18. Januar 2019 2 Likes

Die Hoffnung einer vergifteten Erde

Überraschend leise: Netflix’ postapokalyptisches Filmdrama „Io“

Lesezeit: 3 min.

Mit „Io“ schickt Netflix nach „Bird Box“ Anfang 2019 gleich die zweite Science-Fiction-Filmeigenproduktion ins Rennen. Allerdings handelt es sich bei „Io“, das seit 18. Januar gestreamt werden kann, um keine Romanadaption, sondern um eine originäre Geschichte, die sich stellenweise allerdings ziemlich literarisch anfühlt. Sie beginnt damit, dass die Erde von den Menschen, den verantwortungslosen Hausmeistern des blauen Planeten, sozusagen mit Ansage vergiftet wurde. Eine Veränderung der gesamten Atmosphäre hat die Erde nach zu vielen Tritten ihrer Bewohner praktisch unbewohnbar gemacht. Fast alle Tiere an Land und im Meer starben, und die menschlichen Überlebenden flüchteten mit einhundert Raumschiffen auf den Jupitermond Io, um von dort aus weiter ins All vorzudringen und eine neue Heimatwelt zu suchen.

Die junge Sam Walden (Margaret Qualley aus „The Leftovers“ und „The Nice Guys“) gehört zu den Letzten, die auf der alten, lebensfeindlichen Erde ausharren, obwohl nur noch wenige Shuttles nach Io starten werden. In einer hochgelegenen Enklave, wo die Luft nicht ganz so übel ist wie weiter unten, setzt Sam die Forschungen ihres Vaters (Danny Huston aus „30 Days of Night“ und „American Horror Story“) fort, der davon überzeugt war, dass sich Bienen und Menschen an die neuen Bedingungen anpassen und überleben könnten, und dass sich die Erde selbst heilen und erholen würde mit der Zeit. Anpassen und Überleben, falls es da klingelt. Sam, die seit dem Tod ihres Vaters alleine lebt und nur eine noch einsamer machende Mail-Fernbeziehung zu einem Ingenieur auf Io unterhält, meistert die schwierigen Bedingungen ihrer Forschungsarbeit mit einem Quad, Gasmasken, Sauerstofftanks, Bienenstöcken, einem Teleskop und einem kleinen, halbwegs vor den tobenden Elementen geschütztem Gemüsegarten. So hält sie die Hoffnung und den Glauben an die Vision ihres Vaters am Leben. Eines Tages landet Micah (Anthony Mackie alias Falcon aus den Marvel-Superheldenverfilmungen) mit seinem Heliumballon auf dem Berg. Dadurch hat Sam plötzlich die Wahl, ob sie doch noch das letzte Shuttle erwischen will, das die Erde in Richtung Io verlassen wird, bevor man auf dem Jupitermond alle Verbindungen kappt …


Der Mann, der vom Himmel fiel …

Regisseur Jonathan Helpert („House of Time“) wählt einen ruhigen Zugang zum postapokalyptischen Genre. Er vertraut seinen Figuren und baut auf die Stimmung seines Settings, wobei er nicht ein einziges Mal in Richtung Horror zuckt. Stattdessen lädt er die Atmosphäre und die geistige Haltung von „Io“ mit Einsamkeit, Hoffnung, klassischer Musik, wissenschaftlichen Lehren und Platons Symposion auf. Ja, dieser postapokalyptische Film ist etwas für den Kopf und pfeift auf Action, aber auch das kann auf Dauer zu einseitig wirken. Helpert lädt „Io“ letztlich komplett auf die Schultern seiner isolierten Hauptdarsteller Margaret Qualley und Anthony Mackie, die trotz ihrer ordentlichen Interaktion nicht unbeschadet durch alle kniffligen oder sogar fragwürdigen Passagen des Drehbuchs sowie des Worldbuildings kommen. Dafür flirtet „Io“ in seiner Inszenierung jederzeit heftig mit dem Independent-Kino, und man muss sich immer wieder daran erinnern, gerade eine Netflix-Produktion zu sehen. Am Anfang, als Sam im Außeneinsatz in den vergifteten Zonen Proben sammelt, wird allein mit dem Kontrast von Indie-Film und großem Kino eine interessante Spannung geschaffen. Leider verschwindet dieser Kontrast fast bis zum Schluss, dabei hätte der Streifen jede Art von Spannung gebrauchen können.


… komplettiert das Survivalpärchen. „Io“

„Io“ geriet einerseits so ruhig, introvertiert und langsam, dass sich die moderaten anderthalb Stunden dieses Charakterstücks wesentlich länger anfühlen – kein Film für einen müden Abend, so viel kann man ohne Boshaftigkeit sagen. Andererseits versuchen sich Helpert und Co. an einem lohnenswert divergenten Ansatz für die filmische Postapokalypse. Am Ende fühlt sich „Io“ dann auch eher wie überambitioniertes Independent-Kino als wie der neue Netflix-Blockbuster an, und tatsächlich spricht genau das am ehesten für diesen SF-Film.

Abb.: Netflix

Io • Regie: Jonathan Helpert • Drehbuch: Clay Jeter, Charles Spano, Will Basanta • Darsteller: Margaret Qualley, Anthony Mackie, Danny Huston • Laufzeit: 96 Min.

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