3. April 2017 1 Likes 3

Das misanthropische Prinzip

Ein epochales Werk der Physik wird wiederentdeckt

Lesezeit: 6 min.

2017 feiert eine zwar kleine aber gewissenhafte Forschergemeinde das Gedenken an einen der ungewöhnlichsten Physiker des 20. Jahrhunderts: Alfred Rudolf von Schloch (geb. 1907 in Wien, gest. 2001 in New York). Er wäre kommendes Jahr 110 Jahre alt geworden, hätte das Schicksal ihm nicht derart unerwartet mitgespielt.

In der Tat erstaunt es, wie früh das Leben von Schlochs durch seltsam negative Ereignisse bestimmt wurde: Wie sein Biograf berichtet, fiel just in der Sekunde seiner Geburt das elektrische Licht im Kreißsaal des Wiener Allgemeinen Krankenhauses aus, sodass er „in eine völlig dunkle Welt hinein geboren wird, wo niemand ihn begrüßt und nichts ihn erwartet“. (Zitiert nach: F. Hammerstil: „Alfred Rudolf von Schloch – Leben und Werk eines Weltverweigerers“, Pantheon Verlag, 1983) Wenig später, im Jahr 1910, wird sein Kindermädchen vom Halley‘schen Kometen so sehr erschreckt, dass es den kleinen Alfred unglücklicherweise in eine Baugrube fallen lässt – aus der er nur mit Hilfe einer Seilwinde geborgen werden kann. Anlässlich der totalen Sonnenfinsternis vom 17. April 1912 muss er schließlich miterleben, wie die Pferde der elterlichen Kutsche mitten im schnellen Trab einschlafen und in die Donau laufen, wodurch seine ganze Familie zum Gespött der Tageszeitungen wird. Früh ahnt von Schloch, dass uns das Universum feindlich gesinnt ist. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs lässt ihn dann erkennen: die Menschen haben es nicht besser verdient. Die Suche nach Gründen dafür prägt seine Studienwahl und spätere Laufbahn.

1931 verfasst er seine Diplomarbeit an der Technischen Universität Wien. Sie trägt den Titel „Reorganisation der Thermodynamik“ und postuliert, dass die Entropie – also die zunehmende Unordnung in geschlossenen Systemen – erst mit dem Auftreten der Menschheit begann. Demnach würde nicht die Natur, sondern unsere ungeschickte Spezies immer alles durcheinander bringen. Seine Professoren lehnen diesen Ansatz zwar ab, da die Arbeit jedoch gut formuliert und die Mathematik wasserdicht ist, wird sie wohl oder übel mit der Bestnote beurteilt.

1933 wird von Schloch als Assistent von Max Planck an die Berliner Universität berufen. Da im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Dokumente zerstört wurden, ist nicht ersichtlich, an welchen Projekten er in jener Zeit arbeitet. Doch scheint er ein Gegenmodell zur Entropie zu entwickeln und den alten Planck immer stärker zu irritieren, indem er alles – Arbeitsgeräte, Mittagessen, Institutszeitschriften – in immer winzigere Einheiten teilt und ordnet. „Alfred treibt mich schön langsam zur Verzweiflung“, schreibt Planck in sein Tagebuch. „Bald wird er wohl damit beginnen, die Quanten des Weltenalls in noch kleinere Einheiten zu gliedern, wenn ich ihm keinen Riegel vorschiebe.“ Historiker erkennen darin einen wichtigen Impuls für die Einführung der Planck-Länge als untere Begrenzung der räumlichen Dimension, wenngleich die Rolle von Schlochs hierbei meist übersehen wird.

Sich in Berlin unverstanden fühlend, besucht er 1940 Werner Heisenbergs Vorlesungen in Leipzig und konfrontiert ihn mit seiner eigenen Interpretation der Unschärferelation: Demnach können Ort und Eigenimpuls eines Teilchens nur deshalb nicht gleichzeitig bestimmt werden, weil seit Verbreitung des Automobils immer irgendeine Störung dazwischen kommt – mal die Hupe, dann ein Auspuffknattern. Man müsse den Menschen das Fahren in Universitätsnähe ganz einfach verbieten.

