„Die Menschen auf meinem Mond sind die Hölle.“
Im Gespräch mit „Luna“-Autor Ian McDonald
Der 1960 in Manchester geborene, heute im irischen Belfast lebende Ian McDonald (im Shop) schreibt seit dreißig Jahren Science-Fiction. Für sein Schaffen, das sich durch ebenso üppige wie komplexe Zukunftsvisionen in z. B. Asien, Afrika oder Südamerika auszeichnet, erhielt er bereits den Hugo Award, den Philip K. Dick Award, den Kurd-Laßwitz-Preis, den Theodore Sturgeon Award und zuletzt den Gaylactic Spectrum Award. Auf Deutsch ist gerade sein Roman „Luna“ erschienen, der Auftakt einer Trilogie über den besiedelten Mond, auf dem sich mehrere mächtige Dynastien erbitterte Intrigen und Schlachten um die Ressourcen des Erdtrabanten liefern. Im Interview spricht Ian McDonald über den Mond als Raumstation, die Grenzlandfaszination des Mars, den Spaß mit den Bösewichten beim Schreiben, die geplante TV-Adaption der „Luna“-Trilogie sowie den Einfluss von 3D-Druckern auf eine Gesellschaft.
Hallo Ian. Hast du eine persönliche Lieblingserinnerung, wenn es um den Mond geht?
Die ersten Schritte darauf. Ich erinnere mich daran, an einem heißen, sonnigen Tag draußen gespielt zu haben – ich war neun Jahre alt und wurde nach drinnen gerufen, um diese unscharfe Aufnahme von Neil Armstrong zu sehen, der die Leiter in Richtung Oberfläche hinabklettert. In der Rückschau muss es wohl eine Wiederholung gewesen sein, denn in meiner Erinnerung war das morgens auf BBC, und der erste Schritt wurde um 3:56 Uhr gemacht.
Bist du enttäuscht, dass so viele Menschen nur noch zum Mars und nicht mehr zum Mond schauen?
Das liegt daran, dass wir diese romantische Vorstellung von Welten haben, die es zu erobern gilt: Es geht darum, in deinem Raumanzug auf einem Brocken erstaunlicher Geologie zu stehen, den ganzen weiten Horizont zu überblicken und zu denken, all das gehört uns. Es ist der Mythos des Grenzlands. Der Mond mag nicht trendy sein, aber er geht auch nirgendwo hin, und er ist jenseits der Erde der Ort zum Industrialisieren, weit mehr noch als der Mars. Der Mond ist der ideale Raumschiffbauplatz und Weltraumhafen, von dem aus der Rest des Sonnensystems leicht erschlossen werden kann. Man sollte ihn nicht so sehr als Welt – oder gar als Mond – betrachten, sondern als eine große, ressourcen- und energiereiche Raumstation in unserem Orbit. Der Mars ist cool und glanzvoll, doch auf dem Mond wird das große Geld gemacht werden.
Wieso hast du dich nach so vielen Büchern über die Zukunft in fernen Ländern der Erde nun dem All und dem Mond zugewandt?
Ich scheibe jetzt schon seit zwanzig Jahren über sich entwickelnde Ökonomien. Das tue ich immer noch; diese liegt zufälligerweise nur am Firmament. Mir gefällt die Vorstellung, in einer klaren Nacht da oben auf der dunklen Seite des Mondes die Lichter menschlicher Städte und Industrien ausmachen zu können. Der Mond ist einer der wenigen Orte im bekannten Universum, wo Menschen auf einer Welt stehen und mit bloßem Auge den Beweis menschlicher Existenz auf einer anderen sehen können. Ich mag es außerdem, über Gegenden zu schreiben, die SF-Moden übersehen – Indien und Brasilien wurden von der westlichen Science-Fiction vollständig ausgelassen, die Türkei fast gänzlich. Der Mond ist aus der Mode gekommen – es dreht sich nur noch um Mars-Stoffe –, und mir haben Geschichten über Mondbasen schon immer gefallen. Also schien es mir die richtige Zeit dafür zu sein, zu diesem vernachlässigen Subgenre früherer Tage zurückzugehen und etwas unsagbar Cooles damit zu machen.
Sind die Recherchen über den Mond als Zukunftsstandort schwieriger als über Indien oder Brasilien?
Die Recherchereisen sind ein bisschen schwieriger zu arrangieren, die Möglichkeiten zum Absetzen auf der Steuererklärung allerdings spektakulär.
Die Leute fahren total auf die Intrigen in „Luna“ ab. Hast du es bewusst darauf angelegt, die Kluft zwischen heutigen Science-Fiction- und Fantasy-Lesern zu überbrücken, indem du jede Menge „Game of Thrones“-Ränke in deinen Roman pumpst?
Mein britischer Verlag Gollancz hat sich den ‚Game of Thrones auf dem Mond’-Slogan ausgedacht. Ich freue mich, wenn die Leute ihn dazu nutzen können, ein paar Bücher zu verkaufen … Mein Original-Pitch war ‚Dallas auf dem Mond’. Was zeigt, wie alt ich bin, aber auch die Idee und die Geschichte in ihrer Gesamtheit, wie ich sie schreiben wollte – eine Seifenoper und eine Mafiastory an einem Ort, wo du den Familienkriegen und den Vendetten nicht entkommen kannst. Ich wollte keine Aliens, ich wollte keine Großen Enthüllungen Über Das Universum, ich wollte Keine Mysteriösen Artefakte. Ich wollte, dass es sich um die Menschen dreht. Jean-Paul Sartre sagte ‚die anderen sind die Hölle’ – auf meinem Mond sind andere Menschen das Einzige, was du hast. Sie sind die Hölle. Doch sie sind auch deine einzige Chance auf den Himmel. Ihre Leben, ihre Liebe, ihre Träume und Ambitionen und Ängste, ihre Loyalitäten, ihr Pflichtgefühl und ihre Sorge sind alles, was du hast, und was zwischen dir und einer feindseligen Umgebung steht, die dich töten will.
Wie ausführlich sind deine Exposés, und wie viel denkst du dir beim Schreiben unterwegs aus?
Ich bin ein Autor, der wissen muss, wohin er mit einer Geschichte geht. Ich habe z. B. „Luna – Wolfsmond“ weniger ausführlich geplottet, als ich es für gewöhnlich tue, und die Konsequenz war, dass es wesentlich länger dauerte, das Buch zu schreiben. Es war eine Bestie. Ich plane also, weil ich es hasse, mir unterwegs Dinge ausdenken zu müssen. Aber ich plane nicht zu viel – ich sehe ein Exposé als eine Karte, nicht als eine Blaupause. Es zeigt mir nicht, welche Abschnitte in welcher Reihenfolge miteinander verbunden werden müssen; es zeigt mir die Orte, die ich besuchen und sehen möchte, und die verschiedenen Möglichkeiten, wie ich dorthin gelange.
Mit welchen Figuren hast du in „Luna“ am liebsten gearbeitet?
Die bösen Jungs machen immer mehr Spaß. Es bereitete mir also nicht nur viel Vergnügen, den monströsen Robert Mackenzie zu schreiben, sondern auch Lucas Corta, der in mancherlei Hinsicht Kein Netter Mann ist. Er ist skrupellos, selbst seiner eigenen Familie gegenüber, doch er ist auch schwer protektiv und innerhalb seines eigenen Moralsystems sehr, sehr ehrlich. Und er liebt Musik. Ich schrieb auch Marina gerne, und Carlinhos, der heiß und nicht allzu intelligent ist und was weiß. Mir gefiel es auch, Arianas Geschichte zu schildern, ihren Flug zum Mond und wie sie hier ein Imperium aufbaut. Lucasinhos Sexabenteuer waren ebenfalls spaßig. Ich mag ihn. Er würde mit allem schlafen, was sich bewegt, doch er ist zugleich äußerst nett und unglaublich mutig, wenn es hart auf hart kommt. Mir war es wichtig, dass all meine Figuren solch einen Grad an Widersprüchlichkeit in sich tragen.
Auf deinem Mond kommen die meisten Dinge des alltäglichen Lebens aus dem 3D-Drucker. Glaubst du an die revolutionäre Bedeutung dieser Technologie?
Ich wollte eine Gesellschaft, in der niemand wirklich etwas besitzt, weil materielle Ressourcen rar sind. Energie gibt es zu genüge, Rohstoffe umso weniger. Alles wird gnadenlos recycled, und wenn du so etwas tun kannst, dann fängst du an, Dinge eher zu drucken und auszurangieren, anstatt sie zu besitzen. Kleidung ist so – wenn du jeden Stil drucken kannst, der dir vorschwebt, warum keinen Trend für die Mode der 50er wie in „Luna“, oder die Mode der 80er, wie in „Wolfsmond“? In so einer Gesellschaft, in der Objekte geradezu wertlos geworden sind, liegt wahrer Wert im Muster – dem Design und dem Code, der dein maßgeschneidertes Objekt druckt. Das stimmte wieder mit meiner Idee des Mondes als Kultur überein, wo niemand etwas besitzt, jeder mietet, sich alles um Verhandlungen dreht und Vertragsrecht das einziges Gesetz darstellt. Auf der Erde, wo Besitz einen sozialen und emotionalen Wert hat, wäre es schwieriger, so eine Art von Kultur zu realisieren. Ich denke, dass die Verbreitung von 3D-Druck zum Aufstieg einer Gesellschaft des Trashs führen könnte. Eine ehemalige Agentin von mir kam einmal zu uns nach Hause, wo sie einen Wandschrank vorfand, dessen Boden mit einer acht Zentimeter hohen Schicht weggeworfener Happy-Meal-Spielzeuge bedeckt war – billige Plastikobjekte (die heute leicht 3D-gedruckt werden könnten), die so wenig Wert besitzen, dass sie es nicht einmal wert sind, weggeworfen zu werden. Wo Gegenstände billig und Rohstoffe reichlich vorhanden sind, gibt es keine Notwendigkeit, zu recyclen. Ich habe Dutzende alte Mobiltelefone, die wegzuwerfen ich einfach keine Lust habe, weil es nicht der Mühe wert ist. Ich vermute, dass wir in einer Welt des 3D-Drucks in Kram ersticken würden.
Was kannst du uns über den Status der angekündigten TV-Adaption von „Luna“ sagen?
Es geht langsam voran, und ich kann nicht viel darüber erzählen. Ich habe das Produktionsteam in Los Angeles getroffen und großes Vertrauen in sie. Die Dinge passieren entweder ruckzuck auf einmal, oder sehr, sehr langsam, außerdem verändern sich die Networks und die Zuständigen in einer Tour. Es ist eine gute Zeit für SF im Fernsehen, und der Reiz von „Luna“ liegt darin, dass es SF ohne die Sci-Fi-Komponenten ist. Keine Aliens, keine Raumschlachten, keine lächerlichen Kostüme (jeder trägt Kleidung aus den 50ern, das würde sensationell aussehen!), und der Fokus liegt immer auf den Charakteren und wie ihr Dasein von der Welt geformt werden, in der sie leben.
Was können wir vom zweiten Roman „Luna – Wolfsmond“ erwarten?
Der Verstärker wird auf elf aufgedreht.
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Vielen Dank für all die Jahre des Lesens und Unterstützens! Ich hoffe, ich habe eure Investition zurückgezahlt.
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