eis-Hurrikane, die amerikanische Flaggen binnen Sekunden einfrieren.

Letztes Jahr deuteten einige Studien tatsächlich darauf hin, dass der Golfstrom langsamer und schwächer wird. Allerdings gibt es auch Studien, die das bestreiten. Das zeigt, wie wenig wir vom empfindlichen Zusammenspiel der Ozeanströmungen verstehen und dass man selbst solide wissenschaftliche Studien immer mit Abstand und im gesamten Kontext betrachten muss; unterschiedliche Methoden und Ansätze können unter Umständen zu grundverschiedenen Ergebnissen führen, was aber nicht heißt, dass sie falsch oder unwissenschaftlich wären. Daher ist es immer gut, verschiedene Blickwinkel im Auge zu behalten. Aktuell scheint es jedenfalls keinen Anlass zu geben, in Panik zu verfallen und Hamsterkäufe in kälteisolierten Bunkern zu lagern.
 

(Vielen Dank für die Inspiration zu diesem Beitrag an meinen Professor in Paläoklimatologie, Prof. Ben Marzeion von der Universität Bremen! Mehr Informationen zur Paläoklimatologie finden Sie auf www.marzeion.info.)

Judith Homann hat einen Master in Meteorologie von der Universität Innsbruck und interessiert sich insbesondere für extraterrestrische Wetteraktivitäten. Alle ihre Kolumnen finden Sie hier.

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