14. Dezember 2020 1 Likes

Tanken für den Weltraum

Warum der Mond plötzlich wichtiger denn je ist

Lesezeit: 4 min.

Die NASA weiß, wie man das Internet in helle Aufregung versetzt. Vor kurzem ließ die Behörde verlauten, dass es wichtige Neuigkeiten über den Mond gebe – und sorgte damit bei so ziemlich jedem Online-Verschwörungstheoretiker für Schnappatmung. Hat man da oben etwas gefunden? Hat Donald Trump eine Mondbasis gebaut? Will er Hillary Clinton dort einsperren? Ist das die Quelle der 5G-Signale, die COVID-19 verursachen? Sagt es uns! Wir wollen es wissen!

Und jetzt ist die Katze endlich aus dem Sack. Meine Damen und Herren: Wir haben Wasser gefunden. Auf der sonnenbeschienenen Oberfläche des Mondes.

Wir wussten zwar schon, dass es Wasser auf dem Mond gibt, aber nur auf der dunklen Seite. Das Wasser auf der Sonnenseite ist selbstverständlich Eis, was auch sonst. Trotzdem ist das aufregend, oder nicht? Es wird die Weltraumforschung nachhaltig verändern … Moment mal, wo wollen Sie denn alle hin?

Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht nicht so schlau von der NASA, das Ganze als Riesensensation anzukündigen. Für die Weltraumforscher ist es zwar eine Entdeckung von enormer Tragweite (und gleich erkläre ich auch, wieso), aber ansonsten nicht gerade eine Meldung, bei der die Welt den Atem anhält.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass die meisten Menschen Wasser auf dem Mond nicht besonders spannend finden. Wir wissen bereits, dass die ISS eigenständig Wasser aus Urin und Kondenswasser recyclen kann. Das funktioniert ganz gut. Diese Wasservorräte sind zwar nicht unbegrenzt, andererseits ist es aber auch nicht nötig, große Tanks an der Station anzubringen. Die NASA plant, im Rahmen der Artemis-Mission in den nächsten zehn Jahren eine Mondbasis zu errichten, und dabei wird ein ähnliches System zum Einsatz kommen. Auch das ist nicht besonders spannend. Wenn man eine Mondmission plant, muss man sich zwangsläufig früher oder später auch über den Wasserbedarf Gedanken machen, man kann also davon ausgehen, dass die NASA dieses Problem längst gelöst hat.

Weshalb stellt das Wasser auf der sonnenbeschienenen Seite des Mondes dann so eine wichtige Entdeckung dar? Weil Wasser der Schlüssel zu Langstreckenflügen durch das Universum ist.

Um im Sonnensystem – oder überhaupt im Weltall – von A nach B zu gelangen, braucht man Raketentreibstoff. Was ein großes Problem darstellt, wenn man eine Rakete von unserem Planeten aus starten will. Soll besagte Rakete beispielsweise zum Mars fliegen, muss sie den gesamten Treibstoff für die Reise von Anfang an mit sich führen. Der Mars ist, wie Sie sicher wissen, nicht gerade um die Ecke, man braucht also eine Menge Treibstoff. Was wiederum bedeutet, dass die Rakete so richtig schwer wird und man noch mehr Treibstoff braucht, um überhaupt abheben zu können, und so weiter. Es ist ein Teufelskreis.

Doch jetzt kommt’s: Für Raketentreibstoff braucht man Wasserstoff und Sauerstoff, und beides ist in Wasser enthalten. Auch in dem Wasser, das – laut NASA – in Eisform in kleinen Schattenbereichen auf der Sonnenseite des Mondes zu finden ist und einfach nur aufgesammelt werden müsste. Plötzlich ist der Mond nicht mehr nur eine Kugel, auf die man eine Basis stellen kann – nein, der Mond wird zu einer Zwischenstation, wo man seine Rakete auftanken kann. Damit wird ein Raketenstart viel billiger, und wir können mehr davon ins All schießen. Dass der Mond mal eine gigantische Weltraumtankstelle werden könnte, hätte ich mir nie träumen lassen. Das ist eine echte Sensation.

Offenbar ist die Fläche auf dem Mond, auf der sich Eis befinden könnte, fast vierzigtausend Quadratkilometer groß. Das ist eine Menge Wasser, das für die Mondbasis eine Entlastung der Wiederaufbereitungssysteme bedeuten würde – man könnte Trinkwasser genau wie das, das man für den Treibstoff benötigt, einfach abbauen. Kurz gesagt: Der Mond ist plötzlich wichtiger denn je.

Theoretisch zumindest. In der Pressemitteilung wurde eher am Rande erwähnt, dass die Existenz dieses Wassers noch nicht hundertprozentig nachgewiesen wurde. Das ist nur im Rahmen einer bemannten Raummission möglich. Jemand muss zu einem schattigen Plätzchen auf der hellen Seite des Mondes spazieren und sich persönlich davon überzeugen. Aus irgendeinem Grund scheint mir das viel bedeutsamer als die Nachricht, dass es auf dem Mond eventuell Wasser gibt. Trotz des wissenschaftlichen Fortschritts, trotz der vielen technischen Gerätschaften, die wir erfunden haben, muss jemand auf den Mond fliegen und nachsehen.

Aber hey, wenn das bedeutet, dass wir bald eine Mondbasis haben, bin ich dafür!

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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