16. November 2020

Was ist da oben eigentlich los?

Ein Plädoyer für einen transparenten Weltraum

Lesezeit: 4 min.

Im September diesen Jahres schickte China ein Raumfahrzeug ins All. Besagtes Raumfahrzeug ist wiederverwendbar, was bedeutet, dass es nach erfüllter Mission landen und ein weiteres Mal gestartet werden kann. Es blieb zwei Tage lang in der Umlaufbahn und setzte dort etwas ab.

Bestimmt ist Ihnen aufgefallen, dass ich im vorigen Absatz nicht gerade mit Details um mich geworfen habe. Und das nicht etwa deshalb, weil ich zu faul für eine ordentliche Recherche bin (was vorkommt), sondern weil wir tatsächlich nicht die geringste Ahnung haben, was das chinesische Raumfahrzeug da oben getan hat. Wir wissen nicht, wie es aussieht, was es kann oder was es dort abgesetzt hat. Es könnte gut und gerne aus einem neuartigen experimentellen Käse mit unter Weltraumbedingungen extrem vorteilhaften Eigenschaften gemacht sein.

China als Nationalstaat bringt einen ja oft zur Verzweiflung. Der ständige Kontrollzwang und die Geheimniskrämerei sind im besten Fall nervig, im schlimmsten lebensgefährlich. Aber was die Weltraumforschung angeht, ist China nicht der einzige Staat, der seine Geheimnisse für sich behält. So ziemlich jede in der Weltraumforschung aktive Nation versucht mit großem Aufwand, die Details dieser Aktivitäten auf die eine oder andere Weise zu verbergen. Nehmen wir zum Beispiel die USA. Der X-37B-Weltraumgleiter verbringt oft mehrere Monate im All, und wir wissen weder, worum es sich bei diesem Gleiter genau handelt, noch was er da oben treibt.

Historisch gesehen nahm die ganze Heimlichtuerei in den 1960er-Jahren ihren Anfang. Beim Wettlauf ins All wollten sowohl die USA wie auch die Sowjetunion um jeden Preis verhindern, dass irgendjemand – und ganz besonders der Erzfeind – in Erfahrung brachte, was sie im Orbit taten. Was in gewisser Weise verständlich ist. Man will seine Feinde (oder auch seine Verbündete) nicht unbedingt wissen lassen, was man gerade im Schilde führt, besonders nicht in einer Welt, in der Nationalstaaten miteinander wetteifern oder sich sogar im Krieg befinden. Aber wenn es um die Weltraumforschung geht, ist diese Geheimniskrämerei einfach dämlich. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist die Idee, dass Geheimhaltung Vorteile mit sich bringt, wirklich lächerlich.

Es verhält sich nämlich folgendermaßen: Alle spucken große Töne, wenn es darum geht, dem Mond noch einmal einen Besuch abzustatten oder den Mars zu besiedeln, aber in Wahrheit sind wir weit davon entfernt. Außer ein paar Raumfahrtbehörden interessiert sich niemand dafür, und die wollen unbedingt die Ersten sein, weil sie glauben, dass ihnen den Mars dann niemand mehr streitig machen wird. Das ist genauso großer Blödsinn wie die United States Space Force. Diese neugegründete Teilstreitkraft des amerikanischen Militärs ist so erbärmlich, dass sie sogar ihr Logo von Star Trek geklaut hat. Was hat sie im Weltraum überhaupt zu suchen? Dort oben gibt es keine Feinde zu bekämpfen. Diese Behörde hat also keine wirkliche Aufgabe, sie existiert einfach nur.

Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Wozu diese ganze Geheimhaltung? Dadurch erreicht man nichts und gewinnt auch nichts – auch keinen Vorsprung gegenüber den anderen. Die Position von Satelliten nicht zu verraten, verschafft theoretisch vielleicht einen Vorteil, praktisch ist diese Geheimhaltung aber nur ein weiteres Hindernis für die Weltraumforschung. Wenn wir so weitermachen, werden wir in den 2020er-Jahren weder noch einmal den Mond besuchen noch den Mars betreten. Diese Besessenheit, alle anderen um jeden Preis aus dem Feld zu schlagen, ist völlig grotesk und in etwa so intelligent wie ein Sack voller Mondgestein.

Und jetzt stellen Sie sich einmal das Gegenteil vor: dass die Weltraumforschung nach dem Open-Source-Prinzip arbeitet. Stellen Sie sich vor, dass alle Nationen und privaten Unternehmen ihre Daten nicht nur freiwillig, sondern auch gerne mit anderen teilen. Stellen Sie sich vor, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Herren Länder ihr Wissen bündeln, um gemeinsame Projekte in Angriff zu nehmen. Stellen Sie sich vor, dass man nicht mehr für jeden Pipifax eine Sicherheitsfreigabe braucht. Wenn China, die USA und Indien eine gemeinsame Raumfahrtbehörde ins Leben rufen und diese mit den besten Wissenschaftlern aller drei Nationen besetzen – wie lange würde es wohl dauern, bis wir tatsächlich einen Fuß auf den Mars setzen? Klar, es gäbe wohl einige kulturelle und sprachliche Hürden, aber die zu überwinden, wäre machbar. Und es wäre zum Besten für alle.

Ohne diesen Geheimhaltungsquatsch würden wir begreifen, dass das, was im Weltraum passiert, weit über alle Ländergrenzen hinausgeht. Und dann könnten wir endlich den Weltraum erobern - auf friedliche Weise, versteht sich.

Sicher, das ist ein schöner Traum, der vermutlich nicht in Erfüllung gehen wird (zumal Elon Musk dann kein Geld mehr mit dem Weltraum verdienen würde, und das geht natürlich überhaupt nicht). Aber um einen schönen Satz von Bill Bryson zu zitieren: „Es wird nicht passieren, solange sich alle darüber lustig machen.“

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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