17. Januar 2022

Zu viel Information

Wie Social Media und Livestreams dazu führen, dass sich bald niemand mehr für den Weltraum interessiert

Lesezeit: 4 min.

Vor Kurzem wurde die Landeposition des Rovers, der auf dem Mond nach Eis suchen soll, von der NASA bekannt gegeben. Dieses wichtige Ereignis wurde live auf YouTube übertragen, und damit Sie auch wirklich nichts verpassen, hat Sie die NASA währenddessen per Twitter über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten … Wie, das interessiert Sie nicht?

Nun, mir ist auch schleierhaft, weshalb der NASA diese Meldung eine Liveübertragung und eine Social-Media-Berichterstattung wert war. Sofern Sie nicht gerade der absolute Mondfreak sind (und wer ist das schon?), wird Sie das Thema nicht groß tangieren. Den meisten von uns reicht die Information, dass die NASA ein Erkundungsfahrzeug auf der Suche nach Eis zum Mond schicken will, völlig aus. Wo das Ding landet, ist eigentlich egal – ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich sieht es auf dem Mond überall gleich aus. Mit Verlaub, aber eine solche Information gehört ans Ende einer Pressemitteilung, dieser PR-Rummel um ein solches Nichtereignis ist völlig übertrieben.

Damit will ich keinesfalls die Wissenschaftler der NASA schlechtreden, die bestimmt viele Monate damit verbracht haben, den richtigen Landeplatz auszutüfteln. Auch gegen das Forschungsprojekt an sich habe ich nichts einzuwenden, und es ist sehr löblich, dass man der Öffentlichkeit diese Informationen zur Verfügung stellt – ich weiß nur nicht, ob man gleich ein so großes Bohei mit Livestream und Twitterorgie darum machen muss.

Kurzer Einschub: Laut einer 2018 vom Pew Research Center durchgeführten Studie „interessieren sich lediglich sieben Prozent der Bevölkerung für Nachrichten aus dem Bereich Weltraumforschung“. Trotzdem sind die NASA und so ziemlich alle privaten Raumfahrtunternehmen in den sozialen Medien überaus präsent. Wenn ein wirklich bedeutendes Ereignis ansteht, ist so ein professioneller Auftritt ja auch großartig, aber was, wenn gerade mal nichts Interessantes passiert? Die sozialen Medien wollen ständig gefüttert werden, das liegt in der Natur der Sache. Wer zu lange nichts von sich hören lässt, den bestraft der allmächtige Algorithmus. Man muss also pausenlos neue Videos, Livestreams, Tweets und Facebook-Updates produzieren. Und das ist der Berichterstattung über die Weltraumforschung nicht gerade zuträglich.

Meiner Meinung nach interessiert sich die Öffentlichkeit nämlich unter anderem deshalb so wenig für den Weltraum, weil sie ständig mit entsprechenden Nachrichten zugeballert wird. Es vergeht kein Tag ohne eine Meldung über irgendwelche Vorgänge außerhalb der Erdatmosphäre. Und seien es nur die Albernheiten gewisser Milliardäre, die Astronaut spielen – irgendwas ist da oben immer los. Sie waren im Urlaub und haben den letzten SpaceX-Raketenstart verpasst? Kein Problem, der nächste findet in ein paar Tagen statt, und dann können Sie alles lang und breit auf Twitter nachlesen.

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Wenn man die Menschen weiterhin mit so vielen inhaltslosen Fakten bombardiert, werden sie sich irgendwann überhaupt nicht mehr für den Weltraum interessieren und ihren Regierungen unweigerlich die Frage stellen, warum immer noch so viel Geld für seine Erforschung ausgegeben wird. Und dann sind die wirklich aufregenden Projekte wie die Errichtung einer Mondbasis oder Mars- und Jupitermissionen in Gefahr. Wenn in den sozialen Medien zu viel Information angeboten und die Bedeutung jeder noch so läppischen Bekanntmachung durch einen Livestream aufgeblasen wird, wissen wir früher oder später nicht mehr, was wirklich wichtig ist.

Mir liegt weiß Gott nichts ferner, als die Sechzigerjahre nostalgisch zu verklären. Zum einen war ich damals noch gar nicht geboren, zum anderen hatten alle, die weder weiß, heterosexuell oder männlich waren, wenig zu lachen. Der Höhepunkt dieses Jahrzehnts war unbestritten die Mondlandung. Und die war meiner Meinung nach ein so bedeutendes Ereignis, weil so wenig Informationen darüber verfügbar waren. Schon allein das Projekt an sich überstieg jede Vorstellungskraft, und das Ereignis selbst ist heute so legendär, weil es genau das war: ein Ereignis. Die Menschen haben alles stehen und liegen gelassen, um dabei zu sein. Heutzutage wäre so etwas zwar immer noch spektakulär – und trotzdem nur eine weitere Nachricht, die einen, vielleicht zwei Tage für Aufsehen sorgt und dann wieder der Vergessenheit anheimfällt.

Wohlgemerkt, die NASA ist nicht dazu verpflichtet, alle ihre Aktivitäten haarklein offenzulegen. Im Gegenteil, es ist sehr großzügig von ihr, der Öffentlichkeit ihre Fotos und wissenschaftlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Allerdings heißt das nicht, dass jede noch so kleine Pressemitteilung von einem Livestream begleitet werden muss. Das sollte aufhören. Bitte. Solange sich noch jemand für den Weltraum interessiert.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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