25. Februar 2019 2 Likes

„Menschen sind ziemlich erstaunlich.“

Im Gespräch mit Jasper Fforde („Eiswelt“, „Der Fall Jane Eyre“)

Lesezeit: 6 min.

Mit seiner Serie um den Roman „Der Fall Jane Eyre“ und die Heldin Thursday Next wurde Jasper Fforde zum Publikumsliebling und Bestsellerautor. Heute gilt der 1961 in London geborene, in Wales lebende Fforde als wahrer Meister der schrägen und fantastischen, aber dennoch mainstreamtauglichen Wohlfühl-Alternativwelt. Über die Jahre lieferte der frühere Kameramann viele weitere Romane voller Witz, Charme und kontrafaktischer Geschichtsschreibung, darunter „Grau“, „Die letzte Drachentöterin“ und aktuell „Eiswelt“ (im Shop), dank dem Fforde eine längere Schreibblockade überwand. In diesem dicken Schmöker halten die Bewohner eines fest von Kälte und Eis umschlungenen Parallelwelt-Großbritannien in beheizten Türmen Winterschlaf. Nur die Konsuln um den jungen Novizen Charlie bleiben wach und passen auf die Schlafenden auf, die wiederum schon mal zu zombieartigen Nachtwandlern mutieren können, wenn etwas schief geht. Doch im harten Winter der Eiswelt Albions lauern noch mehr frostige Gefahren und sogar eine eiskalte Verschwörung. Hier gibt es eine Leseprobe zum Roman, hier findet sich eine Besprechung. Im nachfolgenden Interview spricht Jasper Fforde indes über die Verlockungen von Alternativwelten, Zombie-Metaphern, die multimedialen Perspektiven seiner Werke und den Brexit.

 


Jasper Fforde. Autorenfotos © Mari Fforde

Hallo Mr. Fforde. Sie sind ein Meister einzigartiger Alternativwelt-Geschichten. Erinnern Sie sich, wann Sie Ihre erste Science-Fiction-Spiegelwelt kennengelernt haben?

„Planet der Affen“, den ich früh gesehen habe, war ein Einfluss – ich wusste nichts über die finale Szene, und so war sie wirklich eine Überraschung. Aber das ‚Was wäre, wenn?’-Motiv ist schon immer etwas gewesen, das mich interessierte. In vielerlei Weise stellt jede Art von Fantasie eine Alternativwelt-Geschichte dar, einen Blick darauf, wie ein eine Reihe andersartiger Umstände den Lauf der Dinge radikal verändern könnte. Wer hat an einem gewissen Punkt noch nicht darüber nachgegrübelt, wie anders sein Leben vielleicht verlaufen wäre, wenn er in der Vergangenheit einen anderen Weg genommen hätte? Das ist ein andauerndes Gedankenexperiment aller Menschen, und keineswegs überraschend: Die Evolution gab uns das einzigartige Geschenk, abstrakte Gedanken vorauszudenken – die Fähigkeit, mögliche zukünftige Ausgänge anhand unserer Handlungen abzuwägen. Äußerst hilfreich, nicht nur für das Lesen von Büchern, sondern auch für das Vorankommen in gelegentlich feindlicher Umgebung …

Was führte dazu, dass Sie erstmals in Sachen „Eiswelt“ vorausdachten?

Wie die meisten meiner Bücher, begann es mit einer Narrativen Herausforderung: „Schreibe einen Krimi, der in einer Welt angesiedelt ist, in der die Menschen schon immer Winterschlaf hielten.“ Der erste Part des Schreibens dieses Buches bestand darin, die Art von Welt zu erschaffen, in der das plausibel und logisch klang. Dann musste sie einnehmend werden, und dann musste ich herausfinden, wohin die Geschichte tatsächlich geht. Der letzte Teil war der schwierigste, da ich in mehreren Sackgassen landete, bevor ich alle losen Enden zusammengeführt bekam – Morphenox, den viralen Traum, das Gefühl der Zugehörigkeit, nach dem Charlie sucht, die Nachtwandler, die Gronk. Das jetzige Ende war mein dritter Anlauf. Die ersten beiden waren komplett anders, doch aus dem einen oder anderen Grund funktionierten sie einfach nicht.

Sie konzipierten „Eiswelt“ als Einzelroman. Hätten Sie, rückwirkend betrachtet, lieber einen typischen Serienanfang daraus machen sollen?

All meine Buchserien starteten ursprünglich mit einem eigenständigen Roman. Aber sobald ich realisierte, was für eine reiche Welt voller Möglichkeiten da für weitere Geschichten existierte, schienen ein oder zwei Fortsetzungen weniger eine Pflicht und viel mehr eine Notwendigkeit – warum all das Wordlbuilding verschwenden? Aus diesem Grund könnte das auch „Eiswelt“ passieren, allerdings gibt es, bis jetzt, noch keine Pläne.

Sind die Nachwandler im Roman Ihre Reaktion auf den Zombie-Boom in der gegenwärtigen Popkultur? Mögen Sie Zombies?

