28. September 2020

Warum uns die Roboter keine Jobs wegnehmen werden

Die Zukunft hält mehr als genug Arbeit für alle bereit – leider

Lesezeit: 7 min.

Ich bin KI-Skeptiker. Und ich frage mich, wieso alle anderen das nicht auch sind.

Die technologische Entwicklung, die angeblich von den (zugegebenermaßen eindrucksvollen) Fortschritten beim maschinellen Lernen hin zu einer starken Künstlichen Intelligenz führen soll, kann ich ebenso wenig erkennen wie eine technologische Entwicklung, die von einer stetig verbesserten Pferdezucht zum Verbrennungsmotor führt. Ich glaube auch nicht daran, dass die zunehmende Automatisierung Arbeitsplätze kostet. Selbst wenn es uns – wider alle Wahrscheinlichkeit – gelingen sollte, morgen eine starke KI zu entwickeln, wird die nächsten zwei- bis dreihundert Jahre jeder Mensch, der Arbeit will, auch eine Vollzeitstelle erhalten.

Wofür natürlich der Klimawandel verantwortlich ist. Um seine Folgen zu bekämpfen, werden unvorstellbar viele anstrengende und arbeitsintensive Tätigkeiten nötig sein. Wir müssen alle Küstenstädte kilometerweit ins Hinterland verlegen, Hochgeschwindigkeitszüge bauen, die die Fluglinien ersetzen, hunderte Millionen von traumatisierten Heimatlosen betreuen sowie vom Tier auf den Menschen übergesprungene oder durch Insekten verbreitete Krankheitserreger eindämmen.

Das alles wird mehr als hundert Prozent der durch Automatisierung eingesparten Arbeitskraft beanspruchen. Jeder, der seine Arbeitsstelle aufgrund des technischen Fortschritts verliert, wird in der vorhersehbaren Zukunft mindestens zehn andere Jobs zur Auswahl haben. Selbst wenn wir uns auf das Gedankenexperiment einlassen und uns eine KI vorstellen, die alles genauso gut – oder besser – als der Mensch kann, bedeutet das noch lange keine technologiebedingte Arbeitslosigkeit.

Vielleicht sind Sie jetzt der Meinung, dass ich der Frage ausweiche. Na gut, wenn wir uns also einen entscheidenden technologischen Durchbruch vorstellen können, der eine echte KI zur Folge hat, dann ist auch eine ähnliche Revolution im Geoengineering denkbar. Wer weiß, vielleicht sind unsere (imaginären) KIs ja so schlau, dass sie die Albedo der Erde beeinflussen können. Aber tut mir leid: Das ist jetzt keine Science-Fiction mehr, sondern Fantasy.

Es ist zu spät, um die klimatischen Veränderungen aufzuhalten, Geoengineering hin oder her. Die Küstenstädte werden ohne Ausnahme überflutet werden. Hunderte Millionen Menschen werden ihre Heimat verlieren. Milliarden werden sich mit Krankheiten infizieren, gegen die es keine Immunität gibt und die von Organismen übertragen werden, die ihrerseits auf der Suche nach neuen Lebensräumen sind und von keinem Raubtier mehr in ihrem Bestand bedroht werden. Um zu verstehen, warum das so ist, reicht es, sich unsere Ozeane anzusehen. Wir haben die Meere derartig erwärmt, dass sie sich erst wieder abkühlen werden, wenn die Energie in ihren Tiefen aufgebraucht ist. Was bedeutet, dass wir die Poleiskappen vergessen könne. Ich diskutiere gerne lang und breit mit Ihnen über starke Künstliche Intelligenz, aber für ein Gedankenexperiment, das dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik widerspricht, bin ich nicht zu haben. Das ist dann kein Spekulieren über mögliche Szenarien mehr, sondern Wunschdenken.

Die gute Nachricht dabei lautet jedoch, dass die technologiebedingte Arbeitslosigkeit keine technologischen Ursachen hat – sondern wirtschaftliche. Die gegenwärtige Pandemie hat uns zwei entscheidende Dinge gelehrt.

