H. P. Lovecrafts „Schatten über Innsmouth“ als Comic
Der Japaner Gou Tanabe adaptiert den nächsten Lovecraft-Klassiker
Gou Tanabes international gefeierte Comic-Adaptionen der einflussreichen Weird Fiction-Erzählungen von H. P. Lovecraft haben sich zu einer erfreulichen Konstante im Carlsen-Programm entwickelt. Abnutzungserscheinungen nach inzwischen mehr als einem halben Dutzend Bänden? Bisher keine zu vermerken. Mit „Schatten über Innsmouth“ steht auf strammen 440 Seiten nun die nächste Manga-Interpretation eines Lovecraft-Klassikers durch den japanischen Künstler an. „Cthulhus Ruf“ und „Berge des Wahnsinns“ folgt also ein weiteres bedeutsames, prägendes Werk des unsterblichen Cthulhu-Mythos.
Mr. Lovecraft schrieb die Geschichte „The Shadow over Innsmouth“ Ende 1931 nieder, aufgrund ihrer Länge wurde sie von „Weird Tales“-Herausgeber Farnsworth Wright jedoch abgelehnt, der sie schlicht und ergreifend nicht in zwei Hälften zersägen wollte, und so kam das Werk schließlich 1936 in Form einer für Lovecraft damals unüblichen Buchausgabe auf den Markt (seine Storys fanden erst nach seinem Tod ihren Weg in zahlreiche Bücher und Sammelbände, wie wir das heute kennen und teils zelebrieren). Es wurden ein paar hundert Exemplare gedruckt, mit deren handwerklicher Qualität Lovecraft nicht allzu zufrieden war. Erst 1942 gab es dann noch eine – posthume – Veröffentlichung in „Weird Tales“.
„Schatten über Innsmouth“ handelt von einem jungen Mann, der durch New England reist und auf seinem Weg nach Arkham in Newuryport aufschlägt. Weil der Zug so teuer ist (das 9-Euro-Ticket hätte unserem Erzähler viel Ärger erspart), muss er den alten Bus nehmen, der über die verrufene, angeblich verfluchte und verkommene Hafenstadt Innsmouth fährt. Unser forscher Protagonist ist allerdings eher neugierig, was die Gerüchte, ja, die düsteren Legenden über den Esoterischen Orden von Dagon, Reptilien-Kronen, finstere Rituale, die Pest und Menschen oder gar Mutanten mit Froschgesichtern angeht. Doch am Ende geht es für ihn nicht mehr darum, den Geheimnissen der Stadt auf den Zahn zu fühlen, sondern ihr, ihrem Grauen und ihren Fischmonstern zu entkommen. Falls das überhaupt möglich sein sollte bei all den Erlebnissen, Erfahrungen und Erkenntnissen …
Wieder einmal fängt Gou Tanabe den typischen Lovecraft-Horror dieser mustergültigen Cthulhu-Erzählung auf überzeugende, oftmals perfekte Weise ein. Seine schwarz-weißen Zeichnungen sind ungeheuer effektiv, wenn es um Stimmung geht, kommen aber genauso mit allen Eskalationen, Absonderlichkeiten und Ungeheuern zurecht. Auch variiert Tanabe das Tempo und die Länge der Szenen geschickt. Die beeindruckenden, detailreichen Splashpages, die zur Tanabe-Experience dazugehören, widmen sich diesmal nicht der Eiswüste oder dem Kosmos, sondern dem Meer und natürlich der Architektur und dem Zerfall von Innsmouth selbst. Nicht ganz so gelungen sind die bunten Digitalbilder am Anfang und in der Mitte des Bandes, die obendrein als Grundlage des Covers dienen und bei aller Liebe für Richards Corbens stilistische Experimente eher 30 Jahre zu spät kommen.
Aber völlig egal, ob man Lovecrafts fiktive Städte Arkham und Innsmouth oder explizit diese Geschichte des Cthluhu-Kanons noch nie oder schon mehrfach bereist hat – in der Manga-Fassung von Kenner und Könner Gou Tanabe erwachen die faulige, bedrohliche Atmosphäre und die Schrecken mit Fischaugen auf jeden Fall noch immer zum Leben.
Abb.: © 2021 Tanabe Gou, KADOKAWA CORPORATION, Tokyo. © der deutschen Ausgabe Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022
Gou Tanabe: H. P. Lovecrafts Schatten über Innsmouth • Carlsen, Hamburg 2022 • 443 Seiten • Klappenbroschur: 24 Euro
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