„Die Wissenschaft von Avatar“: Unglaublich, aber wahr - weitestgehend
Stephen Baxter nimmt James Cameron ernst, sehr ernst
Wer sich während James Camerons „Avatar“ gefragt hat, ob es das spektakuläre Mineral Unobtanium tatsächlich gibt, oder ob die Physiognomie der blauen Na’vis realistisch ist oder ob es schwebende Karstfelsen tatsächlich geben könnte, für den ist Stephen Baxters „Die Wissenschaft von Avatar“ (im Shop) genau die richtige Lektüre. Der studierte Mathematiker Baxter hat sich als Autor von vielfach ausgezeichneten Science-Fiction Romanen (im Shop) einen Namen gemacht, bekannt sind vor allem seine Romane und Erzählungen, die als „Xeelee-Zyklus“ bekannt sind. Auch seine „Nasa-Trilogie“ zeigen ihn als Vertreter der möglichst faktenbasierten Hard-Sci-Fi, 1991 bewarb sich Baxter, der Mitglied der British Interplanetary Society ist, sogar um einen Aufenthalt in der russischen Raumstation Mir.
Gute Voraussetzungen also, um sich an eine Analyse der Wissenschaft von James Camerons „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ zu wagen, der 2009 zumindest auf visueller Ebene eine Revolution war und – auch dank diverser Wiederaufführungen – der erfolgreichste Film aller Zeiten ist. Auf den ersten Blick mag die Geschichte um den im Rollstuhl sitzenden Ex-Soldaten Jake Sully, der als Ersatz für seinen verstorbenen Bruder auf den fernen Planeten Pandora fliegt, dort in einen aus dem Genmaterial der einheimischen Na’vi und menschlicher DNA geformten Avatar eintaucht und schließlich zum White Saviour wird, wie pure Phantasie wirken. Doch weit gefehlt: Wie Baxtar ausführt, haben Cameron und seine Mitstreiter intensiv mit Wissenschaftlern aller Richtungen ausgetauscht, um ihre Vision möglichst realistisch zu machen.
In seiner Analyse folgt Baxter nun in acht Teilen der Chronologie des Films, beginnend mit Momenten auf der von Umweltkatastrophen zerstörten Erde (ein Aspekt, bei dem man wenig Phantasie braucht, um ihn als realistisch zu erkennen….), über das Venture Star genannte Raumschiff, das Jake und die Anderen nach Pandora bringt, wo die Na’vis und das Ökosystem des Planeten analysiert werden, bis schließlich der Avatar selbst Thema ist.
Die bemerkenswerte Erkenntnis ist nun, dass praktisch jeder Aspekt von „Avatar“ zumindest theoretisch möglich erscheint, angefangen von dem mit Antimaterie angetrieben Raumschiff, über den Cryo-Schlaf, der Reisen durch den Raum von mehreren Jahren überhaupt erst möglich macht, bis zur Versorgung der Reisenden an Bord. Und auch Pandora entspricht durchaus den Möglichkeiten für Leben auf fremden Planeten, das nach heutigem Wissensstand realistisch erscheint. Dass dabei viele Aspekte von Flora und Fauna gleichermaßen fremd, aber doch auch bekannt erscheinen, ist nicht nur dem Versuch geschuldet, den Zuschauer nicht mit zu abstrusen Visionen zu überfordern, sondern folgt den Naturgesetzen des Universums. So führt Baxtar etwa aus, dass Bäume nur eine gewisse Höhe erreichen können, man geht von 120 Metern aus. Auf der Erde existieren die höchsten Exemplare heutzutage noch an der kalifornischen Pazifikküste, auf Pandora, einem Planeten mit geringerer Schwerkraft, sind die Bäume dagegen etwas höher, aber eben nicht so hoch, dass sie die Naturgesetze verletzen würden. Ähnliches gilt für die Physiognomie der Na’vis, die ein gutes Stück größer sind, als Menschen, dabei aber ähnliche Größenverhältnisse zwischen Rumpf und Gliedmaßen aufweisen wie Menschen, aber auch andere Säugetiere.
Schwieriger wird die Frage des Realismus naturgemäß bei den Avataren selbst, die am ehesten mit moderner Virtual Reality-Technik zu vergleichen sind. Oder der bei Philosophen und Neurowissenschaftlern gern diskutierten Frage, ob wir möglicherweise alle in der Matrix leben. Und wenn ja: Ob es überhaupt möglich ist, sich dieses Zustandes bewusst zu sein. Eigentlich kaum vorstellbar, aber warum nicht? Die rasante Entwicklung von VR, der Versuch von Facebook und anderen Unternehmen, eine Meta-Welt entstehen zu lassen, lässt auch das Eintauchen in fremde Körper im Bereich der Möglichkeiten erscheinen, erst recht im Jahre 2154, dem Jahr, in dem „Avatar“ spielt.
Das Camerons Film sich so nah an realistischen Möglichkeiten entlangbewegt, mag beim Sehen kaum auffallen, dürfte aber ein Grund für seinen Erfolg sein. Wäre die gezeigte Welt zu fremd und absurd, würde sie irritieren, zu groß ist das Gespür jedes Menschen, für die Gesetze der Natur. In ein paar Wochen wird sich zeigen, ob auch die langgeplante Fortsetzung den Regeln folgt, Stephen Baxters unterhaltsames, lehrreiches Buch macht schon jetzt Lust, noch einmal in die Welt von Pandora einzutauchen.
Stephen Baxter: Die Wissenschaft von AVATAR • Sachbuch • Aus dem Englischen von Urban Hofstetter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 336 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 15,00 • im Shop
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