3. Dezember 2018

„Endurance – Mein Jahr im Weltall“

Der NASA-Astronaut Scott Kelly berichtet von der Faszination und den Problemen der Raumfahrt

Lesezeit: 3 min.

Endurance, Ausdauer, hieß das Schiff, mit dem 1914 die gleichnamige Expedition begann, auf der Ernest Shakleton die Antarktis durchqueren wollte. „Endurance“ nennt gut 100 Jahre später auch der amerikanische Astronaut Scott Kelly sein Buch, das sein Leben und vor allem sein Jahr im Weltall beschreibt. Man könnte es anmaßend finden, sich mit einem der größten Forschungsreisenden der Geschichte zu vergleichen, aber irgendwie trifft es auch ganz gut den Wagemut, der immer noch nötig ist, um sich auf nicht immer zuverlässigen Raketen, gefüllt mit hunderttausenden Litern explosivem Treibstoff, ins Weltall schießen zu lassen und dort unter kaum lebensfähigen Bedingungen ein Jahr zu verbleiben.

20 Jahre schwebt die Internationale Raumstation ISS nun schon im All und in dieser Zeit ist sie – und damit auch die bemannte Raumfahrt – zumindest für den Außenstehenden fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Zeit, in denen Starts von Raketen noch Live im Fernsehen übertragen wurden ist längst vorbei, heute ist es gerade noch eine Nachricht, wenn wie unlängst der deutsche Astronaut Alexander Gerster Kommandant der ISS wird. Dabei ist die bemannte Raumfahrt alles andere als Routine, Katastrophen wie das Challenger-Unglück liegen zwar zum Glück lange zurück, aber auch kleinere Probleme können die Versorgung der ständig bemannten Raumstation ISS schnell gefährden.

Auch davon berichtet Scott Kelly in seinem Buch, das halb Autobiographie, halb Tagebuch seines Jahrs im Weltall ist. In alternierenden Kapiteln beschreibt Kelly zum einen sein Jahr an Bord der ISS, zum anderen, wie er durch Lektüre von Tom Wolfes „Die Helden der Nation“ dazu inspiriert wurde, sich nach höchst durchwachsenen schulischen Leistungen am Riemen zu reißen und Astronaut zu werden. Dabei führte Kellys Weg über die Armee und das Dasein als Testpilot bis er es schließlich schaffte, bei der NASA angestellt zu werden. Zunächst als waschechter Pilot, später zunehmend als Wissenschaftler, der nach zwei kürzeren Missionen mit dem Space Shuttle im Oktober 2010 zum ersten Aufenthalt auf der ISS aufbrach. Damals „nur“ für ein halbes Jahr, aber ab März 2015 verbrachte Kelly dann zusammen mit dem Kosmonauten Michail Kornijenko 340 Tage auf der ISS, der aktuelle Rekord. Auf der MIR haben drei Russen allerdings noch mehr Zeit am Stück verbracht, bei der Auflistung von Rekorden nimmt man es bei der Raumfahrt ungefähr so genau wie beim Sport oder dem Bergsteigen, was dann doch wieder zeigt, was für ein elitärer Kreis die geringe Anzahl von Raumfahrern doch noch ist.

Daran wird sich vermutlich auch so bald nichts ändern, trotz der auch in Kellys Buch durchscheinenden Hoffnung, dass sein Langzeitaufenthalt an Bord auch wichtige Daten zur Vorbereitung eines Flugs zum Mars liefert, über die Veränderung der Muskeln etwa, der Schwierigkeit, im All Wasser zu gewinnen oder eine akzeptable Sauerstoff-Sättigung in der Raumstation zu erzeugen. Ganz pragmatisch beschreibt Kelly den Alltag im All, fast trocken, ohne die regelmäßig auftauchenden Probleme zu dramatisieren.

Das ist auch gar nicht nötig, denn Kelly ist auch ohne Übertreibungen ein spannender Erzähler, in seiner Betonung von Familienwerten zwar ganz Amerikaner, aber auch kritisch, wenn er es für angebracht hält. Dabei hilft ihm fraglos, dass er nach seiner endgültigen Rückkehr aus dem All aus der NASA ausschied und dadurch nun unverblümt schreiben kann, was er denkt. Als hemdsärmlig könnte man diesen Ansatz beschreiben, doch bei aller Kritik an manch übertrieben erscheinender Bürokratie der NASA ist Kellys Buch vor allem geprägt von einer tiefen Faszination für das Erkunden von Grenzgebieten, für die Lust, die eigenen Grenzen zu überwinden. Nicht nur das macht ihn hundert Jahre später zu einem Bruder im Geiste Shakletons.

Scott Kerlly: Endurance – Mein Jahr im Weltall • C. Bertelsmann, München 2018 • 480 Seiten • 25 Euro

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