Solche und ähnliche Vermutungen hindern ihn nicht daran, die Nationalsozialisten zu unterstützen, im Gegenteil: Da sie für ihn Recht und Ordnung repräsentieren, bietet er sich ihnen sogar als Raketenkonstrukteur an, „um missliebige Elemente des Volkes auf den Mond zu schießen“, wie er in einem Schreiben an die NSDAP erläutert. Als Kollaborateur wird von Schloch nach Kriegsende zwar von den Besatzungsmächten mit Ausreiseverbot belegt, doch spannen ihn die Vereinigten Staaten noch 1945 mit Wernher von Braun im Geheimprojekt von Garmisch-Partenkirchen zusammen, um die Raketenforschung voranzutreiben. Von Braun erzählt später über die Zusammenarbeit: „Alfred war lediglich daran interessiert, wie wir eine so gewaltige Mars-Rakete bauen könnten, dass ihre Triebwerke beim Start möglichst die gesamte Nordhemisphäre der Erde in Brand setzen würden. Ich habe darüber nachgedacht, fand aber keinen geeignet starken Treibstoff.“ (W. v. Braun: „Die unerledigten Projekte“, S. 124, Barclays Books, 1957)

Zwischen 1950 und 1952 folgen mehrere Briefwechsel zwischen von Schloch und Albert Einstein, den er wegen dessen Mitentwicklung der Atombombe sehr schätzt. Es geht in den Briefen allerdings um die Bedeutung der speziellen und mehr noch der allgemeinen Relativitätstheorie. „Wie kann es sein“, schreibt von Schloch, „dass bei einem Menschen, der sich in Relation zu einem anderen in Bewegung befindet, die Armbanduhr langsamer geht – wo wir beide doch genau wissen, dass in diesem verdammten Weltall keine einzige Uhr jemals die richtige Zeit anzeigt?“ Einstein bemüht sich sichtlich, ihm die Sache klar zu machen, gibt dann aber entnervt auf und wird sogar beobachtet, wie er im Arbeitszimmer mit Pfeilen nach einem Foto seines Korrespondenzpartners wirft.

In den 1960ern entsteht während einer Vorlesungsreihe von Schlochs in London eine berufliche Zusammenarbeit und sogar Freundschaft mit dem britischen Astronomen Andrew Steward Shole. Gemeinsam erarbeiten sie eine Deutung der ungewöhnlichen, extrem dichten Materieansammlungen im Kern von Galaxien. „Es handelt sich hierbei um den dunklen Quell alles Widerlichen, aus dem bewohnte Welten hervorgehen. Suchen Sie die Wiege von Scheckbetrug und Politikerlügen? Dort werden Sie fündig.“ (A. R. Schloch und A. S. Shole: „Determinants of a massively bad universe“, Oxford Physical Letters 4/1966) Als Begriff für diese seltsamen Materiefallen, aus denen nicht einmal Licht dringt, schlägt Shole „Schwarze Darmausgänge“ vor, doch von Schloch will sie unbedingt „Lichtlose After“ nennen. Die beiden zerstreiten sich über dieser Frage und wechseln ab 1967 kein Wort mehr miteinander.

„Die Atmosphäre der Erde“, sagt von Schloch 1977 bei einem Physikergespräch in Princeton, „besteht nur zu einem Drittel aus Sauerstoff und Stickstoff, der Rest ist Hass, Neid, Dummheit und der giftige Ausstoß von Naturkatastrophen. Am Mars fehlt all das, darum wäre er wohl der bessere Lebensort. Jedenfalls für alle, die ich kenne.“

Als 1980 die kosmische Hintergrundstrahlung entdeckt wird und sich die Anzeichen verstärken, dass das Weltall einst aus einem gewaltigen Urknall entstand, schreibt von Schloch in der Physical Review: „Dies wiederum ist ein bedeutender Hinweis darauf, dass es vor dem Universum ein anderes gegeben haben muss, in dem Menschen existierten. Denn nur sie sind so blöd, irgendwo drauf zu drücken und alles auseinanderfliegen zu lassen.“

Längere Zeit hört man nichts mehr von ihm, er zieht sich in eine Waldhütte bei Luzern zurück und beschäftigt sich mit dem von Roger Penrose und anderen entwickelten „Anthropischen Prinzip“ (wonach das Universum nur existiert, weil und damit wir in ihm existieren). In einem massiven Arbeitsanfall entwirft er innerhalb eines Sommers sein pessimistisches Gegenstück dazu: das „Misanthropische Prinzip“. Demnach existieren unsere Körper nur, damit alle nicht mehr benötigten und fehlerhaften Atome des Universums irgendwo zentral versammelt sind, um möglichst wenig Schaden anzurichten. An den Wochenenden findet er sogar die Zeit, Briefbomben zu basteln, die er jedoch nie abschickt. Als man sie später findet, ergeben ihre Zustelladressen ein „Who is Who“ der Wissenschaft, Politik, Unterhaltungsbranche und Haustierzucht. Besorgte Einwohner und entfernte Verwandte, die in jener Zeit zu ihm vorzudringen versuchen, verjagt er mit einer Schrotflinte und den wütenden Worten: „Zielgerichtetheit des Universums? Ha! Ich werde euch zeigen, was Zielgerichtetheit ist, ihr verdammten …!“

Erst als ein US-Physikerteam in den 1990er-Jahren Hinweise auf eine beschleunigte Expansion des Universums findet, meldet er sich öffentlich wieder zu Wort, indem er mehreren Redaktionen schreibt: „Dass unser Weltall immer schneller auseinander zu streben und größer zu werden scheint, liegt nicht an einer unbekannten, ominösen Kraft. Sondern ganz einfach daran, dass es möglichst viel Abstand zu uns Menschen gewinnen will.“ (Zitiert nach: Summers et al: „A. R. Schloch and his disturbing way of seeing the world“, Scientific American 11/1999) Zu diesem Zeitpunkt hat ihn die Physikergemeinde aber schon längst vergessen und sein Brief landet in der Leserbriefspalte eines Wissensmagazins für Jugendliche.

2001 endlich wird sein Ansuchen um Einreise in die USA (die ihn wegen seiner Rolle in der NS-Zeit auf eine Watchlist gesetzt hatten) endlich positiv beantwortet. Als 94-jähriger macht sich von Schloch noch einmal auf die Reise, um an einer Physiker-Tagung in Denver teilzunehmen, bei der er für sein wiederentdecktes Lebenswerk geehrt werden soll. Leider erwischt er beim Umsteigen in New York ausgerechnet eines jener Flugzeuge, die ihr Dasein als Feuerball im World Trade Center beenden. Dieses Ende eines lange Zeit verkannten Wissenschaftlers passt fatalerweise zu seinen Ansichten über den Menschen und dessen Schicksal: Egal was wir unternehmen, stets stellt uns das Universum ein Bein und lacht uns aus. Alfred Rudolf von Schloch, dem wir die Erkenntnis unserer kosmischen Unerwünschtheit verdanken, war der lebende Beweis dafür.
 

Uwe Neuhold ist Autor, bildender Künstler, Medien- und Museumsgestalter mit Schwerpunkt auf naturwissenschaftlichen Themen. Alle Kolumnen von Uwe Neuhold finden Sie hier.

Kommentare

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Sehr geehrter Herr Neuhold
1835 erschien in der New York Sun der Artikel: "Neueste Berichte vom Kap der guten Hoffnung über Sir John Herschel's höchstmerkwürdige astronomische Entdeckungen den Mond betreffend".
Eingedenk der Tatsache das dieses Werk die wohl erste Zeitungsente der Geschichte war und selbst das allwissende Google und auch mein "Lexikon der unwichtigsten Wissenschaftler aller Zeiten" diesen Herrn Adolf Rudolf von Schloch und sein Werk nicht kennt, gehe ich davon aus - zudem auch noch der 1. April noch nicht lange vergangen ist - dass diese Person wohl der Phantasie des Herrn Uwe Neuhold, dessen Kolumne ich im Übrigen sehr schätze, entsprungen sein könnte. Wohlgemerkt könnte, sicher bin ich mir nicht, wenngleich ich es mir wünschen würde der Aufdecker einer "Zukunftsente" sein zu dürfen. Selbst der Katalog der deutschen Nationalbibliothek findet das Werk: F. Hammerstil: „Alfred Rudolf von Schloch – Leben und Werk eines Weltverweigerers“, Pantheon Verlag, 1983 nicht in seinem Bestand. Auch W. v. Braun: „Die unerledigten Projekte“ werden ausschließlich hier in diesem Artikel erwähnt. Somit glaube ich, dass Sie Herr Uwe Neuhold der Kreateur eines möglichen aber nichtsdestoweniger erfundenen und vergessenen Physikers sind. Falls dem so sein sollte beglückwünsche ich Sie zu dieser perfekt inszenierten Biographie eines möglichen anthropischen Genies.
Hochachtungsvoll, Hans Schilling

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Sehr geehrter Herr Schilling,
ich schwöre beim Leben meiner Urgroßmutter, dass es A. R. Schloch, A. S. Shole, Max Planck und die anderen Erwähnten wirklich gab. Meine Quellen - die ich momentan leider nirgends finden kann - habe ich im Fachartikel "Physicists' pranks in April lectures" (Stanford Press, 2016. S. 53 f) übersichtlich und vollständig dargestellt. Wenn Sie sich bitte die Mühe machen würden, ein Exemplar davon zu bestellen und sich meiner lauteren Absichten zu vergewissern (und wenn Sie mir bitte auch gleich zwei, drei Exemplare mitbestellen könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden).
Mit vorzüglicher Hochachtung,
U.Neuhold

Bild des Benutzers Hans Schilling

Sehr geehrter Herr U.N.
Ich habe natürlich keine Mühen gescheut und heute in den USA angerufen und tatsächlich jemand bei Stanford Press erreicht, der Ihre Arbeit noch im Gedächtnis hatte. Leider ist, nach Auskunft der dortigen Bibliothekarin M.Y Hole besagter Artikel nicht mehr auffindbar, was in Zeiten der Digitalisierung schon fast unglaublich ist. Nichtsdestotrotz konnte sie mir einen sehr guten weil fruchtbaren Tipp geben. Nämlich in Mr. Ouroboros ungewöhnlicher Bibliothek in San Francisco hätte ich die besten Chancen Ihren Artikel zu finden und tatsächlich war dieser nach Auskunft des dortigen Mitarbeiters Mr. John A. Beer im allerobersten und hintersten Regal, welches nur über eine sehr, sehr lange Leiter erreichbar ist, in einer in orangefarbenen in Ziegenleder gebunden Prachtausgabe auffindbar. Ich habe dieses rare Prachtexemplar selbstverständlich sofort, für den lächerlich niedrigen Preis von 25.000 erworben, in der Gewissheit nun der Besitzer der einzigen Ausgabe Ihres Artikels sein zu dürfen. Sobald ich das Werk in meinen Händen halte und auch gelesen habe können wir uns in einem Kolloquium über eine Neuauflage beratschlagen. Ich bin mir sicher, viele Leser Ihrer Kolumnen hier, würden es sich wünschen diesen Artikel lesen zu können. Interessant wäre auch eine Ausgabe zusammen mit Ihrem Erstlingsroman "Gruben".
In diesem Sinne empfehle ich mich, ihr treuer Leser
Hans Schilling

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