Erstens: Eine strenge Austeritätspolitik erzeugt kein Leistungsvermögen, sondern vernichtet es. Im Jahr 2006 hat Kalifornien zweihundert Millionen Dollar für mobile Krankenhäuser, zehntausende von Notbetten, Millionen von N95-Masken und tausende von Beatmungsgeräten ausgegeben. 2008 wurden diese Bestände infolge der Finanzkrise wieder aufgelöst, um die fünf Millionen einzusparen, die jährlich zu ihrer Wartung nötig sind (Lagerplatz und Batterien).

Zweitens: Souveräne Währungsemittenten haben in einer Krise nicht zu wenig Geld, sondern zu wenig Kapazitäten. Die Angestellten der Zentralbanken bekommen schon Sehnenscheidenentzündungen, weil sie so viele Nullen hinter die Zahlen in ihren Bilanzen tippen müssen. Mit anderen Worten: Die Geldmenge reicht völlig. Mit diesem Helikoptergeld wird Arbeitskraft gekauft, an der die Privatwirtschaft kein Interesse hat (nämlich die von Menschen, die zu Hause in Quarantäne sitzen), und es wird für dieselben Dinge ausgegeben, die es schon vor der Krise gab (Miete, Lebensmittel, Schuldenzinsen), weshalb es auch den Wettbewerb nicht verzerrt oder eine Inflation verursacht (eine Inflation findet nur statt, wenn alle dasselbe kaufen wollen und als Folge dessen die Preise steigen; wenn mit derselben Geldmenge immer dieselbe Menge an Gütern gekauft wird, gibt es keine Inflation). Mit einer Ausnahme: Die Nachfrage nach ganz bestimmten Gütern - medizinische Dienstleistungen und Infrastruktur sowie Sanitätsbedarf – stieg plötzlich sprunghaft an. Wir haben viel zu wenig N95-Masken, Beatmungsgeräte und Fachkräfte (von Desinfektionstüchern, Handschuhen, Kitteln und so weiter ganz zu schweigen). Auch wenn die Zentralbanken ihre Gelddruckmaschinen auf Hochbetrieb laufen lassen, werden keine Beatmungsgeräte vom Himmel fallen. Kalifornien hat die Respiratoren vor zwölf Jahren auf den Müll geworfen, weil der Staat Geld sparen wollte — im Augenblick braucht Kalifornien aber kein Geld, sondern Respiratoren. Wenn die Zentralbank 2008 den Bundesstaaten aus der Patsche geholfen und das von der Privatwirtschaft vernichtete Geld ersetzt hätte, gäbe es heute Beatmungsgeräte in Kalifornien. Medizinische Versorgungsgüter auf Vorrat zu beschaffen, ist weitsichtige Planung. Geld zu sparen, wenn man doch selbst der Emittent ist, kommt mir … widersinnig vor. Das ist, als würde Apple Guthabenkarten für iTunes horten. Für Sie und mich ist Geld von essentieller Bedeutung. Für einen souveränen Währungsemittenten dagegen ist es nur eine Zahl, eine Summe, die sich niemals erschöpfen kann. Was mich zur „technologischen Arbeitslosigkeit“ zurückbringt.

Die Grundannahme der durch Technologie bedingten Arbeitslosigkeit lautet, dass die Privatwirtschaft immer mehr Roboter im Einsatz hat, bis diese irgendwann alle menschlichen Bedürfnisse befriedigen könnten, ohne dass auch nur ein Mensch arbeiten muss. Dann wird es keine Nachfrage nach Arbeitskraft mehr geben und niemand wird mehr Geld verdienen, um das zu kaufen, was die Roboter herstellen. Sollte dieser Tag jemals kommen, kann der Geldemittent — die Zentralbank — diese Arbeitskraft aufkaufen, ohne eine Inflation zu verursachen. Wenn die Privatwirtschaft keine Arbeitskraft mehr braucht, wird es auch nicht zu einem Bieterkrieg zwischen den Unternehmen und staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen beziehungsweise dem bedingungslosen Grundeinkommen kommen. Geld bereitzustellen, um Arbeitskraft zu kaufen, wird den Preis dieser Arbeitskraft nicht in die Höhe treiben.

Was könnte die Regierung im Gegenzug für dieses viele Geld von uns fordern? Wie wäre es damit, die Klimakatastrophen, die uns in den nächsten Jahrhunderten definitiv und unweigerlich bevorstehen, durch harte Arbeit zu bekämpfen?

Wenn die gegenwärtige Pandemie vorüber ist, werden dreißig Prozent der Weltbevölkerung entweder arbeitslos sein oder vom Staat beschäftigt werden. Wohlgemerkt, das wird nicht irgendwann in der Zukunft passieren, wenn durch eine technologische Singularität eine starke KI entsteht. Sondern nächstes Jahr. Dann werden die Regierungen die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben. Wählen sie das erstere – dreißig Prozent Arbeitslosigkeit –, werden sie zusammenbrechen und die von ihnen regierten Nationen womöglich gleich mit. Ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit dreißig Prozent beträgt, kann nicht funktionieren, und darüber hinaus ist es ihm nicht möglich, die Leistungsfähigkeit zu erzeugen, die nötig ist, um die nächste Krise zu überstehen. Es folgt eine zivilisationsbedrohende Abwärtsspirale aus Krise-Zusammenbruch-Krise-Zusammenbruch.

Und damit hätte sich auch der Traum einer echten Künstlichen Intelligenz erledigt. Eine Gesellschaft, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, Müllhalden nach Konserven zu durchwühlen und ihren eigenen Urin zu trinken, um zu überleben, wird keine fundamentalen Fortschritte auf dem Gebiet der KI-Entwicklung machen.

Dreißig Prozent Arbeitslosigkeit kommen also nicht infrage – aber was ist mit einer Jobgarantie? Diejenigen dreißig Prozent, die im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme tätig sind, haben nichts mit dem freien Markt zu tun. Die Märkte – und insbesondere die Finanzmärkte – werden an Bedeutung verlieren, bis sie nur noch für eine kleine Gruppe exzentrischer Fachidioten von Interesse sind, die Kapital in einem zunehmend unwichtigen Teil der Wirtschaft hin- und herschieben. Die Finanzbranche wird einmal mehr zum Abstellgleis für die Kinder reicher Leute werden, die zwar wenig Ehrgeiz und Verstand mitbringen, dafür aber vier Wochen bezahlten Urlaub im Jahr fordern, jeden Tag pünktlich um Viertel vor fünf Feierabend machen wollen und keinesfalls bereits sind, am Wochenende zu arbeiten.

Ist eine Jobgarantie machbar? Wahrscheinlich werden Sie es jetzt für ziemlich unwahrscheinlich halten, dass der staatliche Ankauf der Arbeitskraft von Arbeitslosen politisch durchführbar ist. Selbst im Angesicht der Klimakrise, in der diese Arbeitskraft dringend benötigt wird, um die Vernichtung unserer Städte, unserer Zivilisation und unserer Spezies aufzuhalten, ist so ein ehrgeiziges Programm nur schwer vorstellbar. Aber wenn wir schon träumen, dann richtig: Ich kann mir eher eine staatliche Jobgarantie vorstellen als eine starke KI. Und wenn wir eine Zukunft mit einer starken KI für möglich halten, dann können wir auf dem Weg dorthin auch die schädliche Austeritätsgläubigkeit der neoliberalen Ära abschaffen. Ein einfacher Trick – wir müssen den Bilanzen im Computer der Zentralbank lediglich ein paar Nullen hinzuzufügen – genügt, und die technologische Arbeitslosigkeit ist Geschichte. Das ist eine gute Nachricht, denn damit werden mehr Kapazitäten frei, um die eigentliche Krise zu bekämpfen.

Keynes schlug einst vor, in einer Krise die Hälfte der Arbeitslosen dafür zu bezahlen, Löcher zu graben, und die andere Hälfte dafür, diese wieder zuzuschütten. Dieses Experiment hat bisher noch keiner versucht — aber andererseits haben wir hundertfünfzig Jahre lang unsere Vorfahren dafür bezahlt, Kohlenwasserstoff aus dem Boden zu holen. Und jetzt werden wir die nächsten zwei- bis dreihundert Jahre unsere Nachkommen dafür bezahlen, die Folgen davon wieder rückgängig zu machen.

 

Cory Doctorow ist Schriftsteller, Journalist und Internet-Ikone. Mit seinem Blog, seinen öffentlichen Auftritten und seinen Büchern hat er weltweit Berühmtheit erlangt. Sein Roman „Walkaway“ ist im Shop erhältlich. Zuletzt erschien bei Heyne seine Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“ (im Shop).

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