Ich mag Zombie-Filme, jedoch sind sie ein Guilty Pleasure. Die Zombie-Trope sorgt mich seit jeher enorm – sinngemäß eine barbarische ‚Minderheit von Anderen’, die einen assimilieren und einem ihre Gepflogenheiten aufzwängen will, das muss eine Metapher für soziale Gruppenparanoia sein. Meine Annäherung daran war die, dass die Nachtwandler zwar Zombies in Erscheinung und Handeln sind, aber im Inneren eigentlich menschlich, solange man Empathie und Verständnis zeigt.

Ist es schwer, den Witz und die Feel-Good-Atmosphäre Ihrer Bücher aufrecht zu erhalten, wenn ihnen so düstere Elemente gegenüberstehen?

Das ist wunderbar einfach – schreib einfach düster, und dann füge Witze hinzu. Ich vermische Horror und Humor, weil ich das sehr starke Gefühl habe, dass Menschen unermesslich grausam und außerordentlich witzig sein können, und dass der Unterschied zwischen beiden oftmals nur durch eine hauchdünne Linie getrennt ist. Die griechischen Masken von Tragödie und Komödie repräsentieren Menschen sehr gut. Wir können die furchtbarsten Nachrichten im Fernsehen schauen und zehn Minuten später schon wieder bei einer Comedy-Sendung vor Lachen brüllen. Das befähigt uns manchmal dazu, schreckliche Dinge zu tun, hält uns manchmal aber auch aufrecht und lässt uns in schwierigen Zeiten der Not ungeheure Stärke zeigen.

Haben Sie „Eiswelt“ eher im Winter oder im Sommer geschrieben, und in welcher Jahreszeit sollte man das Buch am Besten lesen?

Gute Frage. Zunächst einmal habe ich den Roman durch alle Saisons der drei Jahre geschrieben, die es zur Fertigstellung brauchte. Die beste Jahreszeit zum Lesen? Das müsste man die Leser fragen. Ich vermute, der Winter, aber wenn das Buch als Roman funktioniert, der Unglaube außer Kraft setzt und den Leser in eine andere Welt versetzt, dann kann man ihn hoffentlich überall und jederzeit lesen.

Haben Sie das Gefühl, dass man bei Lesungen aufgrund Ihrer witzigen Bücher erwartet, dass Sie als lustiger Entertainer auftreten?

Ich glaube, die Leser kommen mit der Erwartung, dass ich eine Verlängerung meiner Bücher bin, und ich versuche, sie nicht zu enttäuschen. Um intuitiv zu schreiben, muss man genau so schreiben, wie man denkt, weshalb es nicht weiter überrascht, dass Menschen, die mich persönlich kennenlernen, dadurch ein etwas klareres Verständnis meines Denkprozesses bekommen. Bei der Welt, die ich sehe, handelt es sich größtenteils um die Welten, die ich in meine Bücher packe: skurril, ungewöhnlich sowie voller Merkwürdigkeiten, Liebe, Wut, Verrat und Freude. Menschen sind ziemlich erstaunlich und voller Überraschungen, und meine Bücher zelebrieren diese Seite an uns, denke ich.

Obwohl Sie auf diese Weise viele tolle Welten und Figuren erschaffen haben, sieht man Sie bisher nicht in Film oder Fernsehen. Wo verstecken sich die Adaptionen Ihrer Romane?

Ich bin recht pingelig, wenn es darum geht, jemanden zum Lizenzieren meiner Werke auszuwählen, und häufig sind meine Bücher weniger visuell und mehr konzeptionell, was nicht so gut auf dem Bildschirm funktionieren mag. „Grau“ ist wahrscheinlich unverfilmbar, da es sich aufs Farbensehen stützt, was für sich genommen schon ein abstraktes Konzept ist. Die „Thursday Next“-Serie dreht sich im Grunde darum, wie Geschichten geschrieben und erzählt werden, also wendet sie sich wirklich an Leser, die ihre eigene Vorstellungskraft einsetzen wollen, und nicht die von jemand anderem. Die „Nursery Crime“-Serie könnte geeignet sein, würde jedoch eine Menge CGI benötigen. „Eiswelt“? Wir werden sehen.

Gibt es noch etwas, das Sie Ihren deutschen Fans sagen wollen?

Danke, dass ihr all die Jahre so loyal und unterstützend gewesen seid. Nach den englischsprachigen Ausgaben, verkaufe ich die meisten Bücher in deutscher Übersetzung, was in meinen Augen zeigt, wie ähnlich wir einander als Völker sind – oh, und es tut mir wirklich, wirklich leid wegen dem Brexit. Ich mag Europa sehr, und was im Vereinten Königreich passiert, kann man nur als ‚zutiefst bedauerlich’ bezeichnen, um eine klassische britische Untertreibung zu verwenden.

Wir können ja jederzeit in Ihre Alternativwelten flüchten. Vielen Dank für das Gespräch!

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