Teamwork im Weltall
Plutos Mond Charon – und wie er seinen großen Nachbarn beschützt
Weit draußen am dunklen Ende des Sonnensystems klingen schon die Namen wenig einladend. Da wäre etwa der Ex-Planet Pluto, das römische Äquivalent zu Hades, Gott der Unterwelt. Und dann seine fünf Monde: Hydra, das putzige Tierchen, dem ständig neue Köpfe wachsen, Kerberos, der Wachhund der Unterwelt, Nix, griechische Göttin der Nacht und der Dunkelheit, Styx, der Fluss, den die Seelen überqueren müssen, um in die Unterwelt zu gelangen, und Charon, der Fährmann, der die Seelen für einen Taler über jenen Fluss fährt. Nix, Styx, Kerberos und Hydra sind mit nur etwa zehn bis sechzig Kilometer in ihrer längsten Dimension kaum mehr als übergroße Kieselsteine und sehen auch nicht gerade nach Mond aus. Dementsprechend wurden sie erst spät und nur mit dem Hubble Space Telescope entdeckt: Nix und Hydra, die größeren, im Jahr 2005, Kerberos und Styx erst 2011 und 2012.
Charon nimmt unter Plutos Monden eine Sonderrolle ein. Er wurde bereits 1978 entdeckt, ist hübsch rund, wie man sich einen Mond vorstellt, ist weniger als 20.000 Kilometer von Pluto entfernt und hat einen Durchmesser von über 1200 Kilometer – halb so groß wie Pluto selbst. Zum Vergleich: Stellen Sie sich vor, der Mond hätte die Größe des Mars und wäre dreimal näher an der Erde dran.
Aus dieser Konstellation ergeben sich faszinierende physikalische Folgen. Wann immer ein Körper in der Nähe eines anderen Körpers ist, lösen ihre Massen eine ganz unromantische Wechselwirkung aus. Die prominenteste Wechselwirkung, die wir hier auf der Erde kennen, ist die zwischen Mond und Erde. Die ist allerdings ein Sonderfall, denn einer der Körper ist um ein Vielfaches größer als der andere, wodurch der Eindruck entsteht, dass die Wechselwirkung ziemlich einseitig ist – die Anziehungskraft der Erde zwingt den Mond, sie zu umkreisen. Aber sieht man genauer hin, stellt man fest, dass die Wechselwirkung durchaus beiderseitig ist: So wie die Erde den Mond anzieht, zieht auch der Mond die Erde an, nur eben in deutlich kleinerem Maß. Tatsächlich sorgt die Anziehungskraft des Mondes dafür, dass die Erdachse „eiert“ – dieser Effekt wird lunare Nutation genannt.
Wenn man sich nun vorstellt, der Mond hätte die Größe des Mars und wäre der Erde viel näher, wird aus diesem „Eiern“ eine vollkommen gekoppelte Rotation um einander. Genau das ist der Fall bei Charon und Pluto. Diese beiden Himmelskörper umrunden sich innerhalb von etwa sechs Tagen in einer „doppelt gebundenen“ Rotation; das bedeutet, dass sich beide stets die gleiche Seite zuwenden. Erde und Mond befinden sich in einer einfach gebundenen Rotation; wir sehen immer die gleiche Seite des Mondes, doch die Erde rotiert eigenständig unter dem Mond hinweg. Pluto und Charon sind die einzigen Körper im Sonnensystem, die nachweislich doppelt gebunden rotieren.
Aber nicht nur das macht sie besonders. Im Januar dieses Jahres stellten Forscher fest, dass auch ihre Atmosphären verbunden sind. Ich habe ja schon vor einer Weile vom Sonnenwind erzählt und wie er kaltherzig die Atmosphären von so manchem Planeten weggeblasen hat. Weit draußen bei Pluto ist er zwar nicht mehr so stark wie im inneren Sonnensystem, doch sein Einfluss ist noch spürbar. Aber Pluto hat Glück, denn immer, wenn sein Kumpel Charon zwischen ihm und der Sonne steht, erzeugt er einen effektiven Schild gegen die erodierenden Kräfte des Sonnenwinds, sodass Plutos Atmosphäre in Sicherheit ist – zumindest kurzfristig. Obwohl dieser Effekt nur periodisch auftritt, erzeugt er doch eine spürbare Verlangsamung des Verlusts von Plutos Atmosphäre (die übrigens hauptsächlich aus Stickstoff, Methan und Kohlenmonoxid besteht). Was die Forscher vermuten lässt, dass Plutos Atmosphäre sehr viel ursprünglicher ist als die anderer Planeten. Sie hoffen nun, dadurch Rückschlüsse auf die Bestandteile des Sonnensystems unmittelbar nach seiner Entstehung ziehen zu können. Außerdem nimmt man an, dass die dunklen Flecken an Charons Polen aus Elementen bestehen, die Pluto aus seiner Atmosphäre abhandengekommen sind und von Charon eingefangen wurden.
Eben wie eine richtige Männerfreundschaft im Weltall.
Judith Homann hat einen Master in Meteorologie von der Universität Innsbruck und interessiert sich insbesondere für extraterrestrische Wetteraktivitäten. Alle ihre Kolumnen finden Sie hier